




Der Bart bleibt dran, und das macht Mühe, Abschneiden kann ja jeder. Ahmed Al Musawi tänzelt mit seiner Schere dicht vor dem prachtvollen, rotflammigen Bart seines Kunden. Zielsicher erwischt er die Haare, die er kürzen will. Sein williges Opfer legt den Kopf vertrauensvoll in den Nacken, als Al Musawi das Rasiermesser am Hals anlegt.
Mit präzisen Bewegungen schneidet er eine Kante zwischen Barthaar und Adamsapfel. Langsam richtet sich der Kunde auf, nickt wohlwollend und blickt zufrieden in sein Spiegelbild. Wie ein getrimmter Buchsbaum ein Grundstück markiert, flankiert der Bart nun das Antlitz seines Trägers. Ein Prachtstück, das zugleich das Image seines Eigners prägen soll.
Barber
Vor einigen Monaten eröffnete Al Musawi in Düsseldorf den Captain’s Barbershop – und liegt damit voll im Trend. Die Zahl der Friseure ist in Deutschland im vergangenen Jahr mit etwa 80.000 Salons konstant geblieben. Doch fast wöchentlich eröffnet momentan ein Barbershop in jeder besseren deutschen Großstadt. Wie viele es genau sind, weiß der Zentralverband des Friseurhandwerks nicht. Der Grund ist bürokratischer Natur: Bereits vor 15 Jahren habe man aufgehört, Herrensalons als eigenständige Betriebe statistisch zu erfassen – bislang sei die Zahl noch zu klein. Aber das könnte sich in ein paar Jahren ändern. Denn die Barbershops verkaufen mehr als einen guten Haarschnitt und eine Rasur. Sie sind Orte der Sehnsucht von Männern, denen in Zeiten der Metrosexualität die letzten Reservate abhanden kommen, in denen sie Mann sein können.
Die besten Adressen für Vintagefriseure
Timi der Barbier, timi-der-barbier.de
Jimmy Ray’s Barber Shop, jimmyrays-barbershop.de
Barber House, barberhouse.com
Brants Barber im Terminal 2 im Flughafen, brants-barber.de
Men Only, menonly-barbershop.de
Bennys Haircut, bennyshaircut.de
Barbershop Cologne, barbershop-cologne.de
Zur Locke, zur-locke.de
Queens and Fools, queensandfools.de
Torreto Barbershop, torreto-barbershop.de
Guido Bösherz, fb.com/GuidoBoesherzBarbier
Captain’s Barber Shop, captainsbarbershop.de
Cut Corner, cutcorner.de
Imagehair Barbershop, imagehairgroup-barbershop.de
Lang_Schmidt, langschmidt.eu
Barbiere da Roberto, barbiere-da-roberto.de
Die Rasur dient längst nicht mehr bloßer Hygiene, sondern ist gleichzeitig Pflege des Persönlichkeit. Der Bart ist seit einigen Jahren Accessoire wie modische Aussage. Auch wenn sich der Schnauzbartträger weiterhin Spott anhören muss: Der Vollbart ist gesellschaftlich vollkommen akzeptiert.
Schon lange gilt ein Bart in vielen Kulturen traditionell als Signal der Männlichkeit. Gleichzeitig steckte dahinter immer auch eine politische Aussage. Auffallend viele Männer aus dem politisch linken Spektrum trugen ihn in den Siebzigerjahren, um ihre Ablehnung bürgerlicher Konventionen zu verdeutlichen.





An der Spitze der Bewegung stehen heute die Anhänger der Rockabilly-Kultur. Doch dazu gesellen sich nun modisch orientierte Mächtige, auch auf deutschen Chefetagen. Henkel-CEO Kasper Rorsted hat sich ebenso für die dichte Gesichtsbehaarung entschieden wie Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner oder der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. In Mode ist der Bart außerdem bei jenen Menschen, die sich in Verbindung mit Wollmütze, Gesichtsschmuck und dicken Hornbrillen äußerlich und intellektuell vom Mainstream distanzieren wollen. Alle echten und vermeintlichen Hipster haben seit einiger Zeit Anlaufstellen, in denen sie ihre Haare wieder korrekt ausrichten lassen können. Offenbar ist die Zahl der Bartträger groß genug, um der Friseurbranche eine kleine Erfolgsstory zu bescheren.
Harte Kerle mit Geduld
Großes Vorbild der deutschen Barbershops ist das Schorem in Rotterdam. Der Name steht für Abschaum oder Gesindel, aber auch für „Ich habe ihn rasiert“. Seit 2011 empfangen Robert Rietveld, kurz Bertus, und sein Partner Leen eine auffällig unauffällige Kundschaft. Kerle, die den Eindruck von harten Typen erwecken, setzen sich brav in die Schlange. Termine gibt es nicht in dem Sammelsurium aus antiquarischen Fundstücken, das die beiden Inhaber zusammengetragen haben. Die Kunden haben oft so viele Tattoos auf dem Körper wie das Schorem Bilder an der Wand. Es gibt immer etwas zu sehen, während der Kunde wartet.
Geduld und Muße sind ausdrücklich erwünscht, denn sie sind Teil des Erlebnisses. Ein Glas Whisky, Männermagazine oder Bildbände gehören zur Ausstattung der meisten Barbershops. Für eine Zeit klinkt sich der moderne Mann aus und versetzt sich in eine Zeit, in der die Rollenverteilung klar war. Wobei: Ein Hort für Ewiggestrige wollen die Barbershops nicht sein. Aber ein geschützter Raum, in dem Gespräche über Fußball und Frauen sein dürfen. Letztere würden dabei nur stören. Deswegen arbeiten in der Mehrheit aller Barbershops auch ausschließlich Männer.





Eine Ausnahme ist das Langschmidt in Düsseldorf. „Trust the girls“ lautet das Motto des Ladengeschäfts im Stadtteil Flingern. Damit ist nicht nur der sichere Umgang mit dem Rasiermesser gemeint. Gründerin Julia Zenner und ihre Kollegin Karolina Regenhardt, beide ausgebildete Friseurinnen, tätowiert, kurzhaarig, hatten sich eigentlich schon aus der Branche verabschiedet. Die Motivation kam zurück, als sie die Idee für den Barbershop hatten, inklusive Events und ausschließlich männlicher Kundschaft. „Wir wissen ja, wie wir den Mann haben wollen“, sagt Zenner. Anders als in einem klassischen Barbershop betüddeln sie ihre Kunden gerne. Etwa mit einer Massage der Haut oder dem Einölen der Barthaare. Viele Kunden dösen auf dem Stuhl ein.
Dazu tragen Teile des Handwerks bei, die fast in Vergessenheit geraten sind. Eine Nassrasur mit heißen Tüchern, die die Poren vorab öffnen und die Rasur schonender für die Haut machen soll, lernen junge Friseure üblicherweise nicht mehr. In der Meisterprüfung fehlt das fachmännische Rasieren mit der Klinge.
In Ländern wie der Türkei oder dem Libanon ist der Gang zum Barbier noch verbreiteter, und die Techniken sind bekannter. Zahlreiche Barbershops in Deutschland verlassen sich daher auf tradierte Methoden. Bei der Fadentechnik werden feinste Haare im Gesicht samt Wurzel herausgerissen, mit heißem Wachs auf einem Wattestäbchen geht es weiter zur Nase. Die Stäbchen werden nach ein paar Minuten mit einem kräftigen Ruck entfernt. Das ist nicht Wellness, aber effektiv.





Der Gentlemen’s Circle in Berlin wagt sich auch an die Füße und bietet Pediküre an. Doch der Salon von André Goerner sieht die Dienstleistung nur als einen Teil des Angebots. Vielmehr gehe es darum, ein bestimmtes Lebensgefühl zu inszenieren. Herrensalon, das ist wörtlich gemeint. Treffpunkt und Club von Gleichgesinnten will der Gentlemen’s Circle sein. Die Einrichtung orientiert sich an den Salons aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. Die Holztöne sind so dunkel wie der Tabak in den Cohibas, die hier nach Ladenschluss am Smoking Friday geraucht werden dürfen. Für Goerner, der lange Jahre die Salons des Münchner Promi-Coiffeurs Gerhard Meir in Berlin leitete, ist der Gentlemen’s Circle auch ein Rückzugsort von seinem sauber in Weiß gehaltenem Damensalon: „Hier bin ich Mann, hier darf ich’s sein.“