Futurologie Vergesst die Zukunft!

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Prognose und Planung

Seither sind alle Visionen vom Neuen Menschen und von der neuen Gesellschaft kompromittiert. Seither hat die Zukunft an Strahlkraft eingebüßt, ist der Glaube an ein besseres Morgen gestorben. Vor allem in Deutschland. Joachim Radkau hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Geschichte der Zukunft“ gezeigt, dass die Aufbaujahre der Bundesrepublik mitnichten getragen waren von Zukunftsoptimismus. Der Geist der frühen Jahre war antiutopisch, von Arbeit und Alltag bestimmt. Und auch in den Sechzigerjahren, als das Wort vom „Raumschiff Erde“ aufkam und Zukunftsforscher von der Besiedlung des Mondes träumten, sei die politische Gegenwart trotz ehrgeiziger Entwürfe keineswegs von Zukunft beherrscht gewesen. Es dominierte, beispielhaft in der Atompolitik, das Hier und Jetzt.

Erst in der Zeit der sozialliberalen Koalition wuchs die Zuversicht, im Zusammenspiel von Prognose und Planung („Globalsteuerung“) die Zukunft erneut in den Griff zu bekommen. Herrschende Trends wurden verlängert: Der Glaube an eine unendliche Fortsetzung des Wirtschaftswachstums nährte die Hoffnung auf seine Verstetigung, seine Gestaltbarkeit. Doch die meisten Langfristprognosen erwiesen sich als Luftnummern. Die Zukunft machte den Planern einen Strich durch ihre Hochrechnungen. Im Herbst 1973, im Jahr der Ölkrise, war mit den keynesianischen Boomjahren auch das Vertrauen in die Planungsfähigkeit des Staats dahin. Vor allem aber büßte mit Erscheinen des Weltbestsellers „Die Grenzen des Wachstums“ die Zukunft selbst ihren Zauber ein.

Warum hat der Liberalismus dem Post-Truth-Trash der Rechtspopulisten so wenig entgegenzusetzen? Weil er nicht von sich selbst zu erzählen weiß.
von Dieter Schnaas

Zukunft verwandelte sich damals, so die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, „von einem Gegenstand der Erwartung und Hoffnung zu einem Gegenstand der Sorge und damit zugleich auch der Vorsorge“. Entscheidend dabei ist allerdings nicht, dass der Pionier nun von Warnern begleitet wird und sein Wagemut unter Apokalypseverdacht steht, von der Kernschmelze über das Ozonloch bis zum Treibhauseffekt. Entscheidend ist vielmehr der Perspektivwechsel, dass alle Zukunft heute von einem scheinbar datengesicherten Übermorgen aus zurück ins Heute blickt und die Gegenwart daher zum unruhigen Ort ultimativer Herausforderungen macht. Spätestens seit den Achtzigerjahren begegnet uns Zukunft als empirisch gesicherter Ausgangspunkt für künftige Katastrophenszenarien, als mathematisch berechnete Gefahr, auf die umgehend zu antworten ist. Anders gesagt: Das Szenario diktiert die Gegenwart und setzt die Politik herab zur angewandten Zukunftsforschung. Es suggeriert, ihr bleibe nichts mehr zu gestalten, seit eine gesicherte Zukunft ihre Schatten auf die Gegenwart wirft.

Mehr Wissen, weniger Freiheit

Ganz gleich übrigens, ob als Apokalypse oder medizinisch-technische Erlösungsfantasie. Denn in einem sind sich der besorgte Wachstumskritiker und der Valley-selige Fortschrittsoptimist seltsam einig. Sie imaginieren die Welt vom Ende her – und man weiß wirklich nicht, welches Ende man deprimierender finden soll: das des Klimatodes oder das eines ewigen Lebens als Mensch-Maschine-Schnittstelle. Wenn aber die Zukunft nur noch das ist, was die Menschen unbedingt tun müssen, um sie zu verhindern oder zu realisieren, dann verliert sie ihren Sinnhorizont als offener Zeitraum. „Je größer das Wissen, je größer die Technologie ... umso irreversibler sind die Weichen, die die Lebenden für ihre Nachkommen stellen“, warnt der Philosoph Robert Spaemann: „Insofern bedeutet technischer Fortschritt von einem gewissen Zeitpunkt an stetig abnehmende Freiheit.“ Man kann es auch so sagen. Seit Zukunft unsere Gegenwart als Gewissheit kolonialisiert, kennt sie keine Weite, keine Sehnsucht mehr und damit – keine Zukunft.

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