Wer im Nobelhart & Schmutzig speisen will, sollte unkompliziert sein. Nörgler mit Antipathie gegen rote Beete, Aal oder Innereien haben es schwer. Denn in dem Lokal auf der Friedrichstraße in Berlin-Mitte wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Basta. Lediglich Allergikern und Vegetariern sind Extrawünsche vergönnt.
Kaum jemand setzt den Trend in der Gastronomie so radikal um. Küchenchef Micha Schäfer und seinem Sommelier Billy Wagner kommen weder Pfeffer noch Zitronen auf den Teller. Die Eröffnung des Restaurants war eine der am meisten diskutiertesten des vergangenen Jahres. Kein Gourmetführer kam ohne Erwähnung aus, dem renommierten „Guide Michelin“ war das Essen einen Stern wert.
Etwas seltsam ist das schon. Widerspricht das kuratierte Essen doch all den anderen Speisetrends der Zeit. Ob Laktoseintoleranz, Glutenunverträglichkeit oder Veganismus – eigentlich spricht jeder nur noch davon, was er eben nicht mehr isst. In Genussfragen wurde der Verzicht zum Mantra erklärt.
Die Top-Adressen der Ein-Menü-Restaurants
Hamburg: The Table
thetable-hamburg.de
Berlin: Nobelhart & Schmutzig
nobelhartundschmutzig.de
Berlin: Studio Tim Taue
factoryberlin.com/studio
Frankfurt: Carte Blanche
carteblanche-ffm.de
München: Broeding
broeding.de
Köln: Ox & Klee
oxundklee.de
Einerseits. Andererseits führte es auch dazu, dass in Deutschland selten so viel über die richtige Ernährung diskutiert wird. Foodfestivals, Superfood oder Foodtrucks – die deutsche Gastronomieszene wächst und gedeiht so prächtig wie lange nicht mehr. In Deutschland gibt es rund 75.000 Restaurants. 290 davon zählen laut neuer Erhebung des Feinschmeckermagazins „Gault Millau“ zu den Sterne-Adressen. Rekord in der Bundesrepublik, nur Frankreich hat mehr.
Bei so viel Konkurrenz brauchen Restaurants ein Alleinstellungsmerkmal. Das kuratierte Speisen ist zurzeit besonders beliebt. Neben dem Nobelhart & Schmutzig hat sich auch Kevin Fehling für die Ein-Menü-Politik entschieden. Der 38-Jährige, 2013 zum jüngsten Drei-Sterne-Koch des Landes gekürt, setzt in seinem neuen Hamburger Restaurant The Table auf einen Dreiklang: Ein Raum, ein Tisch, ein Menü.
Gespeist wird an einem Tisch aus Kirschbaumholz, der sich durch den ganzen Raum schlängelt. Maximal 20 Gäste finden dort an einem Abend Platz. Diesen bietet Fehling eine bühnenreife Aufführung. Alle sitzen nebeneinander, mit freiem Blick auf die Küche im Zentrum. In den Hauptrollen: Jacobsmuscheln auf Wiener Art, Trüffelei und Rehrücken mit Hagebutte, Mohn und Kakaojus. Und eben: Fehling und sein Team. Nur sechs Wochen nach der Eröffnung kürte das Magazin „Der Feinschmecker“ es bereits zum besten Restaurant des Jahres.
Was für Unentschlossene das Paradies, bedeutet für manch anderen die pure Küchendiktatur. Der bekannte Gastrokritiker Heinz Horrmann zum Beispiel schrieb in seiner „Die Welt“-Kolumne „Der Gast soll bekommen, was er sich wünscht, und nicht, was der Restaurateur glaubt, ihm aufzwingen zu müssen.“
Wie bei Mutti, nur edler
Für die Betreiber hat das Konzept hingegen viele Vorteile. Sie müssen nicht viele Zutaten einkaufen, von denen sie schlimmstenfalls die Hälfte wegschmeißen. Außerdem kann sich der Koch besser an saisonalen Angeboten und günstigen Preisen orientieren. Vielleicht ist das sogar eine der wenigen Möglichkeiten, eine Sterne-Küche halbwegs rentabel zu betreiben. Viele andere Gourmettempel, wie zum Beispiel das La Vie in Osnabrück oder das Tantris in München, können nur überleben, weil sie einen solventen Förderer gefunden haben, der den Genuss subventioniert.
Dass die Küchendiktatur aber auch ohne Stern funktionieren kann, zeigt sich in der Hostaria del Monte Croce in Berlin. Schon seit mehr als 30 Jahren müssen sich die Gäste keine Sekunde mit der Speisekarte aufhalten. Denn bei Ankunft um 19.30 Uhr steht der erste Gang bereits auf dem Tisch. An einem Abend Mitte Dezember gibt es gegrilltes Gemüse und warmes Hausbrot, angerichtet auf einem unbehandelten Holzscheid.
Die ehemalige Remise in einem Hinterhof im Stadtteil Kreuzberg erinnert an einen toskanischen Landgasthof. Rustikal ist es und auch ein bisschen düster. Die Gäste sitzen an langen Holztischen zusammen. Es ist so eng, dass ein Gespräch mit den Nachbarn unvermeidlich ist. Alle trinken den gleichen Wein und essen eben, was auf den Tisch kommt.
Wie früher bei Mutti – nur etwas edler.