„All das gehört zu den narrativen Seiten des Essens, wir erzählen mit unserer Wahl der Speisen etwas über uns“, sagt Hirschfelder. Alltägliches wie Essen mit Bedeutung aufzuladen helfe uns, die Komplexität und Virtualität der Welt zu meistern.
Oft schwingen jedoch ganz andere Dinge mit in unseren kulinarischen Geschichten. In dem Maß, wie die Kritik an der Herrschaft der Männer wächst, zelebrieren diese ihre Männlichkeit in der Küche. Das beginnt, sattsam bekannt, mit der Liebe zum schärfsten Messer, dem teuersten Dampfgarer oder gleich dem privaten Fleischreifeschrank, um aus dem normalen Steak ein Dry Aged werden zu lassen.
Dazu kommt die Inszenierung des Archaischen, Verbotenen: So viel nacktes Fleisch zeigt kein klassisches Männermagazin, wie die sehr erfolgreiche Männerzeitschrift „Beef“. Sie präsentiert Hoden, erläutert detailliert das Zerlegen von Tieren und kokettiert mit dem Verbotenen: „Wie schmeckt eigentlich...?“ Das kann dann Wal, Giraffe oder Murmeltier sein.
Heute ist der Mensch am Herd ein Kerl, hier darf er es sein. Oder am Grill, der jüngsten Technik-Sau, die durchs kulinarische Dorf getrieben wird. Statt sich über die PS-Zahlen ihrer Autos auszutauschen, stellen sich bei Grill-Seminaren die Teilnehmer auch mit dem Produktnamen ihres Gasgrills vor.
Aus der Mahlzeit wird eine Botschaft
24 Stunden schmoren auf geschlossenen Kugelgrills und Smokern für mehrere Tausend Euro Fleischstücke, überwacht mit Sonden-Thermometer und Weckruf per Smartphone, falls die Temperatur zu weit nach unten geht. Eine Wurst auf Kohle grillen – alles unter der Würde von Grillmeistern, die lieber Lachs auf Brettern räuchern und Eis mit Baiser kurz im Grill gratinieren.
Wer nicht bei einem der Trends mitmacht, ist schnell raus aus der Gruppe. „Ernährungsstile eignen sich, um andere Menschen abzuwerten. Wer nicht kauft, wie man selbst, ist moralisch unterlegen“, sagt Soziologe Simon Reitmeier. Dabei übersieht man gern so manche Paradoxie: „Das Huhn muss glücklich sein, wie es aber der Küchenhilfe oder dem Stallmitarbeiter geht, interessiert nicht“, so Reitmeier.
Wer isst, wie er sich sieht, wird damit selten hinter dem Berg halten. Das Sendungsbewusstsein eint Veganer wie Kulinariker. Jeder fühlt sich im Ernstfall den Vertretern anderer Ernährungsweisen überlegen. Aus der Mahlzeit wird eine Botschaft, transportiert via Instagram oder dem eigenen Foodblog.
Die Nahrung wird zur Nachricht. Wir beladen den Teller mit gekochter Bedeutung. Und vergessen, dass neben dem Atmen das Essen vor allem eine Notwendigkeit ist, die sich zunächst einmal allen ideologischen Kategorien entzieht.
Niemand würde die Luft, die er atmet, mit rigorosen Einschränkungen oder ehrgeizigen Deutungen belasten. Nur das Essen wird zum Bekenntnis stilisiert, bis sein eigentlicher Sinn fast vergessen scheint und aus der Lust die Last am Essen wird.
Dabei könnte es so einfach sein: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt.