Turnschuhe, deren Sohle sich von selbst auflöst. Ein Handmixer, der keine Sahne mehr schlägt, weil seine Plastikzahnräder sich gegenseitig ausfräsen. Ein Drucker, der schon nach einigen Hundert Seiten eine neue Tonerkartusche haben will. Aber warum funktioniert das alte Röhrenradio auch nach 60 Jahren noch, während der Touchscreen des Handys nach zwei Jahren nicht mehr macht, was er soll?
Geht es da mit rechten Dingen zu? Oder hat Arthur Millers trauriger Held Willy Loman in „Tod eines Handlungsreisenden“ doch recht? „Die planen diese Dinge“, sagt er, als er merkt, dass sein Kühlschrank kaputt ist, für den er gerade erst die letzte Rate bezahlt hat.
Damals, 1949, war das von Miller vermutlich nicht als konkrete Anklage gegen die Konsumgüterindustrie gedacht, sondern sollte das verzweifelte Gemüt des armen Handlungsreisenden zeigen, der glaubt, dass sich die Welt gegen ihn verschworen hat.
Heute ist Lomans Klage nicht mehr so einfach als Mythos oder Verschwörungstheorie abzutun, meint Stefan Schridde. Der Betriebswirt, Ex-Manager und Coach hat sich den Kampf gegen die „geplante Obsoleszenz“ zur Aufgabe gemacht. Also gegen Strategien und Vorgehensweise von Herstellern und Händlern, die durch Verkürzung der Nutzungszyklen den Neukauf von Produkten beschleunigen wollen.
Sein vor kurzem gegründeter Verein „Murks? Nein Danke!“ und sein gleichnamiges Buch, das gerade erschienen ist, sind die Ergebnisse eines Blogs. Er erhielt dort über 3000 Meldungen, oft von Ingenieuren betreffender Unternehmen, die geplanten Murks offenbarten.
Waschmaschinen werden zu Wegwerfartikeln
Computerbildschirme, in denen hitzeempfindliche Bauteile unnötigerweise direkt neben Hitzequellen eingebaut wurden; einen Staubsauger (von Miele!), dessen Filterhalterung schnell bricht; einen Drehstuhl, dessen Scharniere aus weichem Plastik statt abriebfestem Eisen bestehen. Im „Murksbarometer“ sind reichlich große Namen vertreten, ganz oben finden sich Marken wie Philips, Samsung, Apple, Panasonic, aber auch Ikonen des „Made in Germany“ wie Bosch und Bauknecht.
Waschmaschinen scheinen ein besonders beliebtes Objekt für eingebaute Sollschwachstellen zu sein. „In jeder Waschmaschine ist eine Heizspirale, die seit rund 30 Jahren zu Ende entwickelt ist“, sagt Schridde. „Doch die Reparaturhäufigkeit dieses Teils hat sich in derselben Zeit verfünffacht. Dieses Bauelement wurde also so verändert, dass es weniger lange hält. Bei vielen anderen Konsumgütern gilt ähnliches.“
Auch Sepp Eisenriegler, Gründer und Geschäftsführer des Reparatur- und Service-Zentrums (R.U.S.Z.) in Wien, klagt über „Wegwerfmaschinen“, deren Kugellager nicht in Gusseisen, sondern in Plastik eingebettet ist, so dass sie, einmal ausgeschlagen, nicht mehr zu reparieren sind.
Ein anderes Beispiel: Tonerkartuschen von Druckern haben meist versteckte Zählwerke. Sie sorgen dafür, dass das Gerät nach einer festgelegten Zahl von Ausdrucken meldet, ein Wechsel sei fällig. Dass diese Kartuschen unverhältnismäßig teuer sind, weiß jeder, der schon mal eine gekauft hat.
„Da verdient ein Unternehmen nicht am eigentlichen Produkt, sondern daran, dass es diese Verschleißteile sehr teuer verkauft“, sagte Eisenriegler im Gespräch mit dem ORF. „Es geht sogar so weit, dass es manchmal lohnender ist, einen ganzen Drucker inklusive Kartuschenset zu kaufen als nur die Kartuschen alleine.“
Ein Zeichen betriebswirtschaftslicher Hilflosigkeit
Hersteller reden sich meist damit heraus, diese Maßnahmen dienten der Qualitätssicherung. Doch dann wäre zumindest ein deutlicher Hinweis an den Käufer fällig, wie man das Gerät trotzdem weiter betreiben kann. Doch der fehlt in aller Regel. Die Stiftung Warentest hat 2013 bei einem Test von Waschmaschinen keine Belege gefunden, „dass gezielt ein frühzeitiger Verschleiß von Produkten herbeigeführt wird.“
Doch „Möglichkeiten dafür“ gebe es viele, räumen die Autoren ein und listen die „Tricks“ auf: „hohe Reparaturkosten, fest eingebaute Akkus, fehlende Ersatzteile, Drucker, die fälschlich leere Patronen anzeigen oder Produkte, die sich nicht reparieren lassen“.
Wie das geht, zeigt zum Beispiel Bosch mit seinem Akku-Rasenmäher rotak 43 li, über den sich ein Haiko P. am 20. Mai 2014 beschwert: Der Akku habe kurz nach Ablauf der zweijährigen Garantie den Geist aufgegeben. Der Ersatz koste 100 Euro. „Die Akkuzellen“, schreibt Haiko P., „sind verlötet, sodass nur sehr schwer festgestellt werden kann, welche kaputt ist. Eine Zelle kostet ungefähr 3 Euro. Man braucht Spezialwerkzeug, um an das Innenleben heranzukommen. Der Akku könnte auch nur verschraubt sein, ohne Komforteinbußen.“ Absicht oder einfach nur Nachlässigkeit der Bosch-Entwickler?
Verantwortung des Managements
Die Frage der Vorsätzlichkeit sei natürlich nicht durch technische Tests nachweisbar, sondern allenfalls vor Gericht zu klären, wendet Schridde ein. „Manchmal hat das einfach mit schlechter Kommunikation von Beschaffung und Ingenieuren zu tun. Aber das ändert nichts an der Verantwortung des Managements. Wenn es billigend in Kauf nimmt, dass ein Produkt nur begeistern aber nicht haltbar sein soll, ist das schließlich eine gewollte Unterlassung.“
Der Einwand von Unternehmen, Verbänden und anderen Skeptikern der geplanten Obsoleszenz: Welcher Hersteller sollte aus dem Murks ein System machen? Beschädigt das nicht seine Marke? Schridde hält diese Argumente, die er auch von Unternehmen und Verbänden hört, für „Nebelkerzen“. Die Hersteller produzierten nicht so sehr direkt für den Konsumenten, sondern für den Handel. Und der habe beim Einkauf nicht dasselbe Interesse wie der Konsument.
„Geplante Obsoleszenz ist ein Zeichen der Hilflosigkeit der Betriebswirte: In dem Moment, wo ein Markt gesättigt ist, fällt ihnen nichts Besseres ein als die Umschlagshäufigkeit im Sortiment hoch zu drehen“, sagt Schridde. Eisenriegler sieht das genauso: „Die Optimierung für die Hersteller im Sinne von "wie kann ich viel verkaufen" hat erst stattgefunden, seitdem eine gewisse Marktsättigung eingetreten ist. Die haben wir eindeutig bei Haushaltsgeräten.“
Wie wird Obsoleszenz obsolet?
Geplante Obsoleszenz ist aus zwei Gründen ein Ärgernis. Es ist erstens ein Betrug am Kunden, der gezwungen wird, Dinge zu ersetzen, die eigentlich noch funktionieren. In einer im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen 2013 erstellten Studie hat Schridde ausgerechnet, dass die deutschen Haushalte 100 Milliarden Euro im Jahr sparen würden, wenn die Produkte nur so lange hielten wie vor dreißig Jahren.
Dieses Geld bleibt also übrig, um andere Dinge zu kaufen, möglichst dezentral gefertigt für regionale Märkte. „Haltbarkeit ist so gesehen ein Konjunkturprogramm“, behauptet Schridde.
Das zweite und größere Ärgernis ist die absurde Verschwendung von Ressourcen, die sich innerhalb kürzester Zeit in Müll verwandeln. „Ressourceneffizienz wird in allen Industrieunternehmen verstärkt thematisiert. Aber es macht doch keinen Sinn, solange man weiterhin kurzlebige Produkte herstellt“, sagt Schridde.
Gewollter oder zumindest billigend in Kauf genommener Murks als Massenphänomen sei nur zu verstehen, glaubt Schridde, weil in der gegenwärtigen Wirtschaft grundlegend falsche Prioritäten verfolgt würden: „Unsere Wirtschaft ist von falschen Zielvorstellungen geprägt. Unter der Perspektive einer werdenden Kreislaufgesellschaft gehören die komplett auf den Prüfstand.“
Der Abschied vom Wahnsinn des gewollten Murkses ist darum für Schridde und seine Mitstreiter zunächst eine Frage der Aufklärung des einzelnen Käufers und Nutzers: Murks erkennen, nicht kaufen, haltbare Dinge verlangen, Geräte reparieren (lassen), statt sie gleich zu ersetzen.
Jeder Käufer wird zum Glied der Kette
Wenn man das langfristige Ziel einer ressourcenneutralen Kreislaufwirtschaft ernst nimmt, in der es keinen Müll mehr geben soll, sondern nur Produkte aus wiederverwertbaren Bestandteilen, dann gibt es keinen Endverbraucher mehr, sondern jeder Käufer wird zum Glied einer endlosen Kette.
Aber Obsoleszenz obsolet werden zu lassen, hat auch eine politische Dimension. Frankreich, dem sich Deutschland in ökologischen Angelegenheiten sonst überlegen fühlt, ist da schon weiter. Gerade hat ein Gesetzesentwurf der französischen Grünen in der Pariser Nationalversammlung eine Mehrheit gefunden, der es möglich machen wird Produkthersteller oder – importeure wegen geplanter Obsoleszenz („obsolescence programmée“) zu verurteilen.
Und die Hersteller selbst? Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat Schridde schon vor einem Jahr zu einem Vortrag geladen. Das Problem wurde nicht verleugnet. Man sei an einem fairen Diskurs interessiert, verlautete aus dem BDI.
„Ich glaube, viele Betriebe würden gerne rauskommen aus der Nummer“, sagt Schridde. „Sie wissen nur noch nicht wie.“