Betrachtet man nicht nur die Lohneinkommen, sondern die Einkommen auf Haushaltsebene so wird deutlich, dass vor allem viele weibliche Normalarbeitnehmer in Westdeutschland sowie ostdeutsche männliche und weibliche Normalarbeitnehmer zusätzlich auf staatliche Transferleistungen und auf das Einkommen ihres Lebenspartners angewiesen sind, um „Armut“ zu vermeiden. Wobei man natürlich auch nicht vergessen sollte, wie es die gewerkschaftsnahen Autorinnen der Bremer Studie leider tun, dass das absolute Wohlstandsniveau eines Normalarbeitnehmers und die so genannte Armutsgrenze in den vergangenen Jahrzehnten nach oben entwickelten.
Die Ansprüche eines mittleren Lebensstandards für eine mindestens dreiköpfige Familie kann jedenfalls nur noch ein Viertel der vergleichsweise gut verdienenden männlichen Normalarbeitnehmer in Westdeutschland allein mit einem Einkommen erreichen. Für weibliche Normalarbeitnehmer im Westen, aber auch für ostdeutsche Normalarbeitnehmer liegt der entsprechende Anteil bei unter zehn Prozent.
Faktisch ist damit die Zweiverdienerfamilie zur Voraussetzung für Wohlstandssicherung geworden. Umgekehrt sind insbesondere alleinerziehende Frauen selbst mit qualifizierter Vollzeiterwerbstätigkeit zu mehr als zwei Dritteln nicht in der Lage, den Bedarf ihres Haushalts allein durch ihr Erwerbseinkommen zu decken.
Ob das neue kulturelle Leitbild der erwerbstätigen Frau und veränderte Regelungen in der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, die auf die Erwerbstätigkeit auch von Frauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzen, ein Antreiber oder eine Folge dieses Prozesses sind, ist wohl eine müßige Frage. Vermutlich wurden und werden die Frauen ebenso stark ins Berufsleben gezogen, wie sie selbst hineindrängten. Die Geschichte der Frauenerwerbstätigkeit kann man ebenso als eine der Befreiung der Frauen aus dem Hausfrauendasein erzählen, wie als eine der Zerstörung traditioneller Familienstrukturen und Solidaritätsordnungen. Aus der Perspektive von Sheryl Sandberg ist es eine Befreiungsgeschichte, aus der Perspektive einer Supermarktkassiererin eher das Gegenteil. Sandberg hätte früher nicht arbeiten dürfen, die Kassiererin hätte vielleicht nicht arbeiten müssen.