Gesellschaftliche Debatte Die Intoleranz der Toleranten

"Toleranz" ist zum politischen Kampfbegriff der Regierenden und zum Einfallstor bestimmter Lobbygruppen und Ideologien geworden. Bundeswehrsoldaten zum Beispiel darf man weiter nach Belieben diskriminieren.

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Mächtige Männer und ihre Fehltritte
Mosche Katzav Quelle: AP
Herman Cain Quelle: REUTERS
Dominique Strauss-Kahn Quelle: dapd
Stefan Glänzer Quelle: dpa
Keith Rabois Quelle: Presse

Wir werden immer toleranter. Zumindest setzen sich regierende Politiker auf allen Ebenen dafür ein. Nicht nur die neue Familienministerin Manuela Schwesig erklärt, sie wolle „Demokratie und Toleranz“ zu einem Hauptthema ihrer Politik machen.  In Brüssel hat außerdem ein “European Council on Tolerance and Reconciliation”, dem zahlreiche verdiente Ex-Präsidenten, Ex-Regierungschefs und Ex-Minister angehören, dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schultz einen Entwurf eines „Model National Statute for the Promotion of Tolerance“ eingereicht.

Dieser Entwurf, nach dem „Anti-Feminismus“ genauso bekämpft werden soll wie Rassismus und Antisemitismus  hat nicht ganz so viel Aufmerksamkeit erreicht, wie der ebenfalls unter dem Banner der Toleranz im Stuttgarter Schulministerium entworfene „Bildungsplan 2015“. Er soll „Werte wie Respekt, Toleranz und Weltoffenheit vermitteln“ .

Toleranz ist eine dieser Vokabeln, die uns in Politik, Wirtschaft und überall im öffentlichen Leben begegnen und ein unbestreitbar positives Image haben. Toleranz, abgeleitet vom lateinischen Verb tolerare (erdulden), war jahrhundertelang eine Forderung gegen den Anspruch autoritärer Herrschaft, ihre eigenen Normen und meist religiösen Wertvorstellungen durchzusetzen. Toleranz ist ohne Zweifel  die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft frei genannt werden kann.

Sind also die mehr als 150 000 Unterstützer der Petition gegen den Stuttgarter Bildungsplan Feinde der Freiheit?

Toleranz war einmal ein Recht, das gegen den Staat oder herrschende Mehrheiten erstritten wurde. Und Toleranz war etwas Passives: Die Mehrheit der Gesellschaft erduldet die Andersartigkeit der Minderheit.

Die Toleranz der oben genannten politischen Initiativen wird nicht mehr gegen den Staat erkämpft. Im Gegenteil: Die aktuelle Toleranz kommt von oben, von den Regierungen. Es geht nicht mehr darum, eine Abweichung von der Mehrheit oder vorherrschenden Ansichten nur hinzunehmen. Für die baden-württembergische Landesregierung ist es daher nur konsequent, das, was sie unter Toleranz versteht, in einen „Erziehungsauftrag“ (Winfried Kretschmann) umzuformulieren, nämlich jenen Bildungsplan 2015.

Latente Unterstellung gegen Arbeitgeber

Aus dem Professor wird "Professx"
Mit dem X gegen KlischeesLann Hornscheidt, Professorin an der Berliner Humboldt-Universität, möchte mit einer kleinen Wortänderung traditionelle Geschlechterrollen in der Sprache aufbrechen. Häufig fühlten sich Studierende diskriminiert, weil sie als „Herr“ oder „Frau“ angesprochen würden, sagte Hornscheidt. Die Wissenschaftlerin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien schlägt vor, etwa von „Professx“ statt von „Professor“ oder „Professorin“ zu sprechen. Die neutralen Endungen entfernten den Zwang, sich einem Geschlecht zuordnen zu müssen. „Die x-Form soll deutlich machen: Es gibt auch noch mehr als Frauen und Männer.“ Quelle: Fotolia
Schön dem Herrn Professorin zuhörenGleichberechtigung schön und gut. Eine Radikalkur in Sachen Feminismus gibt es an der Uni Leipzig: Dort sind Männer jetzt auch Frauen - zumindest sprachlich. Denn die neue Verfassung der Universität sieht nur noch weibliche Bezeichnungen vor. Schrägstrichbezeichnungen wie "Professor/in" entfallen und werden durch die weibliche Form ersetzt. So ist mit "Professorin" künftig auch ein Mann gemeint, worauf dann eine Fußnote verweisen soll. Die neue Grundordnung ist zwar noch nicht in Kraft getreten - doch mit einem Widerspruch rechne man nicht. Quelle: dpa
Frauenquote für StraßennamenFür Schlagzeilen sorgt die Gender-Debatte immer wieder. Derzeit steht die Namensgebung für Straßenschilder in Berlin-Kreuzberg im Blickpunkt: Das Jüdische Museum (Foto) möchte seinen Vorplatz nach dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn benennen. Doch die Verwaltung sperrt sich dagegen, denn in dem Stadtteil gibt es seit 2005 eine Frauenquote für Straßennamen. Demnach muss die Hälfte  der Straßen und Plätze nach Frauen benannt werden. Bis die Quote erreicht ist, dürfen nur noch weibliche Namen vergeben werden. Quelle: REUTERS
Änderung der österreichischen NationalhymneNach langem Rechtsstreit hat Österreich seine Nationalhymne geändert, und ehrt nun nicht mehr nur die „Heimat großer Söhne“ sondern auch der „Töchter“. Aus "Heimat bist du großer Söhne, Volk, begnadet für das Schöne" wurde nach jahrzehntelangen Debatten ab Januar 2012 in der ersten Strophe: "Heimat großer Töchter und Söhne, Volk, begnadet für das Schöne". Geändert wurde auch die dritte Strophe der von Paula Preradovic gedichteten Bundeshymne: Statt „Einig lass in Bruderchören, Vaterland dir Treue schwören" werden nun „Jubelchöre" besungen. Das von manchen bevorzugte "Heimatland" statt "Vaterland" konnte sich hingegen nicht durchsetzen. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Mädchen mit Pistolen in SchwedenSchweden gilt nicht ohne Grund als Vorreiter in Sachen Gleichstellung. Weihnachten 2012 nahm das neue Ausmaße an: Nach massiven Beschwerden über Rollenklischees in einem Spielzeug-Katalog wurde ein geschlechtsneutraler Katalog herausgebracht. Darin posieren kleine Mädchen mit Spielzeugpistolen, Fußbällen und Autos. Kleine Jungs dürfen dafür mit dem rosa Friseur-Set spielen oder Hunde, die mit Schleifchen dekoriert wurden, Gassi laufen. Quelle: dpa
Geschlechtsneutrale Vorschule in SchwedenUnd noch einmal Schweden. Dort gibt es eine umstrittene geschlechtsneutrale Vorschule namens „Egalia“. In der Einrichtung sollen die Kinder sich so entwickeln, wie sie es möchten, ohne in stereotype Rollenbilder gedrängt zu werden. Die Worte „Junge“ und „Mädchen“ werden nicht in den Mund genommen, stattdessen sagen die Erzieher/innen „Freunde“. Auch bei der Auswahl der Spielsachen werden Klischees vermieden. So gibt es etwa kein einziges Märchenbuch, weil Märchen Klischees vermitteln; traditionelle Lieder wurden umgedichtet. Quelle: dpa
Unisex-Toiletten in BerlinDer Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nimmt sich all jenen an, die sich beim Toilettengang nicht entscheiden können, welche Tür sie nehmen sollen. Wer sich weder als Mann, noch als Frau fühlt, soll zukünftig in öffentlichen Gebäuden Unisex-Toilette nutzen können. Quelle: dpa/dpaweb

Hinter dessen Erziehungsziel "Akzeptanz von Sexueller Vielfalt" verbirgt sich, wie die Petition, die nun in der Stuttgarter Landesregierung und auch in der Öffentlichkeit für so viel Empörung sorgt, durchaus korrekt anmerkt, die wissenschaftlich höchst umstrittene so genannte Gender Theorie  von der sozialen Konstruktion des Geschlechtes. Kretschmann ist davon überzeugt: „Im Kern ist das, was da steht, einfach richtig". Die meisten Biologen, Anthropologen und Theologen können mit dem Menschenbild der „Gender Studies“ dagegen nicht viel anfangen. Doch von denen ist im Stuttgarter Bildungsplan keine Rede.  

Toleranz ist eigentlich eine Haltung, die davon ausgeht, dass Aussagen über Menschen nicht „einfach richtig“ sind, sondern verschiedene Ansichten geduldet werden sollten. Doch gerade diejenigen, die heute am lautesten Toleranz fordern, zeigen sich oft erstaunlich intolerant gegen andere Menschenbilder als ihre eigenen. Wer leise Zweifel an der Gender-Theorie von der Konstruktion der Geschlechter äußerst, ist ein „Antifeminist“ (und damit nach dem „National Statute for the Promotion of Tolerance“ in eine Reihe mit Antisemiten zu stellen) und wer nicht findet, dass der Lebensbund von Schwulen und Lesben steuerlich begünstigt werden sollte, gerät schnell in den Ruf „homophob“ zu sein. Der nicht gerade als urkonservativer Betonkopf geltende Norbert Blüm durfte diese Erfahrung jüngst nach einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung machen. In mancher Online-Diskussion genügt es schon, das Outing von Thomas Hitzelsperger nicht für eine heroische Tat zu halten, um sich beschimpfen zu lassen.

Wir leben in einer freien, aufgeklärten Gesellschaft, die längst in ihrer übergroßen Mehrheit akzeptiert hat, dass Homosexualität keine Krankheit und nicht pervers, sondern völlig normal ist. Doch gerade weil das so ist, empfinden viele Menschen die dauernde Aufforderung zur Toleranz in Lehrplänen und Gesetzen nicht als befreiend, sondern fühlen sich bedrängt. Muss wirklich jeder Schüler im Detail darüber "aufgeklärt" werden, was transsexuelle oder "queere" Menschen im Bett miteinander tun? Wen es interessiert, dem stehen im Internet schließlich Informationen in Hülle und Fülle zur Verfügung.

Wenn heute der Gesetzgeber für mehr Toleranz zu sorgen vorgibt, dann bedeutet das für viele Menschen, vor allem für Unternehmer und Personalverantwortliche, nicht mehr sondern weniger Handlungsfreiheit. Der Gesetzgeber tut damit nämlich so, als habe sich in der Gesellschaft und gerade in der Wirtschaft seit dunklen, vormodernen Zeiten wenig geändert, und als seien die Personalabteilungen bevölkert von latenten Sexisten, Rassisten und Schwulenhassern. Weil das Antidiskriminierungsgesetz die Beweislast weitgehend umkehrt, steht jeder Arbeitgeber heute unter Dauerdruck zu zeigen, dass er Frauen, Migranten und Homosexuelle besonders fördert und jegliche Benachteiligung im Ansatz bekämpft. Die Antidiskriminierungspolitik schafft dadurch in vielen Betrieben ein Klima der Verdruckstheit.   

Wo die neue Toleranz aufhört

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Bundeswehr familienfreundlich machen. Doch eine Armee ist kein Arbeitgeber wie jeder andere. Militärpfarrer Claus-Jürgen Richter über die wahren Nöte der Soldaten.
von Ferdinand Knauß

Die Fragwürdigkeit des gegenwärtigen Toleranzbegriffs und seine Instrumentalisierung durch ganz spezifische Interessengruppen (Auch Lesben- und Schwulenverbände betreiben Lobby-Arbeit) wird besonders klar, wenn man sich deutlich macht, wie wählerisch er ist. Es gibt nämlich sehr viele Menschengruppen, für die das Toleranzgebot offenbar nicht gilt. Und die darf man auch unter dem Banner der Toleranz mit bestem Gewissen verächtlich machen. Es geht hier nicht um Witze, die man weiterhin über Ostfriesen, Pfälzer oder Blondinen machen darf. Es geht – nur zum Beispiel – um eine gar nicht so kleine Menschengruppe in Deutschland, die man ziemlich ungeniert diskreditieren und sogar völlig ungestraft als Mörder bezeichnen kann. Eine Gruppe, die nicht durch ihre sexuelle Orientierung oder ihre ethnische Herkunft bestimmt ist, sondern dadurch, dass sie im äußersten Fall dazu bereit ist, im Auftrag der Volksvertreter ihr Leben zu riskieren. Sie müssen sich sogar gefallen lassen, dass der feierliche Akt, durch den sie geloben, dies zu tun, von anderen Menschen laut geschmäht wird.

Ein Bundeswehrsoldat, der in Uniform durch Kreuzberg in Berlin oder durchs Schanzenviertel in Hamburg läuft, wird sich mindestens ebenso unerwünscht fühlen, wie ein schwules Paar beim Händchenhalten in einem oberbayrischen Dorf. Der junge Offizier Dominik Wullers berichtet in der „Zeit“ darüber, dass er – als dunkelhäutiger Sohn einer kapverdischen Mutter – noch nie wegen seiner Hautfarbe, aber schon sehr oft wegen seiner Uniform angepöbelt wurde. In Berlin sei er schon angespuckt worden. 

Jeder zehnte Bundesbürger empfindet nach einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Abneigung und sogar Verachtung für Soldaten. Viele Hochschulen haben sich so genannte „Zivilklauseln“ verordnet, das heiß, sie verweigern jede Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Viele Schulen verweigern mit Unterstützung der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“  den Jugendoffizieren der Bundeswehr den Zutritt zu Schulen. Drei Schulen erhielten dafür 2013 sogar den „Aachener Friedenspreis“. Er wird unter anderem von SPD und Grünen gefördert.

Die Bundeswehr und ihre Uniform ist ein willkommener Blitzableiter für alle, die mal ordentlich Dampf ablassen wollen über „Krieg“ und das Böse in der Welt. Das Praktische daran ist, dass man es völlig gefahrlos und mit bestem Gewissen tun kann, ohne als intolerant oder diskriminierend zu gelten. Weder das Gesetz noch die öffentliche Meinung nehmen Soldaten vor Pöbeleien in Schutz. Nicht einmal die Bundeswehrführung selbst wehrt sich gegen die alltägliche Diskriminierung auf der Straße, in Schulen und Hochschulen.  Das sei das „Schlimmste“ sagt Offizier Wullers.

Bundeswehrsoldaten könnten sich mit gutem Grund als eine diskriminierte Gruppe bezeichnen. Aber wahrscheinlich würden sich die anderen Diskriminierungsopfer nicht wohl fühlen, wenn Soldaten gemeinsam mit ihnen demonstrierten. Da hat die Toleranz dann ihre Grenze.

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