Griechenland Mit Restaurants und Kochshows gegen die Krise

Griechenland kocht die Krise weg: Ausgerechnet in Zeiten wirtschaftlicher Depression sind griechische Köche selbstbewusst - und entdecken die einheimische Küche neu.

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Mittlerweile ist er mit einem Michelin-Stern dekoriert: Hytra-Küchenchef Anastasios Mantis. Quelle: Presse

Noch haben die Vorbereitungen für die Abendschicht nicht begonnen, doch in der Küche des Restaurants Hytra riecht es bereits nach Sommer. Die Thymianblüte, die Küchenchef Anastasios Mantis in seiner Hand wiegt, ist gerade mal so groß wie der Nagel eines kleinen Fingers. Er zerreibt sie, ein herb-würziges Aroma liegt noch lange in der Luft.

Für den Koch war die Pflanze mit dem durchdringenden Geruch der Grund, in seine Heimat zurückzukehren. Vor zehn Monaten gab er eine Stelle als Souschef im belgischen Drei-Sterne-Restaurant Hof van Cleve auf, einem der renommiertesten Restaurants der Welt. Er wollte wieder Essen kochen, dessen Zutaten auf griechischer Erde wachsen. Mit Fliskouni, der wilden Minze, die in großen Mengen eine betäubende Wirkung entfaltet. Und mit Zea, dem Einkorn mit den zwei Ähren – vermutlich das älteste Getreide der Welt.

In einer Zeit, in der viele seiner Altersgenossen das Land verlassen, weil sie keine wirtschaftliche Zukunft sehen, hat sich der 34-jährige Mantis gegen eine sichere Karriere im Ausland entschieden. Für ihn war die Aussicht verlockender, in Athen sein eigener Herr zu sein. Der Erfolg gibt ihm recht. Mittlerweile ist er mit einem Michelin-Stern dekoriert.

Wirtschaftskrise gibt der Gastronomie Auftrieb

So paradox es klingen mag: Ohne die Krise wäre Mantis vermutlich nie zurückgekommen. Seit das Bruttoinlandsprodukt eingebrochen ist, verlassen die Griechen scharenweise die Städte, weil das Leben dort zu teuer ist. Auf dem Land entdecken sie den Reichtum der Natur, für den sich lange niemand interessierte. Vergessene Gemüse- und Getreidesorten werden wieder angebaut. „Vor einigen Jahren hat hier niemand wilde Kräuter gesammelt“, sagt Mantis. „Heute schöpfe ich aus einem Fundus, der größer ist als je zuvor.“

Für die griechische Gastronomie war die Rückkehr von Mantis ein Signal. Wenn einer wie er es probiert, gibt es noch Hoffnung. Das Ergebnis ist eine verfeinerte griechische Küche, die stolz ist auf ihre bäuerlichen Wurzeln; die mit Molekular-Elementen genauso spielt wie mit der Wohlfühlkost der Yiayia, der Großmutter.

Lecker essen in Athen

Gehobene Küche, das waren in Griechenland lange französische Klassiker, wie sie das „Spondi“, das Mutterhaus von Mantis’ Restaurant, heute noch in Perfektion auf den Teller bringt. Daneben gab es in Tavernen die wenig raffinierten Grillgerichte und mal mehr, mal weniger fette Variationen von Auberginen, oft lauwarm. „Als 2004 die Olympischen Spiele in Athen stattfanden, verstand man unter griechischer Küche hauptsächlich Souvlaki und Moussaka“, sagt Vasilis Kallidis und übertreibt nur leicht.

Der 39-Jährige ist Restaurantbesitzer, Fernsehkoch und in Griechenland eine kleine Berühmtheit. Anders als der scheue Mantis, der sich am Herd am wohlsten fühlt, sucht Kallidis sein Publikum. Seit zwei Jahren tourt er mit seiner Sendung „Nostimi yi“ (Köstliche Erde) durch das Land.

Mission am Herd: Fernsehkoch Kallidis sucht das kulinarische Erbe Griechenlands. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Mindart Photography - Sotiris Stampoulidis

Nach Xanthi im Norden, nach Arkadien auf dem Peleponnes, auf die Kykladeninsel Paros. Er besucht Käseproduzenten, befragt Fischer und kocht vor laufender Kamera mit den örtlichen Produkten. Kallidis ist das Gesicht einer ganzen Bewegung, die sich in Griechenland auf die Suche nach dem kulinarischen Erbe gemacht hat.

Sehnsucht nach heiler Welt

Der Name seiner Sendung spielt auf den griechischen Begriff „Nostos“ an, das Heimweh, das Homer schon beschrieb. Mit seinen Reisen bedient Kallidis die Sehnsucht nach einer heilen Welt jenseits von Austerität und Sparpaketen. Mit seiner Serie hat er den Griechen vor allem den Stolz auf ihre Heimat wiedergegeben. In einer Zeit, in der Politiker und Medien ausgiebig über Fremdbestimmung durch die Troika lamentieren, ist das eine große Leistung.

Mit Verspätung entdecken die Griechen nun ihre kulinarischen Wurzeln, und sie haben viel aufzuholen. Anders als in Frankreich, Italien oder Spanien, wo die Menschen lokale Spezialitäten mit Liebe pflegten, war für die Griechen Handgemachtes lange Zeit gleichbedeutend mit Rückständigkeit. Ein bisschen so, als ob sie die Armut ihrer Vorfahren abstreifen wollten. „Wir haben uns für die Dörfer geschämt, aus denen unsere Familien stammten“, sagt Kallidis. „Wenn wir Olivenöl und Käse in die Stadt brachten, haben wir die in Plastiktüten versteckt. Wir hätten sie nie unseren Gästen serviert.“

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