
Immer der Nase nach! Wer in London auf der Villiers Street in Richtung Themse geht, nimmt den unverwechselbaren Duft erst schwach, dann immer deutlicher wahr: Es riecht nach... Currywurst.
Ein paar Schritte weiter, und man sieht den Schriftzug „Herman ze German“. Es ist Mittagszeit, drinnen stehen die Kunden – ganz britisch diszipliniert – Schlange. Lena aus Duisburg bedient. Bockwurst mit Brötchen gibt’s für 4,45 Pfund, Currywurst mit Pommes für 5,95 Pfund; eine Tafel empfiehlt der figurbewussten Kundin („No Carbs, Fräulein“): Wurst mit Salat.
Die drei Biertische sind voll besetzt, viele Engländer, ein Franzose und ein Deutscher mampfen die Ware von Metzger „Fritz“ aus Steinen bei Lörrach, der eigentlich Karl-Friedrich Hug heißt.
Deutschland ist hip
„Herman ze German“ liegt voll im Trend: Am 9. Oktober eröffneten die beiden deutschen Gründer Florian Frey, 34, und Azadeh Falakshahi, 31, in der Londoner Charlotte Street ihr drittes Lokal, ein viertes im Szeneviertel Shoreditch soll nächstes Jahr folgen. „Unser Erfolg zeigt, wie cool und hip Deutschland ist. Bockwurst und Berlin ist bei den Briten total angesagt“, sagt Frey, ein ehemaliger Friseur, der mit seinem Laptop im Eck seines neu eröffneten Restaurants sitzt.
An der Wand hängen alte Fleischwölfe und im Hintergrund dudeln Songs von Falco und Peter Schilling („Völlig losgelöst von der Erde / schwebt das Raumschiff, völlig schwerelos“) – die Neue Deutsche Welle aus den Siebziger- und Achtzigerjahren lässt grüßen.





Von Nazi-Witzen zu Kunst
Damals mussten Deutsche in Großbritannien noch krude Nazi-Witze ertragen, wurden im Fernsehen als „Fritz“ porträtiert, der sich vor allem im Stechschritt fortbewegt, und John Cleese alias Basil Fawlty aus der TV-Serie Fawlty Towers hatte mit seinem Spruch „Don’t mention the war“ alle Lacher auf seiner Seite.
Noch am 24. Juni 1996 – Deutschland trat im Halbfinale der Fußball-EM gegen Gastgeber England an – titelte der „Daily Mirror“: „ACHTUNG! SURRENDER! For you Fritz, ze Euro 96 Championship is over!“
Wie sich die Zeiten ändern: Heute ist Deutschland en vogue, nicht nur wegen des bevorstehenden Mauerfall-Jubiläums. Das British Museum zeigt seit dem 16. Oktober die Ausstellung „Germany – Memories of a Nation“, die 600 Jahre deutscher Geschichte dokumentiert, parallel strahlt die BBC eine Serie mit Museumsdirektor Neil MacGregor aus, und das Migration Museum befasst sich mit den deutschen Einwanderern in Großbritannien.
Doch damit nicht genug: Die Tate Modern, eines der wichtigsten Museen für Gegenwartskunst, präsentiert eine Werkschau des Malers Sigmar Polke, die Londoner Marian Goodman Gallery stellt Gerhard Richter aus, und die Royal Academy widmet Anselm Kiefer eine Retrospektive.





Edelküchen, Autos, Birkenstock
„Deutsche Nachkriegskunst begann schon in den frühen Neunzigern internationale Popularität zu gewinnen“, so Jussi Pylkkanen, Chairman des Londoner Auktionshauses Christie’s. „Wir haben den Leuten die Augen für die deutsche Kunst geöffnet“, sagt er stolz.
Der Direktor der Tate Modern, Chris Dercon, meint: „Deutschland gilt nicht mehr als Land der großen Ideen, sondern der großen Bilder. Man braucht keine Angst mehr vor Deutschland zu haben.“ Für Dercon, einen Belgier, der das Haus der Kunst in München geleitet hat, spielt auch der zunehmende politische Einfluss Deutschlands eine Rolle: „Deutschland ist das Epizentrum in Europa, ihm kommt eine Schlüsselrolle zu – auch im Verhältnis zu den USA und zu Russland.“
Doch die neue Liebe der Briten für alles Deutsche geht weit über das rein Kulturelle hinaus: Da ist der Snob-Appeal deutscher Edelküchen, die sich bei wohlhabenden Briten großen Zuspruchs erfreuen, und die Bewunderung für die technische Perfektion deutscher Autos, die – wie der Mini, der Bentley und der Rolls-Royce – zum Teil in englischer Verkleidung daherkommen.
Selbst die Biedersandale Birkenstock erlebte diesen Sommer eine modische Renaissance. Berlin gehört zu den Top-Reisezielen junger Briten, Ältere suchen dort die Nostalgie des Kalten Kriegs. In der Adventszeit reisen die Briten gern nach Nürnberg, Würzburg und Köln, sie lieben Glühwein und Stollen, die deutsch-englische Firma Xmas Markets hat die Christkindlmärkte sogar nach Großbritannien geholt. Es gibt Weihnachtsmärkte in Birmingham und Manchester und im Londoner Hyde Park das „Winter Wonderland“.





Unaufgeregter Führungsstil von Angela Merkel
Und dann ist da noch der Sport, ein zwiespältiges Thema. „Two World Wars and One World Cup“ heißt der Fußball-Song, mit dem die Engländer gern an ihren WM-Sieg von 1966 erinnern. Doch dieses Jahr, bei der WM in Brasilien, drückten nach dem Ausscheiden der englischen Nationalmannschaft auch Briten den Deutschen die Daumen.
Deutsche Spieler in britischen Clubs sind beliebt: So verpassten die Fans des FC Arsenal Verteidiger Per Mertesacker, angelehnt an das Kinderbuch „Big friendly Giant“, den Spitznamen „Big Fucking German“. Und das ist durchaus freundlich gemeint.
Die Bundesrepublik ist heute für viele Briten ein Vorbild, auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch in der Politik. Nicht zuletzt aufgrund des unaufgeregten Führungsstils von Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Deutschland ist ein sehr friedlicher, unaufdringlicher Ort – es fehlt an Pomp und dem aufgeblasenen militärischen Getue, das unseren eigenen Staat entstellt“, schrieb jüngst der Schriftsteller Will Self im „Guardian“.
Der ehemalige Vorstands- und Verwaltungsratsvorsitzende der britischen Großbank HSBC, Lord Stephen Green of Hurstpierpoint, der Handelsminister in der Regierung David Camerons war, hat soeben ein Buch mit dem Titel „Reluctant Meister“ veröffentlicht, in dem er die neue politische Identität Deutschlands vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte analysiert.