Günther Ücker "Poesie wird mit dem Hammer gemacht"

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Privilegiertes Leben in Ostberlin

1951 kamen Sie dann an die Kunstschule nach Wismar. Wie frei lebten Sie als Kunststudent in der DDR?

Wir waren sehr privilegiert, bekamen 2000 Mark im Monat, hatten eine Intelligenz-Lebensmittelkarte, die uns anderthalb Kilo Fleisch pro Woche garantierte – so viel wie den Schwerstarbeitern in den Uranbergwerken. Ich hatte sogar ein Auto mit Fahrer, um in den Badeorten die Polit-Propagandatafeln zu installieren, die wir gemalt hatten. Und um den Menschen auf dem Land die Parteitagsbeschlüsse vor Augen zu führen. Finanziert hat das ein Kombinat, dem ich danach Rechenschaft ablegen musste, weil sie mein Studium unterstützten.

Sie haben 1951 auch an den Weltjugendspielen in Ostberlin teilgenommen und hatten so erstmals die Gelegenheit, Westberlin zu besuchen. Ein Kulturschock?

Nein, wir fühlten uns sehr gefestigt in unseren Vorurteilen. Der Kapitalismus war für uns wie ein Futtertrog, mit dem man Schweine lockt.

Und dem Sie widerstehen konnten?

Wir haben uns Klamotten in Westberlin gekauft – elegante Mäntel, Ringelsocken, Kreppschuhe. An manchen Tagen gingen wir fünf Mal ins Kino.

Die außergewöhnlichsten Kunstmuseen
Museum of Medieval Torture Instruments, Damrak 33, 1012 LK AmsterdamDas niederländische Kulturzentrum Amsterdam bietet mit Häusern wie dem Van Gogh Museum oder dem Rijksmuseum nicht nur einige der besten Ausstellungshallen für die höhen Instinkte, sondern einiges für die weniger hohen. Neben Dingen, die dem lebensfrohen Image Amsterdams entsprechen wie Cannabisprodukten (Hash Museum) oder gleich zweien zum Thema Sex zählt das Foltermuseum zu den Touristenmagneten. Von Guillotine und dem Judas Thron bis zu weniger bekannten Dingen wie der Heretiker-Gabel, alle Arten menschlichen Erfindergeistes in Sachen Sadismus fein systematisch aufgeteilt in Instrument zu Ganz-Körper-Folter, sowie Unterleib und Oberkörper. Dargestellt mit Hifle lebensechter Wachspuppen.Foto: Ctny (Clayton Tang) Quelle: Creative Commons
Col·lecció de Carrosses Fúnebres, CArrer de la Mare de Déu de Port, 56-58, 08038 BarcelonaWarum ausgerechnet eine der lebensfrohesten Städte Europas die größte Schau von Leichenwagen hat, wird wohl eher ein Geheimnis der Katalanen bleiben. Freunde des Pomp auf der letzten Reise finden die Kutschen und Fahrzeuge vom späten 18. bis zu Mitte des vergangenen Jahrhunderts, viele davon mit stilecht in Uniformen und Perücken angetanen Puppen.Foto: Anoryat Quelle: Creative Commons
International UFO Museum and Research Center, 114 North Main Street, Roswell, New Mexico 88203, USAEs ist kein Ort für rationale Skeptiker: das Ufo Museum & Research Center dokumentiert akribisch alles rund um den Absturz eines Flugobjekts im Juli 1947 beim geheimen Flugplatz der Area 51 in Roswell im US-Bundesstaat New Mexico. Für die einen war es ein Ufo mit Außerirdischen, für die zuerst unsicheren Behörden ein Wetterballon, der da niederging. Das Ganze geschah nahe der Straße Richtung Corona - Verbindungen zum im Süden der USA sehr beliebten mexikanischen Bier des gleichen Namens sind sicher zufällig. Und wer die grünen Männchen mit den großen Augen im Trockeneis-Nebel oder die nachgestellte Alien-Autopsie nicht recht ernst nehmen kann, findet im Museumsladen immerhin eine Auswahl an Souveniers, die nicht so recht von dieser Welt ist. Dieser Tage sehr beliebt: außerirdischer Christbaumschmuck.Foto: Sand Quelle: Gemeinfrei
Meguro Parasitological Museum, 4-1-1, Shimomeguro, Meguro-ku, Tokyo 153-0064, JapanJapan vereint problemlos minimalistische Ästetik, hohe Sinnenfreuden und mit höchstem Ernst präsentierte Merkwürdigkeiten. Tokio-Besucher können entsprechend mit dem Grutt Pass für 60 Museen im Edo-Tokyo das Stadtleben früherer Jahrhunderte bestaunen, das kulturgeschichtliche Tokyo National Museum besuchen oder im obersten Stock des Mori Towers in Rappongi Hills Penthouse die Sammlung Moderner Kunst des Mori Museum bewundern. Es geht aber auch skurril bis unappetitlich: Da wäre zum Beispiel das Surigami Animation für selbst erstellte Comics, das (leider nicht im Grutt Pass enthaltene) Cupnoodles Museum zur Geschichte der Instant-Ramen-Nudel-Becher und natürlich das Parasiten Museum. Die streng wissenschaftliche Schau bietet Hartgesottenen einen tiefen Blick in die „wunderbare Welt“ (Museumswerbung) von Würmern, Maden und anderen Bewohnern lebendiger Wesen. Quelle: obs
Museum of Broken Relationships, Ćirilometodska ulica 2, 10000, Zagreb, KroatienAuch wenn die Internetadresse Brokenships.com eher auf Schiffunfälle deutet, am Ende geht es um Liebeskummer in allen Varianten und um die wohl größte Herausforderung: etwas darstellen, was nicht mehr da ist. Das Museum der zerbrochenen Beziehungen im kroatischen Zagreb versucht dies anhand von Gegenständen mit besonderem Erinnerungswert wie Kuschelbären, Gedichten und Dingen wie Nasensprays. Das brachte dem Museum nicht nur jede Menge Auszeichnungen wie „Innovativstes Museum 2011“, sondern auch jede Menge Einladungen zu Gastausstellungen vom amerikanischen San Francisco über Berlin und Kapstadt, Südafrika, bis in die taiwanesische Hauptstadt Taiwan. Mitgereist sind die passenden Dinge des Geschenkeladens wie Bad Memory Eraser (Radiergummi für schlechte Erinnerungen) oder dem Anti-Stress-Stift mit Sollbruchstelle in der Mitte.
The Museum of Witchcraft, The Harbour, Boscastle, Cornwall PL35 0HD, Vereinigtes KönigreichDie Liebe für das Mittelalter und alles Fantastische zeigt sich in der britischen Provinz nicht nur in Kult um Harry Potter oder dieser Tage besonders um J.R.R. Tolkien mit dem seiner Saga um den Hobbit und den Herrn der Ringe. Liebevoll pflegen sie auch viele kleine Museen. Das beliebteste ist das Museum of Witchcraft in Cornwall im Südwesten Englands, auch weil das Haus dank einem eigenen Twitter-Accopunt (@witchmuseum) recht zeitgemäß auftritt. Und doch wäre aus der Sammlung rund um Zauberei und Okkultismus fast nichts geworden, weil beim ersten Versuch der Gründung 1947 in Stratford-upon-Avon der Widerstand der Bürger der Shakespeare-Stadt zu groß war. So startete der zweite Versuch in der irischen See auf der Isle of Man, stilecht mit einer „Resident Witch“. Weil dem Gründer Cecil Williamson da zu wenig los war, zog er – nach drei von Anwohnern vereitelten Gründungsversuchen in den USA, Windsor und Gloucestershire – ins offenere Cornwall. Quelle: ZB

Ein feines Leben...

...das mir aber zunehmend unheimlich wurde, vor allem nach dem Tod Stalins und dem Aufstand im Juni 1953.

Weil Sie um Ihre Privilegien fürchteten?

Nein, weil ich merkte, dass mir die Fähigkeit abhanden zu kommen drohte, meine von Staatsseite anerzogene Lügenfähigkeit weiter als solche zu erkennen. Die Propaganda, die ich den Bauern aufsagte, nicht mehr als Lüge wahrzunehmen, das machte mir Angst – und ich bin gegangen.

Nach wochenlangen Verhören auf dem Gelände eines ehemaligen KZs...

...man dachte, ich sei von der DDR eingeschleust...

...kamen Sie 1955 schließlich in Düsseldorf an. Warum landeten Sie dort?

Weil dort mit Otto Pankok ein Antifaschist unterrichtete, den ich sehr bewunderte. Der mich erst wieder zurückschicken wollte, mich dann aber einschrieb, als ich in meiner Verzweiflung losheulte. Und der mir eine Matratze ins Klassenzimmer legte, damit ich nicht mehr in den ausgebombten Häusern der Stadt schlafen musste. Seine Frau Hulda hat mich sonntags manchmal zum Kuchen eingeladen.

Wie haben Sie Ihre neue Heimat erlebt?

Als reaktionäre, fremde Welt. Die Leute hier dachten ganz anders als dort, von wo ich kam. Ich war ein Fremder, gelandet in einer Gegenwelt, ohne Gesprächspartner. Ich war nicht ganz da und nicht ganz hier, aber immerhin bei mir selbst. Heinz Mack...

...mit dem Sie ab 1961 gemeinsam mit Otto Piene die Künstlergruppe Zero bildeten...

...lud mich zur Abendausstellung „Das rote Bild“ ein. Gleichzeitig wollte ich hier sein, dem Ruhrgebiet hingewandt, wo sich das dichteste Arbeitspotenzial befindet.

Was die Kreativität fördert

Wovon haben Sie gelebt?

Ich habe von den Feldern Lauch gesammelt, in der Akademie das Fenster angelehnt gelassen, um nachts Koks aus dem Keller zu holen. Ich habe Schicht gearbeitet in einer Glasfabrik, für 400 Mark im Monat, morgens um fünf ging es los. Vom ersten Lohn habe ich mir ein Fahrrad gekauft, mit dem bin ich nach Amsterdam und Paris gefahren – geschlafen habe ich draußen.

Sie hatten damals schon zwei kleine Kinder – wie hat das zum Leben gereicht?

Über Geld habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich hatte in allen Geschäften Schulden, habe anschreiben lassen, vom Bäcker bis zum Heizölhändler. Es gab dann eben mal ein Bild, um den Betrag zu begleichen.

Hat Sie diese materielle Not bedrückt?

Nie. Wenn ich Geld brauchte, habe ich schon mal ein Fest veranstaltet in meiner Scheune, die Atelier und Wohnraum zugleich war. 200 Gäste, 5 Mark Eintritt, da blieb was übrig. Die Scheune hatte ich von der Stadt gemietet, für 50 Mark im Monat.

Sind Sie an ökonomischen Zusammenhängen nicht interessiert?

Doch, ich war immer ein ökonomisch denkender Mensch. Aber so war das bei mir immer mit dem Geld – ich habe es auf mich zukommen lassen, immer im Vertrauen, dass es sich schon regeln wird. Wenn man Geld braucht, kommt es auf einen zu. So war das mein ganzes Leben lang, sonst könnte ich gar nicht solche Werkstätten unterhalten.

Viele Künstler stehen im Alter vor der Armut, weil sie nicht rechtzeitig vorgesorgt haben – wie steht es bei Ihnen?

Ansparen ist jedenfalls Quatsch. Es geht darum, den Kreislauf des Geldes in Bewegung zu halten. Wer über Jahre Vertrauen zu anderen Menschen hergestellt hat, bekommt auch was, wenn er es wirklich braucht.

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