Und wie kommt da der Heilige Nikolaus - ein Bischof, der im 4. Jahrhundert in Myra in Kleinasien lebte - mit ins Spiel?
Er ist ein Heiliger, der für die Schwachen eintritt. Das Leben des Nikolaus wurde in den Städten des Mittelalters oft nachgespielt. Man nutzte diese Figur in Form von Imitationsbräuchen, um die Rechte der armen Kinder einzufordern, an den Wintervorräten teil zu haben. Der Nikolaus hatte also eine ökonomische und politische Funktion zur Eindämmung von sozialen Unruhen. Das kommt uns heute sehr fremd vor. Aber wir sollten nicht vergessen, dass noch die DDR nach einem harten Winter unter großen Versorgungsengpässen litt. Das trug entscheidend zu ihrem Niedergang bei. Versorgungskrisen sind auch heute möglich. Schauen Sie sich die schwache Energieversorgung in den USA an.
Geschenke brachte der Nikolaus alias Weihnachtsmann oder Santa Claus also von Anfang an. Das heißt, er wurde nicht von der Konsumgesellschaft vergewaltigt?
Im Gegenteil. Diese Rituale haben die Konsumindustrie mit angeregt. Santa Claus ist auch nicht 1931 von Coca-Cola-Werbeleuten erfunden worden, um das mal klipp und klar zu sagen, sondern viel früher in den 1820er Jahren. In den frühen USA gab es, angetrieben von dem Nikolaus-Gedanken, unter den nicht-protestantischen Zuwanderern, die sehr arm waren, häufig Unruhen. Sie rotteten sich zusammen und belästigten die protestantischen Oberschichten, indem sie maskiert in deren Häuser eindrangen, die Frauen belästigten, tranken. Um das einzudämmen, hat man einen verinnerlichten Brauch erfunden. Eine Figur, die nur noch imaginär durch den Schornstein ins Haus eindringt, aber nichts klaut, sondern etwas mitbringt. Die milde Gabe an die Unterschichten ist ersetzt worden durch das Geschenk an die eigenen Kinder. Santa Claus ist also eine paradoxe Figur, die Geschenke bringt aus freien Stücken. Diese Paradoxie muss man ganz ernst nehmen. Man darf die Wohltätigkeitsökonomie nicht unterschätzen. Der Kapitalismus ist ja noch ganz jung. 200 Jahre, welthistorisch ein Scherz. Die Gabenökonomie war ursprünglich viel mächtiger: Man gibt einfach und kann damit rechnen, dass man etwas zurückbekommt. Das Gegenteil von Markt.
Die zehn Städte mit den meisten Weihnachtsmarktbesuchern
Hamburg
1,8 Millionen Besucher
Nürnberg
2,0 Millionen Besucher
Erfurt
2,0 Millionen Besucher
Leipzig
2,2 Millionen Besucher
Dresden
2,5 Millionen Besucher
München
2,8 Millionen Besucher
Stuttgart
3,0 Millionen Besucher
Frankfurt am Main
3,0 Millionen Besucher
Dortmund
3,6 Millionen Besucher
Köln
4,0 Millionen Besucher
Warum werden Weihnachtsbräuche auch in nichtchristlichen Kulturen, zum Beispiel in Japan, so problemlos übernommen?
Zwei Dinge sind zu beachten. Erstens hat sich der christliche Kalender weltweit als Kalender der Geschäfte durchgesetzt. Dieser Kalender hat ein Ende und das liegt ganz nahe bei Weihnachten und den Winterfesten anderer Kulturen. Zum Beispiel das buddhistische Neujahrsfest. Die Ausbreitung dieses Jahresendtermins, seine Karnevalisierung und seine Vermischung mit dem Gabentausch und weihnachtlichen Ideen aus dem Westen laufen parallel zu den Kulten um den chinesischen Gott des langen Lebens oder den Weißen Alten in der Mongolei, den ich in meinem Buch erwähne. Winterfiguren, Eisfiguren mit weißen Bärten und hohen Köpfen. Eremiten, die aus ihrer Einsiedelei herabsteigen zu den Menschen wie Nietzsches Zarathustra.
Der Weihnachtsmann stammt also eigentlich aus Asien.
All die Weihnachtsbräuche kommen ursprünglich aus dem Osten, aus Asien zu uns. Da gab es früher den Staat und den Bedarf an pädagogischen und Winterbräuchen, in denen der Staat dafür haftbar gemacht wird, wie das Volk durch den Winter kommt. Es gibt ein asiatisches Grundelement, das irgendwann einmal auf den Nikolaus übergesprungen ist. Die ursprüngliche Traditionslinie ist also genau umgekehrt zur heutigen Ausbreitung des Santa Claus.