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Viele Dörfer in Deutschland sind so hässlich wie ihre Baumärkte. Doch es gibt Gemeinden, die sich gegen den Niedergang stemmen und traditionelle Ortsbilder bewahren.

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Das Essener Wahrzeichen, der Förderturm der ehemaligen Zeche und des heutigen Museums Zeche Zollverein Quelle: dpa
Das "U" auf dem Dach der Unions-Brauerei Quelle: dpa
Skyline von Düsseldorf im Winter Quelle: dpa
Bremer Marktplatz Quelle: dpa
Blick über den Rhein auf Köln Quelle: dpa
Menschen auf dem Schlossplatz in Stuttgart Quelle: dpa
Neues Rathaus in Hannover Quelle: dpa

Nicht dass die Bauwelt im Siegerland noch in Ordnung wäre. Auch in Holzhausen hat das Streben nach Glück Spuren hinterlassen.
Zum Beispiel in Gestalt von ausladenden Schwarzwaldbalkonen und alpenländischen Dachüberständen. Von blau glasierten Dachziegeln und fidelen Keramikfiguren im Kiesgarten vor der Aluhaustür. Sogar ein Toskana-Haus ist am Ortsrand vertreten. Ein kleiner, heller Traum vom Süden, die Ahnung einer Landvilla, mitten im grau-weißen Siegerland, in Sichtweite der alten Kirche mit ihrem fein geschieferten Helm.

Als Bürgermeister Christoph Ewers einen Vortrag hielt über die hiesigen Bautraditionen, über den Ensemblegeist, der altes und neues Bauen zusammenhält, kam hernach eine Dame auf ihn zu, die Besitzerin des Toskana-Hauses, mit Tränen in den Augen: Wenn sie gewusst hätte, dass man auch anders bauen könne, hätte sie in die Gestaltungsfibel der Gemeinde geschaut und festgestellt: Das Dorf Holzhausen, Ortsteil von Burbach im Kreis Siegen-Wittgenstein, hat ein unverwechselbares Gesicht „mit ortstypischen Merkmalen“: steile Schiefersatteldächer, geschieferte Fachwerkgiebel, weiße Holzfenster, farbige Hoftüren.

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Stattdessen schaute sie in den Katalog, der für jeden Geschmack etwas bietet, für die Freunde des Friesenhauses und die Liebhaber der Italianità. Vor allem für den Bastler, der zum Sonderangebot greift, um das Haus energetisch aufzurüsten oder dem Eingang einen Zug ins Repräsentative zu geben. Warum nicht ein bisschen Landadel spielen mit einem Säulen-Portikus in Zartrosa?

Der ländliche Raum ist zum Paradies der Beliebigkeit geworden, zum Gegenteil von gutem Bauen. Fast jedes Dorf gleicht einer Leistungsschau des deutschen Baumarkts, der keine Wünsche offen lässt, von der aufklebbaren Fachwerkplatte bis zur gekippten Amphore im „Antik-Look“. Man zitiert die Tradition und bricht mit ihr, nirgendwo so rücksichtslos wie hierzulande (sic!), wo sich die konfektionierten Eigenheime breitmachen, seit den Sechzigerjahren, als die ersten Modernisierungswellen die deutschen Dörfer erreichten. Auch in der Ortsmitte, in Nachbarschaft von Kirche und Markt. Ein Großteil der Altbauten wurde abgerissen, „Heimat“ verscherbelt, Türen und Fensterläden auf den Antiquitätenmarkt gekarrt.

Die Nivellierung des Typischen

Der Dorfforscher Gerhard Henkel stellt in seinem neuen Buch „Rettet das Dorf!“ fest, dass die immer wieder vorgetragenen Appelle zur Bewahrung der Ortsbilder „keine flächenhafte Wirkung“ gezeigt hätten. Im Gegenteil, es sei eine fortdauernde „Ausräumung“ der ländlichen Kulturlandschaften zu beobachten, die „Nivellierung regionaltypischer Besonderheiten“ zugunsten eines „Bausparkasseneinheitsstils“.

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Der Stadtplaner Oliver Prells nennt die Ursachen: die überregionale Verfügbarkeit von Stilformen und Materialien, die mangelnde Auseinandersetzung mit der traditionellen Baukultur, der schwindende Sinn für das Bauen im Ensemble, für die taktvolle Vermittlung von Alt und Neu. Erlaubt ist, was gefällt – und auffällt.

Die „Anleihen aus dem Schlossbau oder gründerzeitlichen Großbürgerhäusern“ indes seien „im dörflichen Kontext“ so verfehlt wie „pseudohistorische Rustikalität“: Die Verbundenheit der Menschen mit der Region, ihr Wunsch, das Typische zu bewahren („oder das, was sie dafür halten“), führe zu nostalgischen Inszenierungen „bautechnischer Rückständigkeit“: Butzenscheibenimitate sorgen für „Atmosphäre“, schmiedeeiserne Schnörkel überspielen Baumarkt-Tristesse.

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