Nein, sagt Roth, wir können dem Unbewussten bewusst widersprechen. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck sei das meist angeraten, so Roth, denn „affektiv-impulsive Bauchentscheidungen unter Druck sind schnell, aber sie bringen davon abgesehen nur Nachteile mit sich“. Manchmal sogar den Tod, wenn Männer dem Affekt - geblendet durch Testosteron – im Straßenverkehr folgen und kurz vor der Haarnadelkurve noch schnell überholen. Evolutionsbiologisch sind diese impulsiv-affektiven Reaktionen in Problemsituationen durch genetisch verankerte Überlebensstrategien in vorgeschichtlicher Zeit zu erklären: Der schnelle Entschluss zu sofortigem Angriff, Verteidigung, Flucht oder Erstarren waren im Überlebenskampf unserer Urahnen gegen wilde Tiere und menschliche Konkurrenten unumgänglich. Doch den Anforderungen der heutigen Zeit sind diese Steinzeit-Strategien nicht gewachsen. Der Homo Erectus in uns ist kein guter Ratgeber. Es sei denn in der glücklicherweise hierzulande höchst selten gewordenen existentiellen Situation eines Kampfes auf Leben und Tod.
Das andere Extrem des bewussten logisch-rationalen Denkens ist „die schwierigste Leistung des Gehirns“, sagt Roth. Die Meister in dieser Disziplin sind oft große Mathematiker oder Naturwissenschaftler. Die entscheidende Fähigkeit dazu leistet das Arbeitsgedächtnis, den „Flaschenhals des Gehirns“ nennt es Roth, denn da müssen aus allen Ecken und Enden des Gehirns die passenden Informationen verarbeitet werden – und es ist in seiner Geschwindigkeit und Kapazität sehr begrenzt. Denken ist daher ein extrem anstrengendes und kalorienverzehrendes Geschäft. „Wir können komplizierten Zusammenhangen nur etwa fünf Minuten am Stück folgen, dann ist das Gehirn ausgepowert“, erklärt Roth.
Unter Zeitdruck oder anderen Formen des Stress ist aktives Denken unmöglich. Dass ein Aktienhändler logisch-rational handelt, ist also ebenso wenig anzunehmen, wie dass ein Spitzenpolitiker es tut.
Die Fähigkeiten in dieser energieintensiven Meisterdisziplin des Gehirns sind – ähnlich wie die des restlichen Körpers – nicht allen Menschen in gleicher Weise gegeben. Die Denkfähigkeit erreicht im frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt und nimmt danach bald ab. Kein Zufall also, dass geniale Leistungen von Mathematikern und Naturwissenschaftlern meist in relativ jungen Jahren gezeigt werden. Die großen Entdeckungen der theoretischen Physik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden von Männern in ihren Dreißigern gemacht: Werner Heisenberg war 26 Jahre alt, als er seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Unschärferelation veröffentlichte, den Nobelpreis erhielt er mit 31. Auch Einstein hatte mit 40 bereits den Höhepunkt seines Schaffens erreicht.
Also die Jungen an die Entscheidungshebel? Nein. Denn die denkerische Überlegenheit der Jugend geht mit einem Mangel einher, der in der Mathematik oder für genialische Erfinder nur eine kleine, in der Politik, im Management und den meisten anderen menschlichen Handlungsfeldern aber eine zentrale Rolle spielt: Erfahrung.