"House of Cards"-Erfinder Michael Dobbs "Politik ist kein Geschäft für nette Menschen"

Michael Dobbs ist Schöpfer der Erfolgsserie „House of Cards“ und war zuvor Berater von Margaret Thatcher. Ein Gespräch über das dunkle Innenleben der Politik.

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Michael Dobbs war Berater von Margaret Thatcher und Parteivize der Tories. Er verfasste den Roman

WirtschaftsWoche: Baron Dobbs, Sie stellen Politik in „House of Cards“ als extrem düsteres Geschäft dar. Gibt es in der Politik nur Platz für Fieslinge?

Dobbs: Politik ist kein nettes Geschäft, und es ist kein Geschäft für nette Menschen. Politik ist hart und roh – so wie das Leben an sich ja auch komplex und dreckig ist.

Muss es in der Politik zwangsläufig so rau zugehen, wie Sie das beschreiben?

Politiker müssen wirklich schwierige Entscheidungen treffen. Oft befinden sie sich in einer Situation, in der sie nicht zwischen richtig und falsch entscheiden, sondern zwischen falsch und falsch. Deshalb ist ihr Beruf nicht angenehm – und wird es nie sein.

zur Person Michael Dobbs

Sie waren selbst über Jahre in der Politik, als Berater von Premierministerin Margaret Thatcher und Vize der Tories. Haben Sie nie Nettigkeiten erlebt?

Ich habe in der Politik ein paar wirklich gute Freundschaften geschlossen, und nicht nur mit Leuten, die meine politischen Auffassungen teilen. Weil Leidenschaft in der Politik eine große Rolle spielt, entstehen durchaus enge Beziehungen. Unter den großen Führungsfiguren, die wir bewundern, finden sich aber merkwürdigerweise kaum nette Menschen. Sie sind ehrgeizig, oft besessen von ihren Ideen – und werden erst dadurch erfolgreich.

Wie wichtig ist das Streben nach Macht als Antriebskraft?

Zunächst einmal geht es um Leidenschaft. Ohne sie kommt man nicht sehr weit in der Politik. Alle großen Politiker sind leidenschaftliche Menschen, was sich dann auch oft an ihrem Privatleben ablesen lässt. Wir müssen Verständnis dafür aufbringen, dass Politiker keine Engel sein können. Wenn man Leute haben will, die nie Fehler gemacht haben, Obacht! Das heißt, dass sie nie in ihrem Leben etwas gemacht haben.

Sie kennen die britische Politik aus eigener Anschauung, die Mechanismen, die Sie beschreiben, ließen sich aber leicht auf die USA übertragen und begeistern nun selbst Zuschauer in China. Funktioniert Macht überall nach denselben Mechanismen?

Natürlich hat jede Gesellschaft ihren eigenen politischen Stil. Aber Macht ist universell – und ewig. Das erklärt, warum sich Menschen für „House of Cards“ interessieren oder auch für „Borgen“, eine Serie über Reibereien zwischen dänischen Parteien. Zunächst einmal gibt es ja keinen Grund, warum sich irgendjemand eine Geschichte über Koalitionskrach in einem kleinen europäischen Land ansehen sollte. Wenn es dort nur um Institutionen ginge, wäre es sturzlangweilig. Aber was die Leute sehen wollen, sind Menschen, die sich durch den Umgang mit Macht verändern. Das ist großes Drama!

In der Wirtschaft geht es auch oft genug um Macht. Ist das für Sie eine ganz andere Welt?

Ich sehe durchaus viele Gemeinsamkeiten, aber einen großen Unterschied: In der Wirtschaft kann man den Erfolg sehr gut messen: am Gewinn. Es ist dagegen sehr viel schwieriger, den Erfolg eines Politikers abzuschätzen.

Wie wäre es mit der Wiederwahl als Indikator?

Die kommt ja erst nach Jahren – wenn überhaupt. Machen wir uns nichts vor: Die meisten politischen Karrieren enden mit Misserfolg. Politiker sind gegen Ende ihrer Amtszeit meist frustriert, weil sie Dinge nicht erreicht haben. Ich vermute, dass dies auf Manager weniger zutrifft.

Vieles in der Politik spielt sich hinter den Kulissen ab

Verpassen viele Politiker aus diesem Grund den richtigen Zeitpunkt, um sich zur Ruhe zu setzen?

Absolut! Wenn Sie sich Großbritannien ansehen: Die meisten Premierminister mussten aus dem Amt gezerrt werden, beinahe mit Gewalt, weil sie sich mit ihren Fingernägeln in den Teppichen des Regierungssitzes Number 10 Downing Street festkrallten. Wenn sie es erst einmal an die Spitze geschafft haben, dann verlieren viele den Bezug zur Realität. Sie wissen nicht mehr, wann die Zeit für ihren Abtritt gekommen ist. Es ist traurig. Wenn ich Politiker direkt nach der Wahl sehe, denke ich mir: Von hier an geht es bergab.

Hier leben die meisten Millionäre
Global Wealth Report 2014Das reichste Prozent der Menschheit besitzt nahezu die Hälfte des gesamten Vermögens weltweit – das ergibt eine Untersuchung der Schweizer Großbank Credit Suisse. Insgesamt liegt das Durchschnittsvermögen weltweit auf einem Rekordhoch: Rund 44.000 Euro hätte jeder Mensch – wären die Vermögen gleich verteilt. Wo die meisten Millionäre leben. Quelle: REUTERS
Rang 10: Spanien – 1 ProzentIn Spanien ist jeder vierte Erwerbsfähige ohne Arbeit – das Land kämpft immer noch mit den Nachwehen der Euro-Krise. Einige scheinen trotzdem Gewinne zu machen. Allein im vergangenen Jahr verzeichnete Spanien 89.000 neue Millionäre. Insgesamt leben dort 465.000 Millionäre; das entspricht einem Prozent aller Millionäre weltweit. Quelle: dpa
Rang 9: Schweiz - 2 ProzentDie Reichen bunkern nicht nur ihr Schwarzgeld in der Schweiz – viele leben auch dort. Kein Wunder: Es gibt zahlreiche Skigebiete und auch die Alpen und Seen ziehen seit fast 200 Jahren Touristen an.  Die wohl stabilste Volkswirtschaft der Welt beherbergt insgesamt 700.000 Millionäre. Quelle: dpa
Rang 8: Kanada - 3 ProzentKanada zählt zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Geht man nach dem Human Development Index, ein Index der Wohlstand nicht nur anhand materieller Indikatoren misst, belegt der Nachbar der USA Platz vier. In Kanada leben 1.100.000 Millionäre, das sind 105.000 als im Vorjahr. Damit verzeichnet Kanada den siebtgrößten Millionärszuwachs weltweit. Quelle: dpa
Rang 7: China - 3 ProzentChina ist die größte Volkswirtschaft der Welt und verzeichnet rasante Wachstumsraten. Bei den Superreichen zeichnet sich das nur bedingt ab. Ganze acht Länder haben im vergangenen Jahr mehr Millionäre hervorgebracht. Trotzdem: 90.000 neue Millionäre können sich sehen lassen. Insgesamt gibt es in China 1.100.000 Millionäre. Quelle: dpa
Rang 6: Australien - 4 ProzentRiesige Strände, weite Landschaften, Gebirge – was einst eine britische Gefängniskolonie war, zieht täglich mehrere Millionen Touristen an. Doch nicht nur sie lassen es sich gut gehen - in Australien leben mittlerweile 1.200.000 Millionäre. Das sind 106.000 mehr als noch im Vorjahr. Quelle: AP
Rang 5: Italien - 5 ProzentÄhnlich wie Spanien kommt auch Italien nicht aus der Wirtschaftskrise heraus. Fast jeder zweite zwischen 15 und 24 ist dort ohne Arbeit. Doch die Krise tangiert längst nicht alle Italiener. 216.000 können sich dort als Neu-Millionäre bezeichnen. Italien beherbergt damit 1.500.000 Millionäre. Quelle: AP

Wie viel von dem, was in der Politik hinter den Kulissen abgeht, dringt eigentlich jemals an die Öffentlichkeit?

Sehr wenig – und das ist auch gut so. Politik braucht Vertraulichkeit. Eine komplett transparente Regierung würde Chaos bedeuten. Aber je mehr die Bevölkerung versteht, dass Politiker Menschen wie wir alle sind, verstehen sie, warum Fehler passieren. Sie können diese eher verzeihen und entscheiden rationaler, wer sie vertreten soll. Interessanterweise werden ja die effektiven Leute gewählt. Thatcher wurde nie geliebt, aber immens respektiert. Sie wurde drei Mal wiedergewählt. Ich fürchte, dass moderne Politiker viel zu sehr geliebt werden möchten. Das ist nicht ihr Job.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Medien?

Um sich in Szene zu setzen, sind Politiker auf die Medien angewiesen. Aber auf diesem Gebiet hat sich einiges geändert. Vor 30 Jahren haben die Politiker die politische Tagesordnung bestimmt, und die Medien folgten. Heute ist es andersherum – und im Begriff, sich wieder zu verändern dank der sozialen Medien. Wie die Kommunikation über sie abläuft, können wir derzeit noch gar nicht im Detail verstehen. Das ist eine große Herausforderung für die Politik.

Inwiefern?

Politiker benötigen vor allem Zeit, um zu überlegen, welche Botschaft sie überhaupt verbreiten wollen. Früher war das möglich. Heute stehen Politiker unter so einem enormen Druck, dass sie glauben, auf alles sofort eine Antwort haben zu müssen. Das ist ein großes Problem. Ich warte auf den Moment, in dem ein Politiker in eine Kamera sagt: „Darüber muss ich erst einmal schlafen. Frühestens in einer Woche können Sie mit einer Antwort rechnen.“ Niemand weiß, wie sich die Medien in fünf oder zehn Jahren entwickeln werden. Im Übrigen profitieren Politiker auch von den neuen Medien, indem Informationen erhältlich sind, die es früher nicht gab. Wir haben das beim Arabischen Frühling gesehen, und die Folgen könnten umwälzend sein. Das Einzige, was man zum jetzigen Zeitpunkt weiß, ist, dass Politiker nie die Antwort auf alles haben werden.

Sie waren bald ein Jahrzehnt in der Werbung tätig, zuletzt im Vorstand von Saatchi & Saatchi. Hat das Ihren Blick auf die Politik verändert?

Ich habe dort sehr viel über Kommunikation gelernt, etwa, dass ein Publikum sehr heterogen sein kann. Unterschiedliche Gruppen müssen unterschiedlich angesprochen werden, auch wenn es um dieselbe Marke geht. Saatchi & Saatchi brüstete sich damals, dass wir die Regierung verändert hätten. Das stimmte nicht, die Regierung hat lediglich gelernt, wie sie politische Werbung einsetzen konnte.

Wie denn?

Die effektivste Art der politischen Werbung ist negative Werbung. Es ist viel einfacher etwas in drei, vier Worten niederzumachen, als etwas Neues zu schaffen.

Das House of Lords als unbefangener Berater

Sind Wähler wirklich so schlicht, dass sie immer auf negative Werbung reagieren?

Negative Werbung funktioniert nur, wenn die Menschen schon zweifeln. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Slogan einen Stimmungsumschwung einleitet, da muss ein Unwohlsein bestehen, das er aufgreift.

Was ein Jobverlust aus Menschen macht
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Seit vier Jahren sind Sie zurück in der Politik. Premierminister David Cameron hat Sie als Peer auf Lebenszeit ins House of Lords geholt. Ist das eine Inspirationsquelle für die nächste Fernsehserie?

Das ist vor allem harte Arbeit (lacht). Ich bin ja in einem Alter, in dem viele meiner früheren Kollegen in den Ruhestand gehen. Stattdessen verbringe ich nun drei Tage in der Woche in London. Mir macht es enormen Spaß, das Geschehen im Parlament zu beeinflussen.

Wie viel Einfluss haben Sie denn? Das House of Lords spielt ja eher eine beratende Rolle...

...die durchaus wichtig sein kann. Ein gutes Beispiel war das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Gewählte Politiker tun sich mit so einem Thema schwer, weil unterschiedliche Interessengruppen auf sie einreden. Im House of Lords haben wir über Tage sehr intensiv debattiert und alle Aspekte sorgfältig abgewogen. Dass ausgerechnet das verstaubte House of Lords sich für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hat, verhalf dem Thema am Schluss sicher zu einer breiteren Akzeptanz. Im Oktober wird es um Sterbehilfe gehen, die ist derzeit in Großbritannien noch illegal. Wir haben eine sehr unbefriedigende Situation, aber keinen Konsens, was die bessere Lösung wäre. Das ist ein hoch moralisches und religiöses Thema.

Was prägt Ihre Arbeit als Autor stärker: Ihre eigene politische Erfahrung oder literarische Vorbilder wie Shakespeare?

Ich kam als Jugendlicher erstmals mit Shakespeare in Kontakt, als ich „Julius Cäsar“ las. Eine 2000 Jahre alte Geschichte aus einem anderen Land. Der Typ wird von seinem besten Freund auf den Stufen des Kapitols erstochen. Was für eine Geschichte! Und in was für einer schönen Sprache sie erzählt wird! „House of Cards“ ist eine neue Fassung von „Julius Cäsar“. Und den Kunstgriff, dass der Held direkt das Publikum anspricht, habe ich mir von Shakespeare abgesehen. Der stammt aus „Richard III“. Das funktioniert im Fernsehen wunderbar.

Hätten Sie „House of Cards“ ohne Ihre Erfahrung in der Politik schreiben können?

Bestimmt nicht, oft funktioniert politisches Drama nicht, weil die Autoren die Innenwelt der Politik nicht kennen. Sie lassen sich von ihren Vorurteilen leiten, wie es in der Politik zugehen müsste. Das Ergebnis ist dann sehr oberflächlich.

Mit Adam Price, dem Schöpfer von „Borgen“, haben Sie ein neues Projekt begonnen. Wann können wir es sehen?

Wir arbeiten sehr hart daran, aber jedes Projekt braucht seine Zeit. Es geht hier nicht nur um einen schöpferischen Prozess, wir befinden uns auch in einem bürokratischen Prozess, um einen Platz im Programm der BBC zu finden und um das notwendige Geld zu bekommen. Es handelt sich um ein sehr ehrgeiziges Projekt, so viel kann ich verraten.

Hat die EU Potenzial als Handlungsort für eine Serie?

Die Euro-Krise würde ein tolles Drama ergeben. Es gab immer wieder Momente, in denen niemand wusste, was zu tun war – perfekt, um das auf der Leinwand festzuhalten.

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