Hyperagilität Hinter New Work steckt eine alte Idee

New Work am Pool

Die Arbeit der Zukunft wird in den rosigsten Farben ausgemalt - oder in den düstersten. Ein Agenturchef und eine Arbeitspsychologin haben sich auf die Reise begeben, um herauszufinden, was New Work wirklich ist.

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Ein junger Mensch sitzt an einem Sandstrand unter Palmen, auf den Knien ein stylisches Notebook. Der moderne Arbeiter braucht nichts als schnelles Internet, ein paar schlaue Software-Lösungen und viel Raum für seine überbordende Kreativität – so der Traum und gleichzeitig das Klischee von der New Work, der hyperagilen Arbeit des 21. Jahrhunderts, die alles bisher Gewesene alt aussehen lässt.

New Work ist ein großes Versprechen: Keine fesselartigen Strukturen mehr, keine Anwesenheitspflicht im Büro, keine Zeitverschwendung mit ineffizienten Unternehmensabläufen, keine kontrollversessenen Chefs, kein Leben mehr wie im Hamsterrad. Stattdessen: Freiheit, Kreativität und Flexibilität satt. Doch was verbirgt sich dahinter und kann die Vision vom neuen Arbeiten halten, was sie verspricht? Wie kann der traumhafte Zustand erreicht werden, ohne ins Nichtstun abzugleiten und ohne vor lauter Freiheit den Halt zu verlieren?

Stepfanie Bathen und Ingo Rütten wollten genau das wissen und begaben sich auf die Suche nach Menschen, die neue Arbeits-Lifestyles (oder: Workstyles) ausprobieren oder entwickelt haben. Ein Jahr, acht Städte und sechs europäische Länder später steht die Erkenntnis (übrigens auch auf dem Blog Workstyles nachzulesen): Mit dem überzogenen Beispiel vom Strand hat New Work wenig zu tun. Und sie hat eigentlich viel mit dem zu tun, wofür sich auch Gewerkschaften seit jeher einsetzen: ein Arbeiten, das sich an den Bedürfnissen des Menschen orientiert, auskömmlich ist und die Gesundheit nicht gefährdet, ein Privat- und Familienleben ermöglicht. Es geht um klassische Mitspracherechte, verbunden mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung.

„Hyperagilität, also extreme Anpassung der Arbeit an die Menschen, die sie verrichten, ist etwas, das überall passiert, egal in welchem wirtschaftlichen Umfeld“, fasst Ingo Rütten die erste Lehre zusammen. Das bedeutet auch: Es gibt nicht die eine bestimmte Form. „Je nach Unternehmen – Mittelstand, Konzern, Familienbetrieb – werden die Lösungen unterschiedlich ausfallen, und auch die Zielgruppen“, erklärt Stefanie Bathen. Die Lösungen können räumlich sein, die Arbeitszeit betreffen oder die Organisationsstruktur und das Arbeitsverhältnis. Rütten ist Eigentümer und Geschäftsführer einer Agentur in Frankfurt und stellt Teams aus Freelancern für Strategieberatung zusammen. Bathen ist freischaffende Beraterin für Gesundheitsmanagement und Organisationsberatung.

Das Projekt führte die beiden Frankfurter auch selbst aus der gewohnten Arbeitsumgebung hinaus ins Selbstexperiment. Und siehe da: Die Menschen, die sie in Lissabon, Barcelona, Kopenhagen, Amsterdam, Edinburgh, Berlin, München und der eigenen Heimatstadt trafen, waren eben nicht nur junge Hipster mit Laptops auf den Knien. Einige waren überzeugte Einzelkämpfer, andere gingen nach einer langen Karriere in festen Strukturen bewusst eigene Wege, wieder andere fühlten sich in der Welt zuhause und sahen ihre Qualifikation als Sicherheit – nicht den jeweiligen Arbeitgeber. Zum Beispiel die aus China stammende Camellia Xueyi Yang, die nach Stationen in Frankreich und Deutschland in Amsterdam als UX-Entwicklerin arbeitet. Sie gibt im Interview mit den Recherchereisenden zu Protokoll, ihre Sicherheit sei sie selbst. Trotzdem wünscht sie sich Führung, die klare Ziele vorgibt, „um mich daran messen zu können“.

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Sehr deutlich wird, wie wichtig Struktur, Vorgaben und Führung als Gegenpole für Freiheit und vermeintliche Regellosigkeit sind. Zum einen, weil sich die New Work zum Teil als Gegenentwurf definiert. Zum anderen, weil nicht alle hyperagilen Arbeiter darauf verzichten wollen. „Selbst die Einzelkämpfer sind auf der Suche nach Heimat“, sagt Ingo Rütten.

So schießen europa- und weltweit Co-Working-Spaces aus dem Boden, wo sich Arbeitende in selbstgeschaffenen Bürostrukturen begeben, in denen sie eigene Gemeinschaftsregeln aufstellen. Einer, der sich auf die Gründung von Gemeinschaftsarbeitsräumen spezialisiert hat, ist der selbständige Programmierer Christopher Schmidhofer. Er machte aus der Not eine Tugend, weil er mit der Situation im Homeoffice nicht gut zurechtkam und erkannte, dass er soziale Kontakte und einen außerhalb liegenden Arbeitsort braucht.

Zugleich machen sich Unternehmen daran, den Abtrünnigen wieder eine Heimat zu werden – indem sie die Wünsche der Mitarbeiter wieder mehr berücksichtigen. Getrieben sind die Unternehmen dabei zum Teil von der Erkenntnis, dass sie für die Veränderungen durch die Digitalisierung genau die extrem anpassungsfähigen Mitarbeiter brauchen werden, weil sie von ihnen profitieren – und die Kundschaft es auch verlangt.

„Unternehmen wollen nicht mehr nur Leute, die einen glatten Lebenslauf haben und wie Soldaten in eine bestimmte Richtung marschieren“, sagt Rütten.

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