ifo-Studie In der Coronakrise haben Schüler ihre Lernzeit halbiert

Masken gehören in der Schule erst mal zur Grundausstattung. Quelle: dpa

In der Coronakrise haben Deutschlands Schüler laut einer Umfrage nur 3,6 Stunden pro Tag gelernt – ein Rückgang um mehr als 50 Prozent. Doch nicht nur der Lernrückstand nimmt zu, die Befragten beklagen die psychische Belastung zu Hause.

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Ludger Wößmann kennt die Sorgen und Nöte der Eltern in der Coronazeit. Er hat selbst drei Kinder, elf, 14 und 15 Jahre alt, und musste in den vergangenen Monaten Kinderbetreuung, Homeschooling und die eigene Arbeit miteinander vereinen. Wößmann, Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, sagt, manche Kultusminister behaupteten, „das Homeschooling hätte doch ganz gut funktioniert. Diese Rhetorik kann man so lange benutzen, wie man keine Daten hat.“ Doch Wößmann hat jetzt Daten, und er stellt fest: Das stimme „einfach nicht“.

Die Ergebnisse der repräsentativen Elternbefragung haben Wößmann und zwei Kolleginnen nun vorgestellt. Demnach wendeten die Schüler in den vergangenen Monaten nur halb so viel Zeit für Schule auf wie vor der Pandemie. 38 Prozent der Kinder lernten während Corona weniger als zwei Stunden täglich. Durchschnittlich beschäftigten sie sich 3,6 Stunden pro Tag mit Schulthemen. Zuvor waren es noch 7,4 Stunden gewesen. Dieser Rückgang gilt unabhängig von der Bildung des Elternhauses.

Die Zeit an elektronischen Geräten ist der Umfrage im Juni zufolge von vier auf mehr als fünf Stunden am Tag gestiegen. Vor allem leistungsschwächere Kinder ersetzten das Lernen durch passive Tätigkeiten. Die Spannweite zwischen stärkeren und schwächeren Schülern könnte das also noch vergrößert haben.

„Das große Ganze“, sagt Wößmann, „war nicht überraschend.“ Aber die Zahlen stünden der Mythenbildung mancher Kultusminister klar entgegen. „Dass 45 Prozent nie Online-Unterricht hatten und nie Kontakt mit Lehrern hatten“, sei auffällig, erklärt der Wissenschaftler.

Die Rückkehr in die Schulklassen ist also aus pädagogischen Gründen dringend notwendig. An diesem Donnerstag kehren die Hamburger Schüler zurück, in einer Woche die in Nordrhein-Westfalen und bis Ende August sind die Sommerferien dann außer in Bayern und Baden-Württemberg überall vorbei. Erstmals seit den coronabedingten Schließungen sollen die Schüler dann wieder täglich in die Schulen kommen, in einer Art Regelbetrieb unter strengen Sicherheitsmaßnahmen.



Die Ergebnisse zeigten, dass es wichtig sei, „unter Beachtung der Schutzmaßnahmen zum normalen Schulunterricht“ zurückzukehren, sagt auch Studienleiter Wößmann. Eine Menge Stoff dürften alle Kinder und Jugendlichen aufzuholen haben. Dass Eltern – statt zuvor 30 Minuten – nun durchschnittlich eine Stunde mit ihrem Nachwuchs über Übungsblättern und Aufgaben brüteten, gleicht den Lernrückstand bei Weitem nicht aus. Aber nicht nur der beschäftigt die Münchner Wissenschaftler. Mehr als ein Drittel der Eltern sah in der Situation zuhause eine psychische Belastung für das Kind oder sich selbst. Fast ein Drittel der Eltern berichtete, sie hätten sich mehr mit ihren Kindern gestritten als zuvor.

Dennoch befürworten die meisten Deutschen (80 Prozent) auch rückblickend die Schließung der Schulen. Eine knappe Mehrheit spricht sich für eine Maskenpflicht, für regelmäßige Coronatests und gegen ein Handy-Tracking an Schulen aus. Vier Fünftel befürworten verpflichtenden Online-Unterricht, wenn Schulen temporär dichtmachen müssten. „Wo Schließungen unvermeidlich sind, sollten die Schulen direkt auf Online-Unterricht umstellen“, sagt Wößmann. Bislang fand der nur sporadisch statt. Etwas mehr als die Hälfte aller Schüler hatte seltener als einmal wöchentlich gemeinsamen Online-Unterricht, lediglich sechs Prozent jeden Tag.

Wößmann hat mit seinen Kindern versucht, „von Anfang an eine klare Tagesstruktur“ beizubehalten. „Von 8 bis 12 Uhr war Lernen angesagt.“ Er habe zu dieser Zeit dann oft von zu Hause aus gearbeitet. Das habe gut funktioniert. Aber er „mache drei Kreuze, dass ich in dieser Situation weder Kita- noch Grundschulkinder habe“.

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