Schon seltsam: Viele Unternehmen sind bislang offenbar nur auf einem Auge durchschnittsblind. Denn während sie die Individualität ihrer Mitarbeiter weitgehend ignorieren, sehen sie ihre Kunden viel differenzierter. „Jeder Kaufmann weiß, dass er die Hälfte seiner Kunden verlieren kann, wenn er Marketing und Preispolitik am Durchschnitt ausrichtet“, sagt Peter Kenning, BWL-Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Auch deshalb werden umkämpfte Märkte wie der Automarkt immer stärker segmentiert. Für jeden Käufer soll es genau das richtige Produkt zum richtigen Preis geben. Auch die Individualisierungsmöglichkeiten nehmen dank besserer Produktionstechniken und sinkender Kosten zu. Müsli, Schuhe oder Laptops können die Käufer heute online im „Mass Customization“-Verfahren mit wenigen Klicks auf ihre persönlichen Wünsche zuschneiden. „Die Perspektive auf den Kunden ist schon immer sehr individuell, denn das Individuum trifft am Ende die Kaufentscheidung, ihm muss man ein gutes Angebot machen“, sagt Kenning.
Schablonen passen nicht zu Menschen
Diese Besinnung auf das Individuum fordern manche Experten jetzt auch für die Talentsuche. Jeder Mitarbeiter habe besondere Stärken und Schwächen, die in wissensintensiven Unternehmen gewinnbringend eingesetzt werden können, sagt Rose: „Jeder von uns ist ein Sonderfall.“ Die Durchschnittsschablone der Personalabteilungen lassen diese Art von Talent aber nur selten durch.
Do's & Don'ts im Recruiting
Don't: Im Alleingang rekrutieren.
Do: Holen Sie sich Feedback von Kollegen zum Anforderungsprofil der offenen Stelle oder greifen Sie auf die professionelle Unterstützung eines spezialisierten Personalvermittlers zurück.
Don't: Zu viel erwarten
Do: Unterscheiden Sie zwischen Fähigkeiten, die für die Stelle unabdingbar sind und solchen, die entwickelt werden können (Muss- und Kann-Kriterien).
Don't: Auf Standard-Stellenanzeigen zurückgreifen.
Do: Erstellen Sie passgenaue Stellenanzeigen und fügen Sie interessante Details ein, wie Teamgröße, Berichtslinie, Unternehmenswerte, Weiterbildungsangebote und einen Link zu Ihrer Karriereseite.
Don't: Über Quellen suchen, die andere auch nutzen.
Do: Betreiben Sie Active Sourcing im passiven Bewerbermarkt. Viele festangestellte Kandidaten sind offen für interessante Stellenangebote. Führen Sie Mitarbeiterprogramme ein und prämieren Sie erfolgreiche Empfehlungen.
Don't: Die Lösung im Internet erwarten.
Do: Online-Tools können sehr wertvoll sein, die persönliche Interaktion ist jedoch der wichtigste Aspekt im Recruiting-Prozess. Bauen Sie sich eine Bewerber-Pipeline auf.
Don't: Zu lange warten.
Do: Sprechen Sie ein Angebot aus, sobald Sie einen Favoriten identifiziert haben. Sie riskieren sonst, Ihren Wunschkandidaten an die Konkurrenz zu verlieren.
Don't: Ein niedriges Gehalt anbieten.
Do: Ein marktübliches Gehaltspaket anbieten. Dafür kann man sich bei Gehaltsübersichten orientieren.
Rose hat Bildungsexperten, Psychologen und Hirnforscher auf seiner Seite, die eine Wissenschaft des Individuums propagieren, die Körper, Talent und Charakter nicht als eindimensionale, glatte Skalen betrachten, sondern als unregelmäßig verteilte Merkmale, die sich kaum mit Durchschnitten und Typisierungen beschreiben lassen.
Besonders gerne beruft sich Rose auf den Harvard-Absolventen Gilbert Daniels. Schon für seine Abschlussarbeit im Fach physische Anthropologie sammelte der seine Daten selbst, indem er die Hände von 250 männlichen Kommilitonen vermaß. Nach dem Abschluss durfte er seinen Zollstock im Dienst für sein Land zücken, als Leutnant in der flugmedizinischen Abteilung der amerikanischen Luftwaffe.
Durchschnittskörper gibt's nur im Lehrbuch
Sein Auftrag war es, eine erschreckend hohe Zahl an Unfällen bei der US Air Force zu untersuchen. Dazu sollte Daniels die Durchschnittsmaße der Piloten feststellen, um herauszufinden, ob diese überhaupt noch bequem in die Cockpits passen. Daniels packte sein Maßband, untersuchte akribisch unter anderem Schulterhöhe, Brustumfang und Armlänge von mehr als 4000 Piloten und kalkulierte daraus den Durchschnitt.
Nach all der Rechnerei überkam ihn aber eine andere Frage: Wie ähnlich sind die echten Piloten überhaupt dem theoretischen Durchschnittsflieger? Die Antwort, nachdem er jeden einzelnen mit dem Durchschnitt verglichen hatte: überhaupt nicht. Kein Einziger kam in den vermessenen Dimensionen an ihn ran. Den Durchschnittskörper findet man vielleicht im Lehrbuch oder im Museum, nicht im Cockpit. Diese Erkenntnis veränderte das Beschaffungssystem der Air Force. Innerhalb weniger Jahre wurden in jedem Cockpit verstellbare Sitze, Pedale und Gurte verbaut.