Der menschliche Geist schafft sich selbst ab. Das könnte man zumindest glauben, wenn man die neuesten Nachrichten über künstliche Intelligenz (KI) verfolgt. Im für Computer auf lange Sicht als unknackbar geltenden Brettspiel Go wurde erst vor wenigen Wochen der Weltmeister Lee Sedol von einer KI namens AlphaGo entthront. Die Elektroautos des Silicon-Valley-Vorreiters Tesla oder die selbstfahrenden Vehikel von Google könnten Menschen bald als Fahrer ablösen und dabei auch noch die Straßen sicherer machen, weil sie nachweislich weniger Unfälle bauen.
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kündigte Facebook-Gründer und KI-Fan Mark Zuckerberg vor Kurzem an, dass er fieberhaft daran arbeite, Computern menschliche Sinne zu verpassen. „In fünf bis zehn Jahren könnten wir an einem Punkt sein, an dem Computer in diesen Dingen besser sein werden als wir“, sagte Zuckerberg.
Die Entwicklungsstufen Künstlicher Intelligenz
Der britische Informatiker entwickelt den nach ihm benannten Test. Er soll ermitteln, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. Ein russischer Chat-Roboter soll ihn 2014 erstmals bestanden haben.
Experten einigen sich auf den Begriff "Künstliche Intelligenz". Der Rechner IBM 702 dient ersten Forschungen.
Katerstimmung bei den Forschern: Die Fortschritte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Computer sind zu langsam, ihre Speicher zu klein, um die Daten von Bildern oder Tönen zu verarbeiten. Budgets werden gestrichen, erst ab 1980 geht es wieder voran.
Der Supercomputer von IBM siegt im Schachduell gegen Weltmeister Garry Kasparov. Die Maschine bewertete 200 Millionen Positionen pro Sekunde. 2011 siegt IBMs Software Watson in der Quizsendung "Jeopardy".
Der KI-Forscher sagt in einem Buch für das Jahr 2045 den Moment der "Singularität" voraus: Die Rechenleistung aller Computer erreicht die aller menschlichen Gehirne. Seit 2012 arbeitet Kurzweil für Google an KI-Systemen.
Ein Google-Programm beschreibt präzise in ganzen Sätzen, was auf Fotos zu sehen ist. Nahrungsmittelkonzern Nestlé kündigt an, 1000 sprechende Roboter namens Pepper in seinen Kaffeeläden in Japan als Verkäufer einzusetzen. Physiker Stephen Hawking warnt: KI könne eines Tages superschlau werden – und die Menschheit vernichten.
Computer sind schlau wie Menschen – und machen sogar Witze. Fabriken, Verkehr und Landwirtschaft sind nahezu komplett automatisiert.
Tatsächlich arbeiten Forscher weltweit daran, immer schlauere, immer gewieftere Technologien zu entwickeln, die in vielen Bereichen leistungsfähiger sind als unser Gehirn. Es scheint so, als gäbe es kaum noch etwas, das nicht mit einem ausgefeilten Algorithmus, einer ordentlichen Portion Daten und genügend Rechenkraft von Computern besser gemacht würde als von Menschen.
Das gilt längst auch bei zahlreichen Unternehmen. Sie sammeln und analysieren immer mehr Daten, und zwar in verschiedenen Bereichen – von der Marktforschung über die Logistik und Fertigung bis zur Personalpolitik. Somit dienen sie den handelnden Personen als Grundlage für ihre Entscheidungen. „Es klingt vielleicht dramatisch, aber gerade liefern wir uns ein Rennen mit der Technologie“, sagt Jacob Sherson, Professor am Lehrstuhl für Physik und Astronomie der Universität Aarhus in Dänemark, „und wir werden in vielen Feldern von ihr überholt.“
Maschinen fehlt die Intuition
Daraus ergeben sich durchaus heikle Fragen, und letztendlich läuft es auf eine hinaus: Braucht man den Menschen überhaupt noch? Oder sollte er besser gleich kapitulieren vor der Übermacht der künstlichen Intelligenz? Nein, zumindest noch nicht. Denn es gibt da eine Sache, die das menschliche Gehirn kann, die Maschine aber nicht. Und die das Rennen zwischen Mensch und Maschine zumindest noch eine Weile offenhalten wird – die Intuition. Und das Schöne ist: Sie hilft uns vor allem in schwierigen Situationen: „Wir verhalten uns intuitiv, wenn wir ein unbekanntes Problem lösen müssen, während es für einen Computer unbegreiflich ist“, sagt Sherson.
Tatsächlich hat die Intuition in der Wirtschaftswelt schon lange einen festen Platz. Jack Welch zum Beispiel, der legendäre CEO des US-Konglomerats General Electric, sagte einmal, gute Entscheidungen treffe man geradeheraus aus dem Bauch. Und noch heute ist für Vorstände die Intuition der wichtigste Ratgeber bei großen Entscheidungen, wie eine Studie der Economist Intelligence Unit im Jahr 2014 ergab.
Bauchgefühle schlägt Algorithmus
Die Marktforscher befragten im Auftrag der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC mehr als 1100 Führungskräfte weltweit. Zwar hatten etwa zwei Drittel der CEOs keinen Zweifel daran, dass Big Data die Art verändert, wie Entscheidungen getroffen werden. Doch selbst wenn es um wichtige strategische Entscheidungen ging, vertrauten 30 Prozent der befragten Unternehmenslenker immer noch mehr ihrer Intuition und Erfahrung als den harten Zahlen.
Aber woher kommt dieses Gefühl, dem nicht nur Firmenvorstände gehorchen, sondern dem fast jeder schon bei wichtigen Entscheidung vertraut hat? Und was will es uns damit sagen? Sollten wir darauf hören – oder es lieber ignorieren?
Sobald sich eine Entscheidung anbahnt, läuft der intuitive Denkprozess unterbewusst ab. Gefüttert wird er von den verfügbaren Informationen einerseits und dem Wissen und den Erfahrungen andererseits, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Automatisch beginnen Tausende von vernetzten Neuronen zu feuern. Sie formen aus den verfügbaren Daten und Fakten eine Interpretation, die sich in einem Gefühl ausdrückt. Und das eigentlich Verblüffende ist: Dieses Wissen – etwas zu wissen, ohne zu wissen, warum –, das ohne bewusstes Zutun entsteht, liefert nicht nur schnelle, sondern oft auch die richtigen Antworten.
Besser entscheiden
Hätte eine Fehlentscheidung ernsthafte, unwiderrufliche Konsequenzen? Stehen Jobs auf dem Spiel? Falls nein – dann trauen Sie sich!
Nehmen Sie die Position eines hartnäckigen Kritikers ein: Was können Sie aus seinen Argumenten lernen?
Stellen Sie sich auch mal andere Fragen: Womit rechnen Sie keinesfalls – und wie reagieren Sie, falls es trotzdem passiert?
Schlafen Sie eine Nacht drüber: So kann Ihr Unterbewusstsein das Problem durchdringen.
Seien Sie skeptisch im Hinblick auf Daten und Dogmen: Vielleicht hatte der frühere Erfolg in Wahrheit andere Gründe? Ursache und Wirkung werden gerne mal verwechselt.
In einer aktuellen Studie konnte Jacob Sherson von der Aarhus Universität das ausgerechnet am Beispiel der Quantenmechanik zeigen. Einem Feld, das so kompliziert ist, dass selbst Experten behaupten: Wenn man glaubt, es zu verstehen, hat man es nicht richtig verstanden.
Bauchgefühl übertraf den Computer
Sherson und seine Kollegen hatten ein Problem. Sie wollten ein einzelnes Atom bewegen, ohne dass ihm dabei die für quantenmechanische Prozesse wichtigen Informationen abhandenkommen. Ihnen war klar, dass dafür eine bestimmte Technik und Geschwindigkeit gefragt ist – aber nicht, welche genau. Um den optimalen Transportmechanismus für die einzelnen Atome herauszufinden, fütterten sie einen Computer mit der Aufgabenstellung und den nötigen Daten. Außerdem programmierten sie ein Videospiel, das das Problem simulieren sollte. Testpersonen konnten darin spielend eigene Lösungen ausprobieren.
Und siehe da: Das Bauchgefühl schlug den Algorithmus. Intuitiv fanden die menschlichen Teilnehmer oftmals eine annähernd optimale Methode, für die der Algorithmus Hunderttausende Versuche benötigte.
Shersons Studie zeigt, dass selbst im Angesicht höchster Komplexität die Intuition ein guter Ratgeber sein kann. Doch auch für im Vergleich dazu trivialere Unternehmensentscheidungen kann das Bauchgefühl äußerst hilfreich sein, wie eine Gruppe um die Marketing- und Innovationsforscherin Katrin Eling von der Technischen Universität Eindhoven in einer kürzlich veröffentlichten Studie herausfand. Darin sollten Produktentwicklungsexperten das Potenzial von verschiedenen Ideen beurteilen. Die Qualität der Ideen legten die Forscher fest, indem sie ihnen je zwölf Eigenschaften gaben, die entweder positiv oder negativ sein konnten. Zum Beispiel konnte eine Produktidee eine lange oder kurze Entwicklungszeit haben oder mit bestehenden oder neuen Zulieferern realisiert werden. Je mehr positive Ausprägungen eine Idee hatte, desto besser war sie objektiv gesehen.
Wer sich bewusst von einem Problem ablenken kann, trifft bessere Entscheidungen
Die Probanden wurden nun in verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine Hälfte der Teilnehmer musste sich nach dem Anschauen der Ideen drei Minuten lang bewusst mit deren Vor- und Nachteilen auseinandersetzen. Die zweite Hälfte wurde durch ein Puzzlespiel abgelenkt, dadurch sollte sich nur ihr Unterbewusstsein mit den Ideen beschäftigen. Darauf folgte eine Entscheidungsphase, in der sowohl die Abwägenden als auch die Abgelenkten wieder je in zwei Gruppen unterteilt wurden. Eine erhielt die Anweisung, sich rational für die beste Idee zu entscheiden. Die andere sollte aus dem Bauch heraus handeln.
Wenig überraschend: Insgesamt verbesserte das Wechselspiel zwischen Intuition und rationaler Beurteilung die Entscheidungsqualität. Schon überraschender: Wer zunächst durch das Puzzlespiel abgelenkt wurde, kam deutlich schneller zu einem Urteil. „Die unbewusste Verarbeitung ist ein viel besserer Startpunkt, um eine Idee abschließend zu beurteilen, als eine bewusste Abwägung“, schreiben die Autoren. In der Praxis sei es deshalb wichtig, dass sich die Entscheider bewusst ablenken können, um dem intuitiven Prozess genug Platz einzuräumen.
Das Dilemma der Intuition
Kein Zweifel, die Beispiele zeigen die Stärken der Intuition. Aber sie verdeutlichen auch ihr grundsätzliches Dilemma: Das Bauchgefühl funktioniert dann besonders gut, wenn wir vieles, aber nicht alles wissen. Und wenn wir uns bei der Bewertung hauptsächlich auf unsere Erfahrungen verlassen können. Deshalb sind Experten auf einem Gebiet eben genau das: Experten. Durch ihr tiefes Wissen haben sie häufig das richtige Bauchgefühl. Aber auch ihnen fällt es bisweilen schwer, eine intuitive Entscheidung zu begründen – außer mit der Intuition selbst. Dazu kommt: Auch sie können falschliegen.
Das hat der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seiner jahrzehntelangen Forschung und seinem bahnbrechenden Werk „Schnelles Denken, langsames Denken“ überzeugend nachgewiesen. Die intuitiven, unbewussten Entscheidungsprozesse sind nämlich fehleranfällig.
Drei typische Denkfehler
In schwierigen Situationen suchen Menschen intuitiv nach ähnlichen Erinnerungen. Umso wichtiger ist es, spontane Eingebungen zu hinterfragen. Denn mitunter sind gewisse Informationen schlicht besser verfügbar, sodass wir ihre Bedeutung überschätzen - und uns falsch entscheiden.
Aus einer erfolgreichen Gründergeschichte lässt sich viel für den eigenen Weg lernen? Nicht unbedingt. In den meisten Fällen haben Außenstehende nur begrenzte Informationen. Heikel, sich darauf zu verlassen.
Gäste des Restaurants Studio 97 zahlen mehr als Gäste des Studio 17. Der Grund: Um den Wert einer Sache bemessen zu können, sucht das Gehirn nach Vergleichswerten. Vorsicht also bei sämtlichen Verhandlungen, egal, ob es um eine Immobilie oder das Gehalt geht. Zahlen sind ein äußerst subtiler Manipulator.
Doch bei allem berechtigten Zweifel und trotz immer besserer Datenanalyse: Ignorieren sollte man die Intuition aber trotzdem nicht. Das bestätigt auch Andreas Glöckner, Professor für Psychologische Diagnostik, Urteilen und Entscheiden an der Universität Göttingen: „Das Gefühl ist ein Warnsignal dafür, dass ein möglicherweise wichtiges Kriterium bei einer Entscheidung noch nicht bedacht wurde.“ Diesen Faktor, sagt der Psychologe, gelte es dann zu finden – um zu entscheiden, ob er wichtig ist oder nicht.
Glöckner hat das bereits selbst erlebt. Bei einer großen Fluglinie half er einst als Projektleiter bei schwierigen Entscheidungen, etwa bei der Wahl der Zulieferer. Die Verantwortlichen versuchten solche Entscheidungen häufig zu rationalisieren, indem sie zum Beispiel in einer Tabelle die wichtigsten Attribute der Bewerber auflisteten und verglichen. „Anhand dieser Kriterien gab es einen eindeutigen Gewinner“, erinnert sich Glöckner, „aber es blieb bei allen ein schlechtes Gefühl.“ Erst in diesem Moment wurde den Entscheidern klar: Die Servicequalität als wichtiges Kriterium fehlte – weil sie sich nicht so leicht formalisieren ließ.
Wann Überzeugungen zu Handlungen führen
Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt.
Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein.
Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein.
Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig gedankliche Flexibilität ist. Eine Fähigkeit, die in starren Unternehmenshierarchien nicht unbedingt überall zu finden ist. Den aktuellen Zustand bezeichnet der renommierte Kognitionsforscher Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung als „Angst vor Intuition“. Die führt dazu, dass entweder die falsche Entscheidung getroffen wird – oder dass viel Zeit und Geld in eine rückwärtsgerichtete Rationalisierung der Intuition gesteckt wird.
Wichtiger Kontrolleur
Ein Problem bleibt allerdings: Menschliche Entscheidungen werden niemals völlig fehlerfrei sein. „Man kann mit einer guten Intuition schon relativ nah an die optimale Lösung eines Problems rankommen“, sagt Andreas Glöckner von der Uni Göttingen, „aber auch die blinde Datenanalyse kommt heute schon erstaunlich weit.“
Und während das menschliche Denkvermögen mit ziemlicher Sicherheit auf einem ähnlichen Niveau verharrt, treiben selbstlernende Big-Data-Algorithmen ihre eigene Genauigkeit immer weiter in die Höhe. „In Zukunft kann man sich schon vorstellen, dass ein Computer zu vielen Problemen die normativ richtige Lösung findet, wenn er mit den richtigen Daten gefüttert wird. Das kann man auch mit Intuition nicht schlagen“, sagt Glöckner.
Das menschliche Bauchgefühl wird aber auch hier eine wichtige Rolle einnehmen. Dann nämlich, wenn sich das Ergebnis nicht richtig anfühlt. „Die Intuition dürfte eine wichtige Kontrollfunktion behalten“, sagt Glöckner, „und dafür sorgen, einen Algorithmus mit genau den richtigen Daten zu füttern.“