Zwischen Ende 20 und Ende 30 prasselt alles auf einmal auf Arbeitnehmer ein: Es sind die entscheidenden Jahre im Berufsleben, die Weichen für die weitere Karriere müssen gestellt werden, und das Thema Altersvorsorge wird plötzlich überhaupt erst eins. Gleichzeitig wollen viele eine Familie gründen, bei den ersten sind alte Eltern oder kranke Angehörige zu versorgen. Der Lebensabschnitt heißt deshalb nicht von ungefähr auch „Rush hour“ des Lebens.
Die Hamburger Personalvermittlung Orizon hat für eine Arbeitsmarktstudie eine repräsentative Umfrage erstellt. Ergebnis: Vertreter der sogenannten Generation Y, also der zwischen 1980 und 1999 Geborenen, klagen über Stress. Überdurchschnittlich viele fühlen sich in ihrem Job nicht wohl. Zwei Drittel von ihnen sehen sich psychischem Stress am Arbeitsplatz ausgesetzt. In anderen Altersgruppen fiel dieser Wert deutlich niedriger aus.
Natürlich haben 19-Jährige nicht unbedingt dieselben Probleme und Wahrnehmungen wie 38-Jährige. Die Studie teilt deshalb noch einmal in Altersgruppen zwischen etwa 20 und 30 sowie zwischen 30 und Ende 30. Gestresst fühlen sich drei Viertel aller Befragten durch zu viele Aufgaben bei zu wenig Personal. Junge Berufseinsteiger unter 20 Jahren sowie die ab 30 Jahren empfinden eine hohe Belastung durch Konflikte mit Kollegen. Ständig erreichbar sein zu müssen stresst 38 Prozent der 20- bis 29-Jährigen und 36 Prozent der 30- bis 39-Jährigen.
Warum die Generation Y empfindlich reagiert, erklärt sich der Göttinger Soziologe Knut Tullius mit ihrer Verunsicherung. „Die 25- bis 35-Jährigen sind einerseits überzeugt, dass sie auf Grundlage ihrer Leistungsbereitschaft und Flexibilität ihre Zukunft im Berufsleben selbst in der Hand haben. Sie beobachten andererseits aber auch aufmerksam, was um sie herum geschieht und haben oftmals schon Erfahrungen mit prekären Beschäftigungen gemacht, zum Beispiel in befristeten Anstellungen.“ Das Sicherheitsgefühl, das noch die Elterngeneration kannte, ist dahin. „Deshalb sind sie umso glücklicher, wenn sie eine Arbeit gefunden haben, die sicher ist und sie materiell, aber auch inhaltlich zufriedenstellt“, erklärt Tullius. Es gehe vor allem darum, das Erreichte zu sichern.
Ist ein Ziel erreicht, müssen schon wieder Kompromisse her
Doch das ist nicht so einfach. Im Gegenteil: Wenn weitere Lebensziele hinzukommen, verstärkt sich das Bedrohungsszenario. Hat zum Beispiel ein Paar mit Anfang 30 gute Jobs gefunden und die Karriere angeschoben, sorgt der Wunsch, eine Familie zu gründen oder ein Haus zu bauen, für neue Unsicherheit. „Diese Ziele lassen sich unter Umständen nur erreichen, wenn Abstriche gemacht werden“, sagt Knut Tullius.
Dabei geht es nicht um „Luxusprobleme“. „Phasenweise machen Jüngere erhebliche Abstriche“, sagt Tullius, der im vergangenen Jahr mit einer Münchner Kollegin eine Studie für die Hans-Böckler-Stiftung erstellte, die sich mit Verhalten und Erwartungen junger Arbeitnehmer befasste. Abstriche zu machen könne im Extremfall heißen, dass die Familienplanung aufgeschoben wird oder sogar ganz ausfällt. Oder, sobald es eine Familie gibt, bei der ursprünglichen Karriereplanung zurückzustecken.
Die Generation Y wird gemeinhin beschrieben als eine, die großen Wert auf eine gute Work-Life-Balance legt. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht leistungsbereit sei. „Die Work-Life-Balance ist ihnen sehr wichtig in dem Sinne, dass es kein 'entweder, oder' zwischen Beruf, Freizeit oder Familie geben soll. Ziel ist, die privaten lebensweltlichen Interessen mit einer interessanten, auskömmlichen Arbeit vereinbaren zu können“, leitet Tullius aus seinen Forschungsergebnissen ab.
Die Schwierigkeiten, die dabei auftreten, schreibt der Soziologe nicht den jungen Menschen zu, sondern sieht deren Ursache eher in äußeren Umständen. Das kann die nicht ausreichende Betreuungsinfrastruktur für kleine Kinder sein, das können wenig flexible Arbeitszeiten oder Erwartungen des Umfelds sein. Nicht auszuschließen sei aber auch, dass eigene Ansprüche und Perfektionismus eine Rolle spielen können.
Für Unternehmen und Personaldienstleister ergibt sich daraus ein komplexes Anforderungsfeld. Sie müssen den gut ausgebildeten und leistungsbereiten Vertretern der Generation Y entgegenkommen. Es bedarf schließlich nicht erst wissenschaftlicher Studien, um zu erkennen, dass Arbeitnehmer nur dann motiviert sind und ihre Fähigkeiten voll abrufen können, wenn auch ihr sonstiges Leben im Lot ist.