Karriere Erfolg mit der eigenen Pleite

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Vortrag in Wien: Unternehmerisches Scheitern aus der Tabu-Zone geholt Quelle: J. Arnold

Der Koch war selbst insolvent und ihr Buch habe ihm geholfen, wieder auf die Beine zu kommen, sagt er und schiebt sich wieder hinter die Hähnchen-Erdnuss-Koriander-Spieße an den Grill.

Ihr Elan beeindruckt selbst die Gläubiger. Dem Münchner Anwalt Ernst Altweger schuldet Koark 30.000 Euro. Aber das ist ihm inzwischen egal. Altweger ist nicht nur Gläubiger von Anne Koark, sondern auch ein großer Fan: „Ich bewundere, wie sie ihren Zusammenbruch in positive Energie umgewandelt hat“, sagt er.

Mit dieser Energie will sie das Scheitern entstigmatisieren. Nach ihren Vorträgen, wenn der Applaus abebbt, herrscht meist Stille. Erst später an der Hotelbar scharen sich die Menschen um sie. Die Deutschen haben Angst, mit dem Thema in Verbindung gebracht zu werden. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit gar nicht weiß, was eine Insolvenz bedeutet. Anne Koark sieht es so: Eine Insolvenz sei nur eine Etappe auf einer Lernkurve, und Scheitern gehört zum Gründen wie der Handelsregistereintrag. Das soll jeder wissen.

Und als wäre das nicht Mission genug, will Anne Koark es gleich noch mit dem System aufnehmen. Das deutsche Insolvenzrecht hat nur die Gläubiger im Blick. In Großbritannien und den USA sei das Ziel, das Unternehmen zu entschulden und es wieder auf die Beine zu bringen, sagt sie. Das sollte auch unser Ziel sein.

Mit diesem Ziel vor Augen fährt sie immer wieder nach Berlin. Bis zu Bundesjustizministerin Brigitte Zypries dringt sie vor. Dann erzählt sie aus ihrem Alltag, bis sie heiser ist. Wer insolvent ist, verliert den Zugang zu seinem Unternehmen. Ein offenes Tor für dubiose Geschäftemacher: Sie schicken falsche Rechnungen, gegen die sich Insolvente nicht einmal wehren können.

Schlimmer noch sei, dass Pleitiers ihre Insolvenzverwalter nicht aussuchen können. Koark berichtet von dem Freiburger Hotelbesitzer und ehemaligen Stadtrat Heinrich Schwär. Sein Insolvenzverwalter hatte den Verkauf seiner Immobilie verfügt. Kurz darauf ging das Hotel für 1,8 Millionen Euro unter den Hammer. Viel zu wenig. Schon vor dem Verkauf hatte der Hotelier einen Interessenten präsentiert, der mehr bot – vergebens. Der Insolvenzverwalter verkaufte Schwärs Lebenswerk zum Discount-Preis.

Es gibt Menschen, die sich daran stören, dass Anne Koark die Schuldner als Opfer zeichnet. Das nimmt sie in Kauf. Sie will, dass jeder ihre Geschichten kennt. „Insolvente sind die Toten unserer Gesellschaft“, sagt sie. Und es besteht kein Zweifel daran, dass sie die Toten auferwecken will.

Ihre Einsatzzentrale steht zwischen zwei mannshohen Palmen in ihrer Münchner Vier-Zimmer-Wohnung: Der Ein-Quadratmeter-Schreibtisch aus Fichtenholz, Modell Kinderzimmer, darauf ein Computer, der seine besten Jahre Mitte der Neunziger hatte. Das Unternehmen ist tot, „die Unternehmerin lebt“, sagt Koark. Fast rund um die Uhr ist ihre Insolventen-Seelsorge erreichbar. Bis zu 200 E-Mails von Unternehmern und Selbstständigen beantwortet sie am Tag.

Ob sie wieder ein Unternehmen gründen würde? „Ich unternehme doch etwas“, sagt Koark. Ihren Humor hat sie zu keiner Zeit verloren. Humor kann man nicht pfänden.

Deswegen wird wohl auch die Berufsbezeichnung auf ihrer Visitenkarte stehen bleiben: „Anne Koark“ steht darauf und darunter: „Pleitier“. Ein Banker hat viel Geld, ein Privatier viel Zeit und „ein Pleitier“, sagt Anne Koark, „hat viel Erfahrung“.

Das hat auch irgendwann ihr zwölfjähriger Sohn mitbekommen. Als die Kinder im Unterricht ihren Klassenkameraden den Beruf ihrer Eltern erklären sollten, sagte Anne Koarks Spross: „Meine Mama ist von Beruf pleite. Und sie hilft damit vielen Menschen.“

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