Karriere Karrierefaktor Sex

Sex und Leidenschaft sind mehr als menschliche Triebe. Tatsächlich beeinflusst die Sexualität enorm berufliche Erfolge – und die wiederum das Sexleben. Wie beide zusammenwirken.

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Karrierefaktor Sex: Die Sexualität beinflußt berufliche Erfolge enorm. Quelle: AP

Jens, 46, ist Röntgenarzt mit einer gut gehenden Praxis in der Nähe von Stuttgart. Er hat Erfolg und strahlt das auch aus. Dieses Glück, sagt er, habe er auch einem Sexualleben zu verdanken, das er mit seiner Partnerin Katerina teilt. Auch sie versichert, dass Arbeitslust und Produktivität in ihrem Job mit ihrer Liebe zu Jens und ihrer gemeinsamen Lust an der Leidenschaft einhergehen. „Es ist immer wieder so“, sagt Jens, „dass meine euphorische Stimmung nach dem Sex noch eine Weile im Job nachhallt.“

Von Sexualität, das zeigt nicht nur das Bekenntnis des Röntgenarztes, der lieber anonym bleiben will, geht eine Dynamik aus, die im Berufsalltag fortwirkt. Oft verleiht sie den Schwung, auf dem Karrieren vorankommen und Pläne zur Wirklichkeit werden. „Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten“, schrieb der bekennende Erotomane Johann Wolfgang Goethe in „Iphigenie auf Tauris“. Das war 1787.

Und heute? Wer sich auf die Suche nach wissenschaftlichen Belegen für den positiven Einfluss von Sexualität, Liebe und Partnerschaft auf Tatendrang und Karriere macht, begibt sich in ein Gebiet, das von der Wissenschaft noch vernachlässigt wird. Forscher und Mediziner sind vor allem Verwalter der Not: Sexualwissenschaftler beschäftigen sich mit sexuellen Dysfunktionen. Gynäkologen kümmern sich um Hormonstörungen und Unfruchtbarkeit. Psychologen reden über die zunehmende Unlust von Paaren, und Pharmaforscher suchen nach Potenzmitteln für Männer und Frauen. Selbst in der Positiven Psychologie des amerikanischen Forschers Martin Seligman, die nach dem Prinzip verfährt, menschliche Charakterstärken kontinuierlich aufzubauen statt sich auf Probleme zu fixieren, kommt Sex als stärkende Kraft kaum vor.

Dabei ist Sexualität eine mächtige Triebfeder in unserem Leben. Es geht um den Austausch von purer Energie, um Leidenschaft, absolute Nähe und nicht zuletzt um eine Form der engsten Kommunikation zwischen zwei Partnern. In der klassischen Bedürfnispyramide des US-Psychologen und Managementlehrers Abraham Maslow gehört Sex — neben Ernährung, Wärme, Aktivität und Neugier — zu den grundlegenden körperlichen und primären Bedürfnissen, die befriedigt sein müssen, um im Beruf immer weiter motiviert zu sein.

Sie kann aber auch zu einer Karrierebremse werden, wie Sexskandale belegen, die alle Quartale wieder die Schlagzeilen beherrschen. Zuletzt geriet der Präsident des Automobil-Weltverbandes, Max Mosley, ins Zwielicht, weil er an einer Sexparty mit fünf Prostituierten teilgenommen haben soll. Lange war fraglich, ob er nach dieser Affäre an der Spitze der Formel 1 noch eine Zukunft haben könnte — er bleibt im Amt, trotz erheblicher Widerstände. Bizarre Vorgänge und Sexspiele prägten auch den VW-Skandal um bezahlte Lustreisen für Betriebsräte, über die VW-Manager gleich reihenweise zu Fall kamen. Nicht nur schlechter, auch öffentlich gewordener Sex kann Karrieren killen.

Sex macht stark

Im Glücksfall hingegen wirkt guter Sex wie ein Erfolgsaphrodisiakum – für den es allerdings keine allgemeingültige Definition gebe, wie der Bonner Neuro-Urologe André Reitz sagt: „Sexualität ist radikal individuell“. Wie erfüllter Sex dem Berufserfolg auf die Sprünge hilft, ist zuallererst eine höchst persönliche Erfahrung.

Das kann Sven nur bestätigen. Der 42-Jährige ist selbstständiger Bauleiter und koordiniert von Hamburg aus Großprojekte wie den Bau von Hotelanlagen. „Mit 35 war meine Karriere am Ende. Ich war angestellt und lebte in einer nicht mehr funktionierenden Beziehung. Nichts lief mehr: weder der Sex noch der Job“, sagt Sven.

Druck gab es von allen Seiten: Die Freundin erwartete Sex nach Zeitplan, weil sie unbedingt ein Kind wollte; die Firma zog ihn zur Rechenschaft, wenn Fristen nicht eingehalten wurden. „Ich hielt das irgendwann nicht mehr aus, löste mich aus der Beziehung und kündigte.“

Er begann eine MBA-Ausbildung und machte sich mit einem Beratungsunternehmen selbstständig. Mit der Karriere ging es allerdings erst richtig bergauf, als Sven seine neue Freundin Claudia kennenlernte. „Die ungezwungene Sexualität zwischen uns macht mich stark“, gibt er freimütig zu. Heute könne er sich in den oft harten Verhandlungen mit Bau- und Projektleitern besser durchsetzen und managt mittlerweile Millionenprojekte. „Klar hat das auch mit meiner Qualifizierung zu tun, die gute sexuelle Beziehung zu Claudia nimmt mir vor allem aber die Angst zu versagen.“

Verliebtheit wirkt wie ein Stimulans; gleich einem Muntermacher für eine müde gewordene Lust auf beruflichen und privaten Erfolg. Als sich etwa die IT-Expertin Maren, 35, neu verliebte, strahlte sie eine Aura aus, die sie und andere motivierte – „und zwar auf eine Weise, die mich überraschte“, sagt sie. Mit einem Mal schienen ihre Vorschläge überzeugender, ihre Präsentationen erhielten mehr Aufmerksamkeit als sonst, ihr Auftritt war insgesamt souveräner und selbstbewusster.

Maren genoss den zusätzlichen Motivationsschub, die erhöhte Aufmerksamkeit und Anerkennung, deren Ursachen sie vor den Kollegen freilich verschwieg. Erst vor Kurzem hat sie sich intern als stellvertretende Abteilungsleiterin beworben – ein Job, den sie sich vor Monaten überhaupt nicht zugetraut hätte. Inzwischen traut sie sich mehr zu, Motto: Im Bett klappt’s wunderbar – warum nicht auch im Job?

Ein solchermaßen neu gewonnenes Selbstbewusstsein kennen Psychologen aus Beratungsgesprächen. Liebe und sexuelle Lust lassen die Persönlichkeit in Fluss geraten, machen Veränderungen möglich und „geben den Schwung, eine neue Lebensphase zu beginnen“, wie die New Yorker Psychiaterin und Paartherapeutin Ethel Person bestätigt.

Die Serie

Wenn alles gut läuft, besteht zwischen der neuen Lebens- und Karrierelust eine Wechselwirkung. „Ein toller Job macht selbstbewusst. Man traut sich dann einfach mehr, auf Männer zuzugehen“, sagten zum Beispiel 59 Prozent von 1023 befragten Business-Frauen mit einem Jahreseinkommen ab 50.000 Euro in einer Umfrage der Frauenzeitschrift „Amica“. Für jede vierte Befragte hatte der berufliche Erfolg noch konkretere Folgen: „Seit ich Karriere gemacht habe, habe ich besseren Sex.“

Die umgekehrte Rechnung – mehr Sex gleich steilere Karriere – geht allerdings nicht auf. Ein direktes Ursache-Wirkung-Prinzip besteht hierbei nicht. Dazu sind die biochemischen Vorgänge, die im Körper beim Sex ablaufen, zu komplex und die Unterschiede, wie weibliche und männliche Sexualität erlebt werden, zu groß.

Allerdings geben neue interdisziplinäre Forschungen in den Neurowissenschaften, der Psychologie und der Neurobiologie Hinweise darauf, wie das Zusammenspiel beim Sex funktioniert und wie dies die Karriere stimulieren kann.

Stuart Brody, Psychologieprofessor an der westschottischen Universität von Paisley, konnte zum Beispiel nachweisen, dass Sex beruflichen Druck erträglicher macht. Wer zuvor mit einem Partner geschlafen hatte, war hernach deutlich stressresistenter, der Blutdruck normalisierte sich schneller und er konnte sogar unbefangener vor einem großen Publikum auftreten.

Brody vermutet, dass die beruhigende Wirkung durch das Hormon Oxytocin hervorgerufen wird. Der Botenstoff, auch Kuschelhormon genannt, wird im Körper bei zärtlichen Berührungen und beim Geschlechtsverkehr freigesetzt und hat sowohl eine euphorisierende als auch beruhigende Wirkung, die Vertrauen schafft.

Sex macht mutig

Gordon Gallup, Psychologe an der State University of New York in Albany, wiederum hat herausgefunden, dass im Ejakulat des Mannes psychisch wirksame Hormone enthalten sind, die über die Vagina der Frau aufgenommen werden und so ihr Gefühlsleben positiv beeinflussen. Möglicherweise handelt es sich dabei um Östrogene, Östrogenmetaboliten und Prostaglandine, von denen heute bekannt ist, dass sie Depressionen mildern können.

Auch das gilt inzwischen als gesichert: Sexuell aktive Frauen und Männer leben in der Regel länger – unter anderem, weil das Risiko, an Krebs zu erkranken, geringer ist, wie zum Beispiel Carl Charnetski vom Department of Psychology an der Wilkes-Universität ermittelt hat. Sein Kollege David Weeks, klinischer Neuropsychologe am Royal Edinburgh Hospital, veröffentlichte eine Studie, die zeigt, dass Männer und Frauen, die durchschnittlich viermal Sex in der Woche haben, zehn Jahre jünger wirken, als sie in Wahrheit sind.

Mit immer aufwendigeren Methoden will inzwischen auch die Hirnforschung dem direkten Zusammenhang von Sex und Erfolg auf die Spur kommen, auch wenn manche Studien noch mit wenig Probanden auskommen müssen. In einer jetzt im „Neuroreport“ veröffentlichten Studie haben die Finanzprofessorin Camelia Kuhnen von der Finance Kellogg School of Management und der Psychologe Brian Knutson von der Stanford-Universität herausgefunden, dass erotische Stimulation die Risikobereitschaft beeinflusst. Kurz: Sex macht mutiger.

Entscheidend dabei ist offenbar der sogenannte Nucleus accumbens. Dieses Hirnareal spielt eine entscheidende Rolle im Belohnungssystem des Gehirns. Junge Männer, die erotische Frauenbilder zu sehen bekamen, entschieden sich anschließend für risikoreichere Züge in einem Wettspiel. Wurden ihnen hingegen Schlangen oder Spinnen gezeigt, konnte keine Reaktion des Nucleus accumbens festgestellt werden.

Hans-Georg Häusel, Psychologe und Vorstandsmitglied des Beratungsunternehmens Nymphenburg, ist sogar überzeugt, dass es hormonelle Gründe habe, wenn Männer eher als Frauen Karriere machen. „Je höher der Testosteronspiegel in unserem Blut“, erklärt Häusel, „desto höher sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Wille zur Macht und die Lust am Kampf.“

Testosteron ist der Botenstoff für die Libido, er gilt als Sexual- und Dominanz-hormon – und sei zugleich dafür verantwortlich, dass hohe Positionen für Männer erstrebenswerter sind als für Frauen, so Häusel.

Aus der kognitiven Forschung lasse sich aber auch ein ganz anderer Aspekt ableiten: Ein gemischter Führungskreis, in dem Männer und Frauen zusammenarbeiten, sei im Top-Management wichtig, um von den Vorteilen des weiblichen und des männlichen Denkens zu profitieren: „Testosteron setzt Scheuklappen auf, es reduziert die Welt. Frauen bringen mehr Aspekte ein.“ In einem sich schnell verändernden Markt müssten Unternehmen sowohl auf eine „Fokussierung wie eine Verbreiterung des Denkens“ setzen.

Unsere Sexualität entwickelt sich allerdings im Lauf der Zeit. Vor allem das Alter spielt dabei eine große Rolle. Sobald der Hormonspiegel sinkt, regiert die Unlust.

Aus der Burnout-Forschung etwa ist bekannt, dass ein Karriereknick oder das Gefühl, das Ende der Wegstrecke erreicht zu haben, gerade bei Männern in den Fünfzigern massive sexuelle Versagensängste auslöst. Das Ganze funktioniert aber auch umgekehrt: Versagt der Körper, stürzt mancher Mann in eine tiefe Krise. Bei diesen Männern müsse der Körper „im Beruf genauso funktionieren wie in der Sexualität und im Sport. Tut er es nicht, haben viele Männer das Gefühl, sie würden von ihrem Körper im Stich gelassen wie von einer unzuverlässigen Maschine“, sagt der Dresdner Psychologe und Männerforscher Holger Brandes. Solche Männer, denen bisher alles gelang, identifizieren sich mit ihrer Potenz – und sind entsprechend verzweifelt, wenn es im Bett und im Büro nicht mehr so klappt wie früher. Nicht von ungefähr sind Potenzmittel wie Viagra, Levitra und Cialis für die Pharmakonzerne ein solches Milliardengeschäft geworden.

Testosteron für die Angriffslust

Aber auch Frauen nehmen die abflauende Sexualität als Problem wahr, wenn sie in die Wechseljahre kommen. Die Hormonexpertin Anneliese Schwenkhagen kennt aus ihrer Praxis viele Patientinnen, die über klimakterische Beschwerden klagen. Fehlt die Lust am Sex, wird der Beruf oft mit einem Mal viel negativer empfunden. Hinzu kommen Hitzewallungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Eine Spirale nach unten entsteht.

Das Klimakterium kann allerdings auch den gegenteiligen Effekt auslösen. Die Wechseljahreexpertin Brigitte Hieronimus kennt Frauen, die mit Ende 40 eine neue Karriere begonnen haben oder sich „ab Mitte 40 selbstständig machen“. Der Grund: Durch die Abnahme des Östrogens wird das Testosteron spürbarer und verleiht den Frauen eine „positive Angriffslust“.

Im Gegensatz zu den Frauen sind die Auswirkungen von Testosteron bei Männern deutlich besser erforscht. Das Hormon steuert nicht nur ihre sexuelle Lust, wie der Bonner Männerarzt André Reitz sagt, sondern hat auch entscheidenden Einfluss auf Motivation und Leistungsvermögen.

Ein Befund, den eine neue Studie aus Großbritannien stützt. In einer Untersuchung von 17 Händlern der Londoner Börse konnte der Psychologe John Coates von der Universität Cambridge, den Zusammenhang zwischen finanziellem Erfolg und einem hohen Testosteronspiegel nachweisen. Die Männer mussten jeweils morgens um elf Uhr und nachmittags um 16 Uhr Speichelproben abgeben. Coates fand heraus, dass erfolgreiche Geschäfte den Testosteronspiegel der Händler in die Höhe trieben. Noch erstaunlicher aber war, dass die besten Händler schon morgens eine hohe Testosteronkonzentration im Blut hatten.

Nicht selten werden solche Erfolgstypen als „Alpha-Männer“ bezeichnet, die „auch in sexueller Hinsicht zu offensivem Verhalten neigen“, schreiben Kate Ludeman und Eddie Erlandson in „Alpha-Tiere. Der schmale Grat zwischen Erfolg und Absturz im Management“. Die Ausstrahlung und Vitalität dieser Männer machten sie enorm attraktiv, auch in sexueller Hinsicht. „Viele Männer verbinden Sexualität mit Erfolg und Macht“, sagt die Sextherapeutin Dagmar O’Connor, „fehlt die Macht, erlischt auch die Libido.“

Wem es dagegen gelingt, seine Karriere so zu gestalten, dass der Weg an die Spitze von einer erfüllenden Partnerschaft begleitet wird, kann nur gewinnen. Am besten sei die Einstellung, sagt Dagmar O’Connor: „Ich werde das alles morgen nicht schaffen, wenn ich heute nicht noch Sex habe!“

Eine im Management ungewöhnliche Botschaft, die aber offenbar den Nerv der Manager trifft: Als die Therapeutin vor zwei Jahren während des Weltwirtschaftsforums in Davos ein Seminar zum Thema „Sex und Beziehungen“ anbot, sorgte das erst für großes Aufsehen. Dann für großes Interesse – so groß, dass der Kurs wiederholt werden musste.

Allerdings, und das ist die Kehrseite, führen Sex und beruflicher Erfolg nicht gerade eine harmonische Beziehung. Gerade Erfolgsmenschen, die sich intensiv auf ihre Karriere konzentrieren, haben oft Probleme mit der Sexualität, wie Paartherapeutin Berit Brockhausen bestätigt.

Die österreichische Psychoanalytikerin und Unternehmensberaterin Rotraud Perner versteigt sich sogar zu der plakativen These „Management macht impotent“, so der Titel ihres gleichnamigen Buches. Der zeitliche und psychische Druck auf die Spitzenkräfte sei heute unter anderem durch die Globalisierung massiv gestiegen. An ein beglückendes Sexualleben, das Muße, Intimität, liebevolle Blicke und zärtliche Worte voraussetzt, sei bei den häufigen Orts- und Zeitzonenwechseln, bei ständiger Erreichbarkeit und einem 24-Stunden-7-Tage-die-Woche-Entscheidungsnotstand „überhaupt nicht mehr zu denken“.

Liebe am Arbeitsplatz...

Stress ist und bleibt der Lustkiller schlechthin. Vor allem bei Frauen wirkt die Überforderung extrem, weil sie Entspannung brauchen, um sich auf Sexualität einlassen zu können. „Nimmt die Müdigkeit überhand, ist es mit der Lust vorbei“, sagt Anneliese Schwenkhagen, Gynäkologin und Expertin der Initiative „female affairs“. Vor allem junge, erfolgreiche Frauen, die Kinder und Beruf vereinbaren müssen, litten sehr unter der abnehmenden Lust in stressigen Zeiten.

Aber auch die Wechselwirkung von gutem Sex und beruflichem Erfolg ist keinesfalls so einseitig, wie es auf den ersten Blick scheint. Guter Sex löst zwar einerseits Stress und Unzufriedenheit auf und verbessert die Leistung; sein Mangel sorgt paradoxerweise aber ebenso für kompensatorische Produktivität.

Schon Sigmund Freud hatte die These aufgestellt, dass die Bedingung von Kulturleistungen Triebverzicht sei. Falsch lag er damit nicht. So befragten vor Kurzem Wissenschaftler des Projektes „Theratalk“ der Universität Göttingen knapp 32.000 Männer und Frauen zum Verhältnis von Frust und Lust, Ergebnis: 36 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen, die maximal einmal in der Woche Sex hatten, gaben zu, sich in die Arbeit zu stürzen, um den Frust über ihr Sexleben zu verdrängen. Bei Paaren, zwischen denen im Bett gar nichts mehr lief, lag die Quote noch höher: 45 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen konzentrierten sich nun erst recht auf den Beruf – und hatten prompt noch mehr Stress. Für die Forscher ein beunruhigendes Ergebnis: Wenn wenig Sex den Stresspegel erhöht, entstehe leicht eine Abwärtsspirale, aus der es kaum noch Auswege gibt.

Da klingt es geradezu paradox, dass inzwischen fast jede dritte Ehe unter Kollegen geschlossen wird. Jeder achte Manager – männlich oder weiblich – hat im Büro zu einer „festen Beziehung“ gefunden, so das Ergebnis einer Umfrage des Ifak Instituts in Taunusstein.

„Auch Organisationen sind sexualisierende Gebilde“, sagt der Kienbaum-Personalberater Frank Dievernich. Und nicht zuletzt begegnen sich hier Männer und Frauen, deren Lebensstil und Berufsvorstellungen ähnlich sowie ähnlich attraktiv sind.

Als Beweis dient eine lange Reihe prominenter Paare, die sich am Arbeitsplatz kennen und lieben gelernt haben: Bill Gates etwa übermittelte der Microsoft-Programmiererin Melinda French 1993 seinen Heiratsantrag per E-Mail. Friede Springer nahm 1965 eine Stelle als Kinderpflegerin im Haus von Axel Springer an, lernte den Hausherrn kennen und lieben und stieg nach seinem Tod zur mächtigen Konzern-Erbin auf. Ähnlich entspann sich das Liebesverhältnis zwischen Reinhard und Liz Mohn, die als Telefonistin im Bertelsmann-Konzern begann, bevor sich der Boss in die Angestellte verliebte. Lydia Deininger war die Sekretärin von Jürgen Schrempp, dem damaligen Chef von DaimlerChrysler. Für sie löste er sich sogar aus seiner langjährigen Ehe.

Auch die Geschichten von Politikern und anderen Prominenten sind voll von Liaisons mit Referentinnen und Assistentinnen: Horst Seehofer sorgte vor Jahresfrist für einen milden Skandal, als seine Bundestagsmitarbeiterin ein gemeinsames Kind gebar – und er sich für die Ehefrau entschied. Fußball-Legende Franz „Kaiser“ Beckenbauer wiederum hat mindestens schon zweimal den Beweis angetreten, dass Liebe durch den Job kommt: Zu Ehefrau Nummer zwei fand er, als er als Teamchef in der Frankfurter DFB-Zentrale ein und aus ging, wo seine spätere Frau als Sekretärin für ihn arbeitete. Mit Ehefrau Nummer drei, einer Sekretärin des FC Bayern München, begann alles dort, wo es meistens seinen Lauf nimmt – auf einer Weihnachtsfeier.

Die Liebe im Büro ist allerdings nicht frei von Fallstricken. Vor allem, wenn sie heimlich bleiben muss – etwa weil mindestens einer von beiden verheiratet ist.

Aber auch sonst gilt: Sobald sich Büroliebespaare offenbaren, sitzen sie in einer Art Glashaus. Alles, was sie tun, wird genau beobachtet, und die Kollegen erfahren so womöglich mehr Privates, als sie sollten. Das führt früher oder später zu Klatsch und Unruhe im Team: Warum bleibt Susanne länger als sonst auf der Toilette? Müssen die ständig Händchenhalten?!

Dahinter formieren sich schnell Zweifel an der Arbeitsleistung. Vorteile, die beide aus der Verbindung ziehen, haben zudem einen Hautgout von Vetternwirtschaft. Solange alles läuft – prima. Was aber, wenn es zum Bruch kommt? Fast immer wird dann aus der Büroliebe eine verhängnisvolle Affäre. Das belastet das Betriebsklima und führt meist dazu, dass eine(r) der beiden den Job verliert.

Aber auch die Einkäuferin eines Unternehmens kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn ihr Partner der Chef eines großen Lieferanten ist – vor allem, wenn die geheime Liaison enttarnt wird und danach Fragen über die Preisgestaltung eines Produkts gestellt werden. Sollte es die Produkte anderswo billiger geben, ist das ein potenzieller Kündigungsgrund. „Allein dieser Verdacht kann zu einer Kündigung führen, falls es nicht gelingt, diesen vollständig zu entkräften“, warnt der Frankfurter Fachanwalt Peter Groll.

Zuviel ist zuviel

Noch problematischer sind vertikale Liebschaften, also zwischen Boss und Untergebenen oder Partnern unterschiedlicher Gehaltsgruppen. Die Amerikaner nennen das „no hanky-pank with the payroll“ – keine Affäre mit Mitarbeitern! Den Bossen droht bei solchen Konstellationen leicht ein Imageverlust, den Geliebten wird gerne nachgesagt, die Beziehung basiere allein auf einem karrieretaktischen Kalkül. So oder so: Beides ist pures Gift für die Liebe – und für die Karriere.

Beim Sex kann das Pendel immer in die eine und andere Richtung ausschlagen, den beruflichen Erfolg behindern oder ihn zu Höhenflügen bringen. Sex kann satt machen und unkonzentriert, weil man nur noch an den Partner denkt und zu wenig daran, welche Spannung von beruflichen Herausforderungen ausgeht.

Auch wer in die Sexualität flieht, um sich verträumt vor Alltags- und Berufsproblemen zu drücken, landet früher oder später beim Personalchef oder gar beim Therapeuten. „Oft liegt viel Schutt über der Sexualität“, sagt die Berliner Paarberaterin und Sozialwissenschaftlerin Silke Maschinger. Meist fehle es an Kommunikation über sexuelle Wünsche; dazu kämen zu hohe Erwartungen.

Auch darin liegt der Erfolg sexuell erfolgreicher Beziehungen: Die Paare betrachten ihr Sexleben wie ihren Job als einen steten Fluss von Kommunikation, der besonders dann nicht versiegen darf, wenn es schwierig wird. Dann gilt ganz besonders: Let’s talk about Sex.

André Reitz im Interview: "Eine Frage der Qualität"

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