„Können sich nicht dagegen wehren“ Was Menschen in der Stadt krank macht

Städte sind stressig, das gilt nicht nur für Berlin. Der Stressforscher Mazda Adli untersucht, wie sich das auf unsere Gesundheit auswirken kann. Quelle: imago images/photothek

Das Stadtleben kann ungesund sein, sagt der Psychiater Mazda Adli. Im Interview erklärt er, warum das auch ein ökonomisches Problem ist und wieso der Umzug aufs Land uns nicht zwingend gesünder macht.  

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Viele Menschen nutzen die neue Arbeitswelt zum Umzug aufs Land und unterschätzen die Kehrseite des Idylls. (Mehr dazu erfahren Sie hier.) Ein Gespräch über die Vorteile der Flucht aufs Land, die Schattenseiten – und die Hintergründe.

WirtschaftsWoche: Herr Adli, als Psychiater interessiert man sich ja nicht notwendigerweise für Stadtplanung und Architektur. Wie kamen Sie auf den Zusammenhang zwischen urbanem Leben und Stress
Mazda Adli: Mich hat immer interessiert, was unser Stressempfinden beeinflusst und welche Faktoren zu psychischen Krankheiten führen. Es gibt zum Beispiel epidemiologische Daten, die zeigen, dass Menschen, die in der Stadt leben doppelt so häufig an Schizophrenie erkranken. Wer zusätzlich noch in der Stadt aufgewachsen ist, erkrankt sogar fast drei Mal so häufig. Auch Angsterkrankungen und Depression finden sich in der Stadtbevölkerung häufiger. Mich interessiert welche Rolle Stress dabei spielt.

Ist das nicht verwunderlich? Die medizinische und therapeutische Versorgung in der Stadt ist doch höher als auf dem Land. 
Ich fand das zunächst auch kontraintuitiv. Müssten die Menschen in den Städten nicht sogar gesünder sein, so wie es zumindest für die körperliche Gesundheit bekannt ist? Also bin ich der Frage nachgegangen, woher die offensichtliche psychische Belastung in der Stadt kommt. Und wenn man in die Daten reinzoomt, merkt man, dass das viel mit sozialem Stress zu tun hat. 

Dass das Leben in der Stadt stressig ist, überrascht nun aber nicht direkt.
Stimmt schon, die Stadt ist betriebsamer, hektischer, voller, lauter. Das versetzt uns im Alltag häufiger unter Stress. Das kann gelegentlich mal ordentlich nerven, macht uns aber noch lange nicht krank.

Vita

Was dann?
Der Stress, der gesundheitsrelevant wird, ist chronisch, also Stress, den wir nicht mehr abschalten können. In der Stadt beobachten wir dabei vor allem zwei Auslöser. Erstens: Soziale Dichte im Sinne von Enge, wenn viele Menschen auf zu wenig Fläche leben. Dann fehlt es an eigenem Territorium. Neue Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass mehr als zehn Prozent der Deutschen zu wenig Wohnraum zur Verfügung hat, also etwa kein eigenes Zimmer als Rückzugsraum. 

Und zweitens?
Soziale Isolation. In Großstädten lebt etwa jeder Dritte allein. Und das erhöht das Risiko für Einsamkeit. Diese beiden Stresstypen für sich sind in ihrer Gesundheitsrelevanz eigentlich gut bekannt. Wir wissen, dass es im Tierreich Stresssyndrome durch so genanntes „overcrowding“ gibt. Wenn etwa ein Hühnerstall zu voll ist, fangen die Tiere an, sich die Federn auszupicken. Und soziale Isolation macht ebenfalls krank, in der Extremform ist sie eine Foltermethode. Beide Formen zusammen können eine toxische Mischung ergeben.

Man fühlt sich also gleichzeitig isoliert und von der Masse erdrückt?
Ja, das geht durchaus. Sie können sich das so vorstellen: Sie leben unter beengten Bedingungen, haben kaum oder gar keinen Kontakt zu den Nachbarn, weil man sich in der Anonymität der Großstadt nicht kennenlernt. Und trotzdem plärren aus allen vier Wänden die Kinder und Fernseher der Nachbarn um sie herum. Und sie können sich nicht dagegen wehren. 

Mazda Adli ist Psychiater und Stressforscher. Quelle: PR

Wohnraum ist teuer. Ist Stadtstress also vor allem ein ökonomisches Problem?
Sozialem Stress sind Menschen stärker ausgeliefert, die unter ökonomisch schwierigen Bedingungen leben. Und soziale Ungleichheit bringt noch ein weiteres Problem mit sich: Die Stadt hat viele Vorteile wie die kulturelle Vielfalt oder das Bildungsangebot, aber auch die muss man sich leisten können. Sie erschließen sich den Menschen leider nicht auf gerechte Art und Weise. 

Wo sehen sie das noch?
Auch die Naturressourcen der Stadt sind häufig ungleich verteilt. Das ist ein echtes Gesundheitsproblem, weil wir aus der Forschung wissen, dass städtisches Grün wichtig ist für die psychische Ausgeglichenheit.  

Wie haben Sie das erforscht?
Wir haben mit dem Umweltbundesamt eine Studie gemacht, um zu schauen, welchen Einfluss Grünflächen und Feinstaub um die eigene Wohnadresse haben. Uns hat vor allem interessiert, wie sich diese Faktoren auf die neuronale Verarbeitung von Stress auswirken. Dazu haben wir unsere Probanden in den Scanner geschoben und haben sie künstlichem Stress ausgesetzt. Dabei haben wir krasse Unterschiede in der neuronalen Antwort auf diesen Stress gesehen. Wer in seiner Wohnumgebung einen höheren Anteil von Grünfläche hat, steckt Stress besser weg. 

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