Der sich anbahnende Frühling in Deutschland lockt Freizeitsportler nach draußen. Ob joggen, radeln oder rudern: Weitläufig bekannt ist, dass Bewegung gesundheitsfördernde Effekte hat und hilft, Stress abzubauen. Viele Manager treiben Sport – manche sogar auf hohem Niveau: Ex-Opel-Chef Michael Lohscheller läuft Marathons, Dekra-Vorstandschef Stan Zurkiewicz rannte bereits für einen Ultramarathon durch die Wüste Gobi; andere fahren Rennrad, stemmen Gewichte oder praktizierten Kampfsportpraktiken.
Wie sich das aufs Gehirn auswirkt, wissen jedoch die wenigsten. Dabei weisen Forschungsergebnisse seit vielen Jahren auf die positiven Effekte hin, die sich in Sachen kognitive Leistungsfähigkeit zeigen. Vor vier Jahren analysierten Forscher der Universität Basel über 80 Einzelstudien. Vor allem Ausdauertraining, Krafttraining oder eine Mischung dieser Komponenten scheinen die kognitive Leistung zu verbessern. Eine größere Wirksamkeit hätten jedoch koordinativ anspruchsvolle Sportarten. Speziell beim Tanzen und beim Jonglieren könnten Effekte entstehen, die sich positiv auf das Gehirn auswirken.
Stefan Voll leitet die Forschungsstelle für Angewandte Sportwissenschaften an der Universität Bamberg und weiß um die wichtigsten positiven Effekte. Bewegungsformen, vor allem koordinativer Natur, führten zu strukturellen Veränderungen im Gehirn, erklärt er: Neue Nervenzellen entstehen, außerdem werden Moleküle ausgeschüttet, die die sogenannten Reizleitungssysteme positiv beeinflussen. Zudem entstehen neue Blutgefäße, sodass Sauerstoff mehr Andockmöglichkeiten finde. „All diese Phänomene erhöhen die Rechenkapazität des Gehirns besonders im Bereich der exekutiven kognitiven Funktionen“, sagt Voll.
Das könnte sich aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft zufolge vor allem auf Konzentration, Wahrnehmungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle positiv auswirken. Mit seinem Team habe er nachweisen können, dass bei bestimmten neurologisch ausgerichteten Bewegungsformen höhere Aufmerksamkeitslevel schneller erreicht und auch länger auf einem höheren Niveau gehalten werden könnten.
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Voll erklärt, es gebe auch Erkenntnisse aus der Forschung, ob sich Fitness positiv auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirke: „Körperlich fitte Menschen sind nachweislich stressresistenter, gewappneter gegenüber beruflichen Großbelastungen, lebensbejahender und insgesamt leistungsfähiger.“
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Neustart im Gehirn
Stefan Schneider, der an der Sporthochschule Köln forscht, zieht einen Vergleich heran, um zu erklären, was im Gehirn passiert: Wie ein Computer, der heruntergefahren wird, führe Bewegung dazu, dass Aktivität im Frontalkortex abnehme. Dieser Teil des Gehirns ist dafür zuständig, Informationen aufzunehmen, zu bewerten und zu analysieren sowie Handlungen zu initiieren. Diese Aktivität verlagere sich hin zum sogenannten motorischen Kortex – dieser benötige quasi die Rechnerkapazität, um Bewegungen auszuführen. „Das Gehirn ist limitiert in dem, was es leisten kann und setzt die Ressourcen entsprechend ein“, sagt Schneider. Dadurch, dass das Gehirn seine Ressourcen umschichtet, entstehe eine Art Neustart im Frontalkortex, der dann wiederum dazu führe, Stress zu bewältigen.
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Schneider betont dabei aber auch einen Faktor, der nicht fehlen dürfe: Spaß an der ausgeübten Sportart. Dazu gehöre auch, eine passende Intensität zu finden und den richtigen Zeitpunkt am Tag. Sonst sei Bewegung eher etwas, das zusätzlich stressen könnte – statt wie gewünscht dazu zu führen, dass beispielsweise eine Managerin nach einem langen Arbeitstag abschalten kann.
Stefan Voll von der Uni Bamberg rät gestressten Managern zu bewussten Bewegungspausen im Alltag. Gut eigne sich auch, Besprechungen im Gehen abzuhalten. Und nicht zuletzt seien auch klassische Ratschläge wirksam, wie beispielsweise die Treppe statt den Aufzug zu nehmen.
Schulterklopfen hilft gegen Stress
Auch aus Teamsportarten lassen sich Erkenntnisse für den Arbeitsalltag ableiten. Laut einer neuen Studie kann Schulterklopfen im Basketball Stress abbauen und so zu besseren Wurfleistungen beitragen. Das berichten Forschende aus der Schweiz, Deutschland und den USA nach Auswertung von Frauen-Basketballspielen in einer US-College-Liga im Fachjournal „Psychology of Sport and Exercise“. Die Sportpsychologin Christiane Büttner von der Universität Basel untersuchte mit Kollegen von der Universität Kaiserslautern-Landau und der Purdue University doppelte Freiwürfe, die nach Fouls zugesprochen werden. Sie gehören zu den stressigsten Momenten im Basketball und sind oft spielentscheidend.
Welche Fähigkeiten im Sport und bei der Karriere wichtig sind
„Leistungssportler lernen von der Pike auf Disziplin. Sie lernen, die Zeit optimal zu nutzen“, erklärt Diplom-Sportwissenschaftler und Sportpsychologe Moritz Anderten. Sportler könnten sich zielorientiert sehr gut konzentrieren. Außerdem haben Leistungssportler häufig einen physischen Vorteil: Es sei bekannt, dass sich gute konditionelle Werte positiv auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken, erklärt Anderten.
Zig Stunden Training in der Woche, regelmäßige Trainingslager, Wettkämpfe, kaum freie Wochenenden, rackern und schuften bis der Körper nicht mehr kann – das alles ist für Topathleten selbstverständlich. Leistungssportler hätten gelernt, „ihre Ärmel hochzukrempeln“, erklärt der Bundestrainer des Deutschland-Achters Ralf Holtmeyer. „Sie sind gewohnt, ihre Freizeitinteressen hinten anzustellen.“ Vielleicht mache sie das ja dann auch im Job erfolgreicher, wenn sie nicht immer schon an den Feierabend dächten, vermutet der Erfolgscoach.
Was ist tatsächlich an der These dran, dass Hochleistungsathleten erfolgreicher in ihrem Studium oder im Beruf sind als Nichtsportler? Eine Studie, die 2015 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthilfe entstand, legt einen Zusammenhang nahe. Die Wissenschaftler untersuchten den beruflichen Erfolg anhand des Einkommens. Das Ergebnis: Je nach Analyse weisen die rund 260 befragten ehemaligen Leistungssportler ein um 600 bis 900 Euro höheres monatliches Einkommen auf als Nichtsportler. Ehemalige Mannschaftssportler verdienen nochmals mehr.
Eine eindeutige Erklärung dafür finden die Wissenschaftler nicht. Doch eine Vermutung liegt nahe: Sie schlussfolgern, dass der Sport Charaktereigenschaften wie zum Beispiel Ehrgeiz, Ausdauer und Leistungsbereitschaft fördert, die auch im Beruf von Vorteil sind.
„Du musst die Ziele klar definieren – im Sport und im Beruf. Umso größer ist der Erfolg“, sagt etwa der ehemalige Hockey-Spieler Michael Green, der inzwischen als Orthopäde arbeitet. Einer der wichtigsten Faktoren sei zudem die Organisationsfähigkeit. Während andere auf den Zugfahrten zu den Spielstätten rumdaddelten und Musik hörten, schlug Green seine Medizin-Bücher auf. „Und normal gefeiert habe ich auch“, nur Zeit für einen Nebenjob blieb da nicht. Deshalb weist er darauf hin, wie wichtig die finanzielle Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe war.
Insgesamt wurden 835 Freiwurf-Paare aus 60 Spielen analysiert. Dabei wurde beobachtet, wie viele der Teamkolleginnen die Werferin vor ihrem zweiten Wurf etwa durch Schulterklopfen oder einen Händedruck berührt hatten. Die Berührungen hatten einen messbaren Einfluss auf die Erfolgsquote des zweiten Wurfes – allerdings nur dann, wenn der erste Versuch danebengegangen war. „Die Unterstützung durch Teamkollegen ist also besonders dann hilfreich, wenn das Stressniveau bereits hoch ist, weil man den ersten der beiden Würfe verfehlt hat“, wird Büttner in einer Mitteilung ihrer Universität zitiert.
Nach bisherigem Stand der Forschung wirken Berührungen in Stresssituationen beruhigend und unterstützend. Das Team um Büttner untersuchte in einem weiteren Schritt, ob sich aufmunternder Körperkontakt auch auf die Saisonergebnisse der jeweiligen Teams auswirkt. Dabei deuteten die Daten zwar einen positiven Zusammenhang an, der sich aber als nicht statistisch signifikant erwies. Die Studienautorin und ihre Kollegen gehen dennoch davon aus, dass Berührungen „ein wirksames Mittel gegen die leistungsmindernden Auswirkungen von Stress“ sein können – und das auch im Berufsalltag unterstützend wirken kann.
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Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im März 2023. Wir haben ihn am 9. April aktualisiert und zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.
Mit Material der dpa