Kundenansprache Unternehmen gendern im Sinne der Kunden

Wer eine Klientel bediene, die sich nicht fürs Gendern interessiere oder dem sogar ablehnend gegenüberstehe, werde „sich überlegen, ob er sich nicht in ein Wespennest setzt“, sagt die Expertin. Es geht ums Geschäft. Quelle: imago images

Unternehmen ohne viel Kontakt zu Endverbrauchern halten sich mit gendergerechter Sprache zurück. Andere, wie die Deutsche Bahn, können sich das nicht leisten – eigentlich.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Noch hat die Deutsche Bahn fünf Monate Zeit. Spätestens im Januar aber muss sie ein Urteil umsetzen, das den Konzern zur Einführung des „dritten Geschlechts“ auf seinem Buchungsportal verpflichtet, für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau sehen.

Schon seit 2018 ist das „dritte Geschlecht“ in der Verfassung verankert. Die Bahn hat es bis heute nicht umgesetzt. Ein Fahrgast hatte sich ausgeschlossen gefühlt, gegen die binäre Geschlechterauswahl geklagt und Ende Juni Recht bekommen. Der Fall macht einen Konflikt deutlich, der alle Unternehmen betrifft: Wie spreche ich meine Geschäftspartner und Kundinnen heutzutage an? Ohne jemanden auszuschließen, weil die Person sich nicht angesprochen fühlt – und ohne anderen mit zu viel gut gemeinter politischer Korrektheit vor den Kopf zu stoßen?

Das hängt ganz davon ab, wie eng der Kontakt zu der Verbraucherin ist. Konsumgüterhersteller und Dienstleister stehen dabei besonders im Fokus. Sie müssen auf Wünsche und Druck der Kunden reagieren, wollen sie sie nicht an die Konkurrenz verlieren. Die Bahn transportiert jeden Tag Hunderttausende Menschen jeden Alters, jeder Couleur – und jeden Geschlechts. Für viele ist das Unternehmen als Transportmittel zwar alternativlos. Gefeit vor Shitstorms ist es deswegen aber noch lange nicht.

von Jannik Deters, Anna-Maria Knaup, Kristin Rau

Wer mit Endkunden wie solchen Zugreisenden direkt zu tun habe, müsse besonders sensibel vorgehen, sagt daher die Züricher Unternehmensberaterin Zita Küng, die sich seit Jahrzehnten mit Diversität auseinandersetzt. „Ein so großes Unternehmen wie die Deutsche Bahn hat den Auftrag, sich an alle zu wenden.“ Wer hingegen eine Klientel bediene, die sich nicht fürs Gendern interessiere oder dem sogar ablehnend gegenüberstehe, werde „sich überlegen, ob er sich nicht in ein Wespennest setzt“. Es geht ums Geschäft.

Eine solche Abwägung musste auch Angela Josephs treffen. Sie hat an den Genderleitlinien für den Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) mitgearbeitet, einer Branche, die noch „nicht so progressiv ist wie zum Beispiel Hochschulen oder Medien. Die gesamte deutsche B2B-Industrie steht noch relativ am Anfang.“ Das liege auch „an den Kunden, die eben keine Endverbraucher sind und sich weniger für solche soziologischen Themen interessieren“.

Mercedes und BMW orientieren sich an Gesellschaft für deutsche Sprache

Entsprechend zurückhaltend fallen die Leitlinien des ZVEI aus. Sie empfehlen die Nutzung des männlichen und weiblichen Plurals oder alternative Formulierungen, die ohne Geschlecht auskommen, etwa „Es referieren …“ statt „Referenten“. Bei ihrem Arbeitgeber, dem Elektrotechnikunternehmen Phoenix Contact, stoßen künstliche Pausen und Doppelpunkte wie bei „Mitarbeiter:innen“ laut Josephs „auf starke Zurückhaltung“.

35 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen laut einer repräsentativen Umfrage von 2021 genderneutrale Sprache in der externen Kommunikation. Die Ausprägungen davon sind vielfältig. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2017 klargestellt, dass es in Deutschland die Angabe eines Geschlechts jenseits von Mann und Frau geben muss. Das klingt zunächst nicht allzu kompliziert. Beim Fernbusunternehmen Flixbus ist es etwa möglich, als Anrede schlicht „Person“ auszuwählen.

Doch eine Anrede ist das eine, Vorträge und Schriftstücke das andere. Die Gesellschaft für deutsche Sprache sieht eine Notwendigkeit zu gendern, appelliert aber an die Einhaltung grammatikalischer Regeln. Das Institut befürwortet wie auch der ZVEI eine Doppelnennung („Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“), findet den Unterstrich im Wort oder das Gendersternchen („Mitarbeiter*innen“) hingegen problematisch. An diesen Vorgaben orientieren sich auch Dax-Konzerne wie Mercedes, Daimler Truck und BMW.

Für Beraterin Küng ist es „eine opportunistische oder mindestens taktische Abwägung“, wie weit ein Unternehmen geht. Und genau so hält es offenbar auch der Pharmakonzern Bayer. Dieser hat nach eigenen Angaben einen Leitfaden, der sich an „genderwillige Beschäftigte“ richtet. In der Außendarstellung aber solle auf solche Formulierungen verzichtet werden, „weil wir wissen, dass deren Zielgruppen gegenderte Formulierungen nicht schätzen“, antwortete das Unternehmen kürzlich in einer Umfrage der WirtschaftsWoche.

Der Konsumgüterhersteller Henkel, mit dessen Produkten viele Menschen täglich in Berührung kommen, geht wiederum deutlich weiter – und hatte nach eigenen Angaben noch nie Probleme damit. Henkel hat sich für den Doppelpunkt als Trenn- oder auch Inklusionselement entschieden. Eine Sprecherin antwortet auf Nachfrage, negative Reaktionen auf diese Vorgehensweise habe es keine einzige gegeben, „weder von Mitarbeiter:innen noch von Partner:innen oder Bewerber:innen“.

Aber nicht nur die Branche ist entscheidend für das Ausmaß der Gender-Bereitschaft, sondern auch die Größe der Firma. In ihrer Untersuchung von 2021 kamen der Personaldienstleister Randstad und das Münchener Ifo-Institut zu dem Ergebnis, dass solche mit mehr als 500 Mitarbeitenden ungefähr zur Hälfte sowohl intern als auch extern genderneutrale Sprache nutzen. Bei einer Unternehmensgröße von 50 bis 249 seien es extern noch 40, intern lediglich 28 Prozent.

Werkzeughersteller Russland enteignet Maschinenbauer DMG Mori

Weil die Bundesregierung eine Investitionsgarantie gab, fordert der Konzern jetzt Schadensersatz. Der Vorfall in Russland ist aber nicht das einzige Thema, das am Standort in Bielefeld derzeit für Wirbel sorgt.

Gehalt „Wer pfiffige Ideen hat und hart arbeitet, sollte dafür auch belohnt werden“

In Unternehmen herrscht ein verqueres Leistungsdenken, sagt Interimsmanager Ulvi Aydin. Er fordert, High Performern mehr zu zahlen als den Chefs: „Es gibt Leute, die mehr leisten als andere – das sollte man anerkennen.“

Aktien Fünf gefallene Börsenstars mit der Hoffnung auf ein Comeback

Mehrere frühere Börsenlieblinge sind jetzt günstig zu haben. Ihre Kursschwäche hat Gründe – aber es gibt gute Argumente für eine Erholung. Fünf Turnaround-Ideen für Mutige.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die Deutsche Bahn mit ihren fast 220.000 Mitarbeitern in Deutschland ist Diversität und sprachlicher Genauigkeit zugetaner als das Gerichtsurteil vom Juni zunächst vermuten lässt. Unter dem Hashtag „Einziganders“ bewirbt sie ein knappes Dutzend Initiativen, wie die Charta der Vielfalt, die sich im Konzern und außerhalb für Vielfalt und Inklusion einsetzen. Auf ihrer Internetseite gendert die Bahn streng mit Doppelpunkt. In den Zügen spricht das Personal die Reisenden längst genderneutral an. Nur bei der adäquaten Anrede auf dem Buchungsportal hat das Unternehmen mal wieder eines: Verspätung.

Lesen Sie auch: Das fragwürdige Fair-Sprechen

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%