Kunst und Kulinarisches Warum Kochen Kunst ist

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Atemberaubende Spektakel

Es sind aufwendig angerichtete Gebilde, atemraubende Spektakel aus Farbe und Form. Die Frage, ob das dann nun große Kunst sei, liegt auf der Hand. Es ist die falsche, meint Kubelka, der erneut engelsgeduldig seine Sicht darlegt. "Virtuosität und kostspieliger Aufwand garantieren nicht gute Kunst. In der Restaurantküche dienen sie eher dem Statusbedürfnis des Gastes." Er berichtet von der Mehlsuppe, die früher jede Bäuerin beherrschte. Jede Suppe im Dorf habe anders geschmeckt, obwohl jede Bäuerin dieselben Zutaten verwendete. Und natürlich habe es bessere und schlechtere Suppen gegeben. "Liebe und Zuwendung während der Herstellung entscheiden über die Qualität eines Bildes, einer Skulptur, einer Speise. Ein Künstler drückt mit seinem Werk seine Weltsicht aus. Handwerkliches Kochen macht aus jedem Menschen ein Original."

Verdorbener Kunstbegriff

Der klassische Kunstbegriff, wütet Kubelka auf die allerfreundlichste und stets geduldigste Art, sei heute verdorben. Künstler seien Menschen, die etwas schöpfen und tun, ohne Rücksicht zu nehmen, dafür seien sie von Beginn an verfolgt, gar getötet worden. Der Kunstbetrieb dieser Tage sei mittlerweile ein Geschäft. Kuratoren würden Künstlern den Rang ablaufen. In unserer westlichen Gesellschaft müsste kein Künstler mehr für seine Arbeit sterben, es gäbe heute dank dem Kommerz Methoden, sie zu domestizieren. Ausgerechnet aber einen der elaboriertesten Vertreter der Zunft, den spanischen Avantgardekoch Ferran Adrià, hält Kubelka für einen Künstler in seinem Sinne, weil er etwas getan hat, was er tun musste, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was für Folgen es hat. "Und die beste Mehlsuppenköchin kocht, ebenfalls rücksichtslos, so, wie es ihrer Meinung nach richtig ist."

Kubelka verweist auf die politische Dimension. Jede Speise gebe Auskunft über den, der sie zubereitet, und den, der sie isst. Der römische Kaiser Vitellius demonstrierte mit einem Gericht aus Seefischlebern, Hirnen von Fasanen und Truthähnen, Zungen von Flamingos und Milzen von Muränen seine Macht – schließlich war die Logistik der Flotte nötig, um die Zutaten zeitgleich heranzuschaffen. "Nur er konnte so ein Gericht zubereiten lassen." Restaurants seien heute ebenfalls Bühnen der Selbstdarstellung. Nicht jeder Gast interessiere sich für die Speisen. Oft solle die Zugehörigkeit zu einer Gruppe demonstriert werden.

Der Käsewagen kommt. Die Speisenbereitung, meint Kubelka, diene dem Auslagern der Verdauung. Was gut schmeckt, weckt Vertrauen, der Mensch, der isst, glaubt dem Koch, dass er ihm Gutes tun will. Die Zunge, nicht das Auge, überprüfe, ob das, was der Mensch zum Überleben zu sich nimmt, auch richtig sei. Die Entscheidung, ob ein Gericht hält, was es verspricht, träfe der Körper erst später: "Wenn die Gedärme zufrieden sind, dann war es gut."

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