Lampenfieber Immer dahin, wo die Angst ist

Jetzt kommt's raus! Hinter der Pose der Selbstsicherheit lauert die Furcht vorm Versagen. Quelle: Illustration: Peter Horwath

Lampenfieber kann zu Höchstleistungen anspornen – oder in einen Teufelskreis des Versagens führen. Wie Musiker, Manager und Moderatoren mit Auftrittsängsten umgehen und an ihnen wachsen.

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Im Rückblick kommt ihm alles „sehr entfernt“ vor, „fast surreal“, als würde er durch eine „neblige Traumwand“ darauf schauen. Dabei erinnert sich Max Kappelt, der eigentlich anders heißt, noch genau daran, wie ihm im Seminarraum, kurz vor der Präsentation, das „Herz in den Hals sprang“. Wie sich die Kehle zuschnürte, wie sein Körper bebte, der Schweiß ausbrach und er sich noch so oft sagen konnte: „Die wollen mir hier nichts Böses.“ Es half nichts, es wurde alles noch schlimmer: Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, brachte keinen Satz heraus, nur ein paar stammelnde Worte. Sodass die Kommilitonen übernahmen und er dastand, „gefühlt nassgeschwitzt“, mit hängendem Kopf und der „ganzen Schmach des Versagens“.

Heute, fünf Jahre später, ist der damalige Student des Medienmanagements „Stratege“ bei einer der führenden Werbeagenturen Deutschlands. Einer, der die Leitgedanken formuliert für die Kommunikation eines neuen Produkts und sie dem Kunden verkauft. Aufgeregt ist er nach wie vor. Die Nervosität bleibt sein „Feind“, eine Angstschranke, die er immer wieder überwindet. Zuletzt vor 18 Vertretern eines Mobilfunkunternehmens, ein „Neugeschäft, das wir gewinnen wollten“, gegen andere Agenturen: „Da schluckt man, während man jedem die Hand schüttelt.“

Um mit solchen Situationen klarzukommen, begann er während des Studiums zunächst, seine Auftritte am Abend zuvor zu proben, mit Freunden als Sparringspartnern und dem Laptop im Rücken, in freier Rede, ohne Karteikarten. „Das hat total geholfen“, erzählt Kappelt, „da hat sich eine Struktur im Kopf aufgebaut, ich war im Ernstfall zwar immer noch angespannt, aber sicherer.“

So ist das Lampenfieber besser geworden, nach und nach, durch permanente Übung. Kappelt hat gelernt, mit sich selbst umzugehen. Mehr noch: Die Auftritte vor Publikum beginnen, ihm Spaß zu machen, weil er merkt, dass er sich freireden kann, erst stockend, dann immer flüssiger, mit einem „Untergefühl von Sicherheit“, sodass er sich nicht mehr so „maximal klein“ fühlt, sondern das Gefühl hat „zu wachsen“ – manchmal über sich selbst hinaus.

Kappelt hat damit eine entscheidende Grenze überwunden zwischen dem, was Psychologen störendes Lampenfieber nennen, und dem, das sie als motivierend einschätzen. Leistungsmindernde Angst hemmt die Konzentration, blockiert den Bewegungsfluss, verengt die Raumwahrnehmung und den Wortschatz. Moderates Lampenfieber hingegen wirkt beflügelnd: Es hält wach, schärft die Sinne, spitzt die Aufmerksamkeit zu – auf das Hier und Jetzt.

Der kritische Blick des Publikums kann zu Bestleistungen anspornen. Das hat jüngst eine neurobiologische Studie der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore bestätigt: Bei anspruchsvollen motorischen Leistungen waren Versuchsteilnehmer, die unter Beobachtung von mindestens zwei Personen standen, deutlich erfolgreicher als die, die sich unbeobachtet wussten. Gleichzeitig zeigten sie während des Experiments eine signifikante Erregung der für soziale Anerkennung und Belohnung zuständigen Hirnareale: Im Lampenfieber, so die Autoren, artikuliert sich der Wunsch nach Anerkennung ebenso wie die Angst vor Ablehnung.

Was Gesten über Sie verraten
Ein Mann verschränkt die Hände hinter dem Kopf Quelle: Fotolia.com
Vermutlich Angela Merkel mit verschränkten Händen Quelle: dpa
Eine Frau mit verschränkten Armen Quelle: Fotolia.com
Eine Frau fasst sich an den Hals Quelle: Fotolia.com
Eine Hand berührt den Ärmel am Anzug der anderen Hand Quelle: Fotolia.com
Eine Frau zeigt mit "zur Pistole" geformten Fingern auf den Betrachter Quelle: Fotolia.com
Eine Frau fasst sich an die Nase Quelle: Fotolia.com

Doch weshalb können dieselben Hirnregionen, die motivierend wirken, auch Leistungen beeinträchtigen? Ab welcher Publikumsgröße schlägt stimulierendes Lampenfieber in lähmende Auftrittsangst um?

Beschämende Zitterattacken

Studien bei Jugendlichen zeigen: Der Druck steigt mit der Zuschauerzahl. Und damit auch die Angst, zu versagen. Die Grenzen zwischen Lampenfieber und Auftrittsangst sind allerdings „schwammig“, so der Neurologe Alexander Schmidt, Chef des Berliner Centrums für Musikermedizin an der Charité: Es gebe „kein klares Kriterium“, das normales von krankhaftem Lampenfieber unterscheide, zumal die Stärke des Lampenfiebers vom subjektiven Empfinden abhängt.

In seine Spezialambulanz kommen nicht nur Musikstudenten. Es kommen auch gestandene Orchestermusiker aus Spitzenensembles, die von „panikartigen Ängsten“, von „quälenden körperlichen Symptomen“ berichten, die genau dann auftauchen, wenn man sie nicht gebrauchen kann. Beim schwierigen Solo etwa oder bei Proben, zuweilen nur unter bestimmten Dirigenten.

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