Lampenfieber Warum wir Angst vor der Blamage haben

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Je höher die Erwartungen, desto größer die Angst

Bei einer Gehaltsverhandlung oder während eines Vorstellungsgesprächs kann man sich darauf freilich nicht verlassen. Wohl aber auf die Chance, die die Cortisol-Ausschüttung ebenfalls mit sich bringen kann: eine Art Gehirn-Doping – Wachheit, Konzentration –, das professionelle Redner oft sogar noch beflügelt, anstatt sie zu hemmen. Und es bleibt die tröstende Gewissheit, dass wir im Zustand der Verliebtheit fast die gleichen Hormonschwankungen durchleben wie beim Lampenfieber.

Bewerbungstipps für Schüchterne
Vorbereitung ist die halbe MieteSetzen Sie sich intensiv mit Ihrem eigenen Lebenslauf auseinander. Nichts ist peinlicher, als wenn man seinen eigenen Werdegang nicht wiedergeben kann. Versuchen Sie auch, sich für die Stelle, auf die Sie sich bewerben, die jeweils wichtigsten Stationen Ihres Werdegangs klarzumachen und denken Sie darüber nach, wie sie Sie persönlich weitergebracht haben. Bereiten Sie sich also gut auf die ausgeschriebene Stelle vor und machen Sie sich mit den Anforderungen vertraut, die man dort an Sie stellen wird. So können Sie nicht so leicht überrascht werden und routiniert auf Fragen zu Kompetenzen antworten. Quelle: Fotolia
Perfektion gibt es nichtIntrovertierte Menschen sind oft extrem selbstkritisch und neigen zum Perfektionismus. Sie sollten sich klar machen, dass Ihre Ansprüche an sich selbst vermutlich viel höher sind, als die Anforderungen der Personaler. Sie erwarten keine Perfektion, keinen durchgestylten Lebenslauf, sondern wollen Sie persönlich und Ihre Fähigkeiten kennenlernen – und natürlich auch prüfen, ob Sie charakterlich ins Team passen. Eine eventuelle Absage hat also nichts mit „versagen“ zu tun – vielleicht wären Sie mit den potentiellen zukünftigen Kollegen auch überhaupt nicht klar gekommen. Quelle: Fotolia
Rollenspiele können helfen…Hier geht es nicht darum, sich in einen Elfen oder Zauberer zu verwandeln und mit Gummischwertern zu kämpfen – finden Sie sich in Ihre Rolle als Sie selbst ein. Üben Sie mit vertrauten Menschen, etwa dem Partner oder engen Freunden das Vorstellungsgespräch ein, bei denen es Ihnen nicht peinlich ist ins Stottern zu geraten, rot zu werden und so weiter. Es werden immer wieder ähnliche Fragen auftauchen und je vertrauter Sie damit sind, umso weniger unangenehm wird mit der Zeit auch die Situation. Quelle: Fotolia
…aber spielen Sie keine RolleWählen Sie Kleidung, in der Sie sich wohl fühlen und sich nicht verkleidet vorkommen. Wählen Sie Farben und Muster, bei denen man eventuelle Schweißausbrüche nicht sofort sieht. Stehen Sie auf jeden Fall zu Ihrer Schüchternheit und Nervosität. Authentisch herüberzukommen ist besser, als zu versuchen den Obercoolen zu spielen. Das wird Ihnen vermutlich in der Stress-Situation des Bewerbungsgesprächs sowieso nicht durchgehend gelingen – und erst recht nicht, falls so die Hürde übersprungen wird und man sich nun tagtäglich im Büro verstellen muss. Wenn Sie im Vorstellungsgespräch unehrlich sind und zum Beispiel vorgeben, total gerne Vorträge vor Gruppen zu halten, kann es zwar sein, dass genau das für die Stelle gesucht wird – aber dann müssen Sie diese Erwartungen auch im Alltag erfüllen können. So wird der Job schnell zum Albtraum.
Lassen Sie sich ZeitIm Vorstellungsgespräch kommt der Blackout – vor lauter Nervosität verlieren Sie den Faden. Nun bloß nicht in Panik verfallen. Nehmen Sie sich Zeit, sagen Sie ehrlich, dass Sie nervös sind und kurz nachdenken müssen. Das wird Ihnen jeder seriöse Personaler zugestehen – und wenn nicht, sind Sie sowieso an der falschen Adresse. Quelle: Fotolia
Eigenlob umgehenAnstatt darzustellen, wie toll Sie sind und sich dabei unwohl zu fühlen, umgehen Sie dies einfach, indem Sie vor allem über Ihre Erfolge und Erfahrungen berichten. Hier hilft es wieder, wenn man den eigenen Lebenslauf gut vor Augen hat und sich daran entlang hangeln kann. Sowas gibt Sicherheit, und reale Beispiele aus Ihrem Leben lassen sich leichter erzählen als dick aufgetragenes Eigenlob. Quelle: Fotolia
Einen „Spickzettel“ schreibenEin Trick um die flatternden Nerven zu beruhigen ist sich auf typische Fragen, die im Gespräch auftauchen können, vorzubereiten – und die Antworten aufzuschreiben. Vielen Menschen hilft es, so die Antworten zu verinnerlichen. Wiederholtes Lesen der Liste mit den eigenen Stärken verhilft zu einer positiven Einstellung. Auch Fragen, die man meist am Ende des Gesprächs stellen kann, kann man sich vorher aufschreiben. Nehmen Sie sich Ihren „Spicker“ mit. Wahrscheinlich müssen Sie ihn nicht einmal aufschlagen, allein die Sicherheit, dass Sie die Fragen und Antworten vor sich oder sicher in Ihrer Tasche wissen, beruhigt die Nerven. Quelle: Fotolia

So wie der Personalleiter eines mittelständischen Unternehmens. Bei Betriebsversammlungen muss er oft vor der gesamten Belegschaft sprechen, obwohl ihn das jedes Mal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringt. Vor lauter Herzrasen und Luftwegbleiben muss er seinen Vortrag grundsätzlich schneller beenden als ursprünglich geplant. Als er kurz nach einer der letzten Versammlungen in der Kantine einem Vorstand begegnete, lobte der explizit seine knappe, präzise Redeweise. Dass er währenddessen vor Aufregung innerlich kochte, hatten seine Zuhörer nicht mal bemerkt.

Die zehn Stärken introvertierter Personen

Der Pädagoge Gerhard Mantel schreibt in seinem Buch „Mut zum Lampenfieber“: Je größer der freie gestalterische Spielraum, den man sich selbst bei einem Auftritt zugesteht, desto geringer die Angst, einen Fehler zu machen. Oder andersrum: Je höher die Erwartungen an sich selbst und je starrer das Korsett des Vortrags, desto schwerer macht man es sich.

Meistens sind die Situationen nachträglich sowieso viel harmloser. Der Brautvater tanzte in jener Hochzeitsnacht beschwingt bis fünf Uhr morgens, offensichtlich war er froh darüber, dass die Anspannung seiner Rede endlich abfiel. Bei der Hochzeit seiner zweiten Tochter will er sich bei der Gästebegrüßung durch seine Frau vertreten lassen.

Und die Schulaufführung in der Grundschule? 25 Jahre später kann sich keiner meiner Klassenkameraden mehr an meinen Nichtauftritt erinnern. Von der Celine-Dion-Interpretation gibt es dagegen leider Videoaufnahmen.

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