Bei einer Gehaltsverhandlung oder während eines Vorstellungsgesprächs kann man sich darauf freilich nicht verlassen. Wohl aber auf die Chance, die die Cortisol-Ausschüttung ebenfalls mit sich bringen kann: eine Art Gehirn-Doping – Wachheit, Konzentration –, das professionelle Redner oft sogar noch beflügelt, anstatt sie zu hemmen. Und es bleibt die tröstende Gewissheit, dass wir im Zustand der Verliebtheit fast die gleichen Hormonschwankungen durchleben wie beim Lampenfieber.
So wie der Personalleiter eines mittelständischen Unternehmens. Bei Betriebsversammlungen muss er oft vor der gesamten Belegschaft sprechen, obwohl ihn das jedes Mal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringt. Vor lauter Herzrasen und Luftwegbleiben muss er seinen Vortrag grundsätzlich schneller beenden als ursprünglich geplant. Als er kurz nach einer der letzten Versammlungen in der Kantine einem Vorstand begegnete, lobte der explizit seine knappe, präzise Redeweise. Dass er währenddessen vor Aufregung innerlich kochte, hatten seine Zuhörer nicht mal bemerkt.
Die zehn Stärken introvertierter Personen
Behutsam vorgehen, Risiko und Abenteuer meiden, aufmerksam beobachten, Respekt zeigen, vor dem Reden denken, unaufdringlich sein. Im Gespräch kann die Vorsicht eines introvertierten Menschen für ein druckfreies Gesprächsklima sorgen, in dem sich das Gegenüber ernst genommen fühlt.
Aus der eigenen Erfahrung schöpfen, Wesentliches betonen, Inhalte mit Bedeutung und Qualität vermitteln, inhaltsreiche Gespräche führen. Introvertierte sind fortlaufend damit beschäftigt, das was sie sehen, denken und erfahren zu verarbeiten und diese Hintergrundaktivität gibt den leisen Menschen Tiefgang – dafür brauchen sie aber Zeit!
Fokussieren können, Energie gezielt auf eine Aktivität richten, intensiv und beständig bei einer Sache bleiben. Konzentrierte Menschen strahlen Intensität aus, weil sie sich ihrer aktuellen Tätigkeit mit ganzer Kraft und Aufmerksamkeit widmen – das kann ihnen auch eine starke Präsenz verleihen.
Aus den Äußerungen des Gegenübers Informationen, Positionen und Bedürfnisse herausfiltern, einen Dialog schaffen: das ist eine der wichtigsten, aber auch meist unterschätzten Fähigkeiten. Zuhören wirkt Wunder, vom Beziehungsaufbau bis zur Konfliktlösung.
Innere Ruhe als Basis für Konzentration, Entspanntheit, Klarheit und Substanz. Auch die Fähigkeit, für äußere Ruhe im Sinne einer reizarmen Umgebung zu sorgen, kann als Stärke gesehen werden und kann für Extrovertierte wertvoll sein, weil leise Menschen sie ermutigen, auf sich und ihre Bedürfnisse zu achten und vor dem Handeln nachzudenken.
Planen und strukturieren, komplexe Zusammenhänge unterteilen und daraus systematisch Informationen, Positionen, Lösungen und Maßnahmen herleiten. Diese Stärke hilft auch dabei, Struktur in unübersichtliche Zusammenhänge zu bringen.
Allein sein können, selbstständig sein, innerlich losgelöst von der Meinung anderer nach eigenen Prinzipien leben, von sich selbst absehen können: Introvertierte Menschen sind weniger auf die Rückmeldungen ihrer Mitmenschen und auf Umwelteindrücke angewiesen.
Geduldig und mit langem Atem einer Sache nachgehen, um ein Ziel zu erreichen. Eine gründliche Vorgehensweise und die Bereitschaft, sich auch durch „dicke Bretter“ zu bohren, gehört zu dieser Eigenschaft.
Lieber und leichter schriftlich als mündlich kommunizieren. In manchen Situationen kann eine schriftliche Mitteilung nützlicher sein als eine mündliche. Auch eine schriftliche Vorbereitung kann unterstützend wirken – etwa vor Arbeitsgruppentreffen oder Diskussionen.
Sich in die Lage der Kommunikationspartner versetzen können, mit wenigen Konflikten leben, Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellen, kompromissbereit sein, diplomatisch vermitteln. Ein leiser Mensch, der über Einfühlungsvermögen verfügt, wird leichter das Vertrauen seiner Mitmenschen gewinnen.
Der Pädagoge Gerhard Mantel schreibt in seinem Buch „Mut zum Lampenfieber“: Je größer der freie gestalterische Spielraum, den man sich selbst bei einem Auftritt zugesteht, desto geringer die Angst, einen Fehler zu machen. Oder andersrum: Je höher die Erwartungen an sich selbst und je starrer das Korsett des Vortrags, desto schwerer macht man es sich.
Meistens sind die Situationen nachträglich sowieso viel harmloser. Der Brautvater tanzte in jener Hochzeitsnacht beschwingt bis fünf Uhr morgens, offensichtlich war er froh darüber, dass die Anspannung seiner Rede endlich abfiel. Bei der Hochzeit seiner zweiten Tochter will er sich bei der Gästebegrüßung durch seine Frau vertreten lassen.
Und die Schulaufführung in der Grundschule? 25 Jahre später kann sich keiner meiner Klassenkameraden mehr an meinen Nichtauftritt erinnern. Von der Celine-Dion-Interpretation gibt es dagegen leider Videoaufnahmen.