Linke Regierung vor dem Ende Viertagewoche bis Menstruationsurlaub: Fallen Spaniens Reformen dem Machtwechsel zum Opfer?

Pedro Sánchez versucht mit vorgezogenen Wahlen zu verhindern, vom Oberwasser der konservativen Volkspartei PP und der Rechtspopulisten von Vox endgültig überschwemmt zu werden. Quelle: dpa

Viertagewoche, Ausgleichszahlung für Kindererziehung und Hausarbeit: Die vorgezogenen Parlamentswahlen sind Pedro Sánchez‘ Versuch, doch noch im Amt zu bleiben – und einzigartige Reformen für die Arbeitswelt zu retten.

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Am 1. Juli übernimmt Spanien die EU-Ratspräsidentschaft. Und das aus einer Position wirtschaftlicher Stärke heraus. Während Deutschland gerade offiziell in die Rezession gerutscht ist, wächst Spaniens Wirtschaft in diesem Jahr laut Prognose der EU-Kommission um 1,9 Prozent. Das ist fast doppelt so stark wie im EU-Durchschnitt – hilft dem sozialistischen Regierungschef Pedro Sánchez allerdings überhaupt nicht. Im Gegenteil: Seine Regierung bricht auseinander.

Am Pfingstsonntag verloren die linksgerichteten Parteien bei den Regionalwahlen drastisch an Rückhalt in der Bevölkerung. In Zahlen: 400.000 Stimmen. Einen Tag später zog Sánchez eine überraschende, harte Konsequenz: Er datierte die für Dezember geplanten Wahlen zum Nationalparlament kurzerhand vor. Sie sollen nun am 23. Juli stattfinden.

Sánchez versucht mit diesem Schritt zu verhindern, vom Oberwasser der konservativen Volkspartei PP und der Rechtspopulisten von Vox endgültig überschwemmt zu werden. Je eher wir wählen, so sein Kalkül, desto eher unterbinde ich die Abwanderung der Wähler ins rechte Lager. Und desto eher bleibe ich doch noch im Amt, irgendwie.

Die linke Regierung ist vielen Bürgerinnen und Bürgern offenbar zu weit gegangen. Beispiel Streit über ein neues Sexualstrafrecht: Das im vergangenen Jahr beschlossene „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz sollte die Verurteilung von Sexualstraftätern erleichtern und Frauen besser schützen. Tatsächlich aber führte es in Hunderten Fällen zu Strafmilderungen und in Dutzenden weiteren zu vorzeitigen Freilassungen von Sexualverbrechern.

Die Reformen und die neuen Gesetze der vergangenen Monate haben aber auch großen Einfluss auf die Unternehmens- und Arbeitswelt. Die Regierung experimentiert mit der Viertagewoche, macht sich für eine strenge Frauenquote stark und hat Menstruationsurlaub für Frauen durchs Parlament gebracht. Genau diese im europäischen Vergleich weitreichenden, einzigartigen Tests und Reformen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben könnten nun schnell wieder verschwinden. Denn die spanische Rechte hält von vielen der Neuerungen wenig.

9,7 Millionen Euro für Viertagewoche

Die Stadt Valencia hat im April und Mai in vier aufeinanderfolgenden Wochen mit einem Feiertag am Montag untersucht, welche Auswirkungen eine Viertagewoche auf die Bevölkerung hat. Valencia sei damit „die erste Stadt der Welt“ mit einem einmonatigen Pilotprojekt zu einer Arbeitswoche mit 32 Stunden und einem Fokus auf die Bürger, nicht die Unternehmen, sagte Bürgermeister Joan Ribó. Die Ergebnisse sollen im Juli vorgestellt werden. Dann wird der linke Bürgermeister Ribó aber schon nicht mehr im Amt sein, abgelöst von der Volkspartei.

Was Isabel Díaz Ayuso von so einer Arbeitswoche hält, hat die populistische Regierungschefin der Region Madrid mehrfach deutlich gemacht. Die Viertagewoche werde die „Kultur von Arbeit und Fleiß beenden“, sagte die PP-Politikerin, die am Sonntag die absolute Mehrheit holte. Spanien müsse wettbewerbsfähig bleiben. Eine Viertagewoche wäre schädlich und würde nur zu einer Konfrontation zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern führen.

Aber die Viertagewoche hat in Spanien auch unter Unternehmen Befürworter. Der Telefónica-Konzern war im vergangenen Jahr das erste große Unternehmen, das seiner gesamten Belegschaft das Modell anbot. Die noch amtierende Regierung Sánchez hat gerade erst ein zehn Millionen Euro teures Pilotprojekt zur Viertagewoche ausgerufen, für das sich Mittelständler mit weniger als 250 Mitarbeitern bewerben können. Mit bis zu 200.000 Euro unterstützt die Regierung Firmen, deren Mitarbeiter künftig nur noch vier Tage und zehn Prozent weniger arbeiten.

Freie Tage bei Menstruationsbeschwerden

Umfangreich diskutiert und im Februar vom Parlament verabschiedet wurde ein Gesetz für Frauen, das ebenfalls direkte Auswirkungen auf Unternehmen hat – und bislang einzigartig ist in Europa: freie Tage bei Menstruationsbeschwerden. Frauen dürfen seitdem bei Regelschmerzen der Arbeit fernbleiben. Dahinter steht die Gleichstellungsministerin Irene Montero. Ihre Partei Podemos, Koalitionspartner von Sánchez‘ sozialistischer Arbeiterpartei PSOE straften die Spanierinnen und Spanier am heftigsten ab.

Frauenrechte und Gleichstellung haben in den vergangenen Monaten nicht nur politisch, sondern auch juristisch viel Aufsehen in Spanien erregt. Es gab mehrere wegweisende Urteile, die sich mit der Rolle – und dem Arbeitsaufwand – der Frau im Haushalt und bei der Kindererziehung beschäftigten: Im März bekam eine Frau in Andalusien in erster Instanz mehr als 200.000 Euro als Kompensation für die häusliche Arbeit in den 25 Jahren ihrer Ehe zugesprochen – trotz vereinbarter Gütertrennung. Der Ex-Mann der Frau, ein Unternehmer, der in den Jahrzehnten viel Geld verdiente, muss nun dafür aufkommen, dass sie sich allein um Kinder und Haushalt gekümmert hatte. Kurz zuvor hatte eine Frau in Galicien gut 34.000 Euro als Entschädigung für die getätigte Hausarbeit während der Ehe bekommen.

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Und noch an einer weiteren Stelle prescht Spanien im europäischen Vergleich vor: bei der Frauenquote. Von der Regierung, aber nicht vom Parlament verabschiedet ist eine Quote von 40 Prozent. Behörden, Politik und das Management von Unternehmen dürfen demnach höchstens zu 60 Prozent von einem Geschlecht besetzt sein. Börsennotierte Unternehmen müssten dies bis zum 1. Juli 2024 umsetzen, andere erst zwei Jahre später. In Deutschland liegt diese Schwelle bei 30 Prozent. EU-weit gilt: Bis Ende 2026 müssen 40 Prozent aller Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen oder 33 Prozent der Aufsichtsräte und Vorstände weiblich sein.

Ob die kurzfristigere Vorgabe Spaniens eine politische Mehrheit findet, ist nach diesem Wochenende fraglicher denn je. Am 23. Juli entscheidet sich, was von den Debatten und Gesetzen übrig bleibt – die auch für andere europäische Länder und Unternehmen höchst relevant sind.

Lesen Sie auch: Warum wir uns auf die Viertagewoche einlassen sollten

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