Gar so martialisch wie der englische Verleger Christopher MacLehose gibt man sich beim Münchner Heyne-Verlag nicht. Der gebürtige Schotte hatte gemeint, keiner, niemand und nichts werde in der Lage sein, „den Ring aus Stahl um dieses Buch zu brechen“. Doch auch an der Isar haben die Buch-Macher Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die verhindern sollen, dass zu früh auch nur ein Sterbenswörtchen zu viel über den Inhalt von „Verschwörung“ bekannt werden würde. So musste auch die Übersetzerin eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen.
Wie es aussieht, haben die Schlösser gehalten: Erst wenn am Donnerstag die Fortsetzung der Millennium-Trilogie um die Hackerin Lisbeth Salander und den Journalisten Mikael Blomkvist in 27 Ländern weltweit in den Buchläden landet, können sich Leser und Journalisten ein Bild davon machen, ob das Experiment gelungen ist. Denn „Verschwörung“ ist der erste Band, den nicht mehr der bereits 2004 im Alter von 50 Jahren verstorbene Stieg Larsson selbst geschrieben hat.
Der Journalist und Autor hatte den späteren Welterfolg seiner drei Romane nicht mehr erlebt, die in der deutschen Übersetzung als die Trilogie „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ daherkamen und von denen der Heyne-Verlag 8,5 Millionen Exemplare verkauft hat. Insgesamt kommen die drei Bücher bis heute weltweit auf eine verkaufte Auflage von mehr als 80 Millionen Stück.
Ein Erfolg, der zwangsläufig die Frage nach der Fortsetzung aufwarf. Larsson selbst soll Entwürfe und Skizzen für insgesamt zehn Bücher mit dem ungleichen Ermittlerpaar angefertigt haben.
Lagercrantz statt Larsson
Seine langjährige Lebensgefährtin hatte sich allerdings vehement gegen eine Fortführung ausgesprochen. Doch weil nach Larssons plötzlichem Tod kein Testament vorlag, haben der Vater und der Bruder des Schriftstellers nun das letzte Wort auch über dessen Phantasiegeburten – und deren Weiterleben.
Deshalb finden sich nun auch nicht Larssons eigene Ideen im vierten Band wieder. Stattdessen haben Vater und Bruder den Stockholmer Autor David Lagercrantz mit der Fortsetzung betraut. Der hatte sich zuvor unter anderem als Ghostwriter der immens erfolgreichen Autobiografie des Fußballstürmers Zlatan Ibrahimovic einen Namen gemacht – nach dem Werk über das Enfant terrible der internationalen Kickerszene dürfte Lagercrantz an schräge Typen gewöhnt sein.
Für die Fortsetzung der Reihe hat sich Lagercrantz nicht auf Notizen von Larsson bezogen. Er habe sich bewusst auch bei der Sprache nicht an einer Kopie von dessen schlichtem Ton versucht, sagte der Autor.
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ARD; Stand: 20.06.2013
Inhaltlich, so viel ließ der englische Verleger MacLehose bereits durchsickern, geht es wohl um einen schwedischen Professor, der zum Thema künstliche Intelligenz forscht und der um sein Leben fürchtet. Im Spiel sind weiter eine Cybergangstertruppe, die Schweden mit Angst und Terror droht, und die NSA.
Lisander probiert, die NSA zu hacken... Dazu passt, das Autor Lagercrantz an einem Laptop ohne Internet-Zugang gearbeitet haben soll. Der Verlag wollte schlicht sicherstellen, dass nicht Hacker vorab das Geheimnis um den Roman lüften.
250.000 Exemplare für Deutschland
Für die meisten der beteiligten internationalen Verlage geht es nun vor allem um eine der wichtigsten, weil potenziell verkaufsträchtigsten Neuerscheinungen des Jahres. Der Heyne-Verlag beispielsweise hat die Startauflage mit 250.000 Exemplaren sehr hoch angesetzt.
Dagegen haben der traditionsreiche schwedische Verlag Norstedts und Lagercrantz deutlich mehr Grund zur Nervosität. Einerseits haben sie immensen Aufwand betrieben vor der Veröffentlichung.
Wie der deutsche Buchmarkt tickt
Fast zehn Milliarden Euro setzt der Buchhandel um. Die Erlöse sind tendenziell rückläufig, 2013 (9,54 Milliarden) gab es ein mageres Plus von 0,2 Prozent.
Der klassische Buchhandel immer noch etwa zur Hälfte (48,6 Prozent). Übers Internet wird inzwischen fast jedes sechste Buch (16,3 Prozent) verkauft. Nach steilem Wachstum gab es beim E-Commerce aber 2013 erstmals einen kleinen Rückschlag.
Es ist inzwischen bei fast allen Verlagen im Programm. Der Umsatzanteil liegt aber erst bei 3,9 Prozent, bei starkem Wachstum. 2012 waren es noch 2,4 Prozent.
Es sind vor allem Frauen: 46 Prozent greifen täglich oder mehrmals zu einem Buch, aber nur 30 Prozent der Männer. Am meisten lesen Menschen im Alter von 60 bis 69 Jahren Bücher - und Großstädter.
Wiederum das weibliche Geschlecht: Mehr als zwei Drittel der Frauen haben 2013 ein Buch gekauft - nur 53 Prozent der Männer. Auch beim Kauf von E-Books haben Frauen inzwischen die Männer leicht überholt.
Bei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren liegt das Bücherlesen (KIM-Studie von 2012) auf Platz 12 der liebsten Hobbys. 51 Prozent interessieren sich für Bücher, 14 Prozent der Kinder lesen täglich, allerdings sind darunter deutlich mehr Mädchen (21 Prozent) als Jungen (7 Prozent). Der Anteil der Kinder- und Jugendbücher am Umsatz im Buchmarkt liegt derzeit stabil bei etwa 16 Prozent.
Die Deutschen lesen am meisten belletristische Literatur: Gut jedes dritte verkaufte Buch (33,8 Prozent) zählt zu Romanen, Krimis, Fantasy oder Comics. Ratgeber werden immer beliebter und machen inzwischen fast 15 Prozent des Umsatzes aus. Lexika und Nachschlagwerke sind die großen Verlierer, da sich viele Informationen heute im Internet recherchieren lassen.
Deutscher Spitzentitel im vergangenen Jahr war „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson. Darauf folgte Timur Vermes' Hitler-Persiflage „Er ist wieder da“.
Das ist eindeutig die Bundeshauptstadt. Inzwischen gibt es in Berlin zahlenmäßig auch mehr Verlage (178) als in München (134), wo Branchenführer Random House (Bertelsmann) sitzt. Die meisten Buchhandlungen pro Einwohner gibt es aber in Heidelberg, gefolgt von Darmstadt und Göttingen.
Der deutsche Markt gilt nach den USA als der zweitgrößte der Welt. Fast 100.000 Titel werden jedes Jahr produziert, über 10.000 Bücher übersetzt. Deutschland ist aber auch Exportnation. Ähnlich wie bei Autos ist China auch wichtigster Abnehmer bei Buchlizenzen - vor Spanien und Italien.
Mehr als 20 Interviews mit Lagercrantz sollen internationale Journalisten bereits geführt haben, alle versehen mit einer Sperrfrist, die pünktlich zum Erscheinen ausläuft. Ist das Buch dann draußen, startet Lagercrantz zu einer ausgedehnten mehrwöchigen Werbetour mit Lesungen in Europa und den USA. Auch in Deutschland wird er auftreten, an drei Terminen ab dem 20. September in Hamburg, Berlin und Köln.
Schwieriger Streit ums Erbe
Doch völlig offen ist, was passiert, wenn „der Ring aus Stahl“ um das Buch sich löst – wie werden die Leser mit dem neuen Roman ihres alten Helden umgehen? Werden sie es lesen wollen? Kaufen sie es? Wird es ein Erfolg? Wie handelt die Presse es ab?
Norstedts-Verlag und Autor Lagercrantz wissen, dass sie in der schwedischen Öffentlichkeit einen immens schweren Stand haben, seit den Streitigkeiten um Larssons Erbe.
Seine Lebensgefährtin, heißt es, sei von den Verwandten nur nach langem hin und her und viel zu gering abgefunden worden; immerhin das gemeinsame Apartment habe sie behalten dürfen.
Zwar bemühen sich Vater und Bruder Larsson darum, sich als würdige Erben zu erweisen. So soll der Erlös aus dem Verkauf des vierten Bandes an die von Larsson mitgegründete antifaschistische Zeitschrift „Expo“ fließen. Dennoch scheinen die Sympathien in der schwedischen Öffentlichkeit klar verteilt zu sein.
Lagercrantz jedenfalls sagte im schwedischen Fernsehen, er mache sich Sorgen über einen möglichen Misserfolg des Buches: „Es könnte sein, dass ich nur noch eine dunkle Brille aufsetzen will und eine Gesichtsoperation machen lasse – und dann verschwinde.“