Mitbestimmung Koppeln, kungeln,korrumpieren im Betriebsrat

Jahrzehntelang haben Betriebsräte erfolgreich zum sozialen Frieden in deutschen Unternehmen beigetragen. Doch einige eklatante Fälle von Machtmissbrauch zeigen: Das Mitbestimmungssystem ist dringend reformbedürftig.

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Ein Warnstreik-Plakat Quelle: dpa

Der Ablauf war jeden Tag ähnlich: Kurz vor sechs Uhr morgens kam Peter Mickeleit* ins Unternehmen, wenige Minuten nach sechs Uhr meldete er sich bei seinem Vorgesetzten wieder ab. Statt seinem eigentlichen Job beim Wohnmobilherstellers Westfalia Van nachzugehen, marschierte Mickeleit direkt in ein knapp 60 Quadratmeter großes Büro hinter den Hauptmontagebändern – dem des Betriebsrats, dem er seit vielen Jahren angehört. Seine grundsätzliche Arbeit dort: PC hochfahren, E-Mails beantworten, mit Mitarbeitern sprechen.

Ein Dienstablauf, wie er laut Betriebsverfassungsgesetz einem freigestellten Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern zusteht. Nur: Der Mittelständler aus Rheda-Wiedenbrück hatte zu dem Zeitpunkt nur 190 Mitarbeiter – und Mickeleit keinen Anspruch darauf, nur Betriebsratsarbeit zu leisten. Seine Privilegien beruhten auf dem Zugeständnis eines längst ausgeschiedenen Geschäftsführers.

„Ich habe durch Zufall davon erfahren“, erinnert sich Sven Dübbers, seit Dezember 2007 Geschäftsführer bei Westfalia. Im Mai 2008 widerruft er die Vereinbarung schriftlich. „Ich dachte, ich sei im Recht und die Sache klar.“

War sie aber nicht.

Reformbedarf offensichtlich

Mickeleit denkt nicht daran, die Vereinbarung mit dem früheren Geschäftsführer aufzugeben. Dübbers kürzt auf Anraten seines Anwalts Mickeleits Gehalt um 25 Prozent. Die Sache geht erst vors Arbeitsgericht Bielefeld – Dübbers gewinnt, Mickeleit geht in die nächste Instanz, vors Landesarbeitsgericht Hamm. Der Prozess zieht sich, der Betriebsrat hängt einen Aushang am Schwarzen Brett aus, in dem der Begriff „Hexenverfolgung“ fällt. Schließlich muss Dübbers die von seinem Vorgänger gewährte Freistellung mit dreimonatiger Frist kündigen. Erst dann ist die Kündigung gültig. „Ich bin weit davon entfernt, Betriebsratsarbeit zu verdammen“, sagt Dübbers. „Aber diese Erfahrung hat meinen Glauben in dieses System erschüttert.“ Mit seinen Erlebnissen steht der Geschäftsführer nicht allein: Ob sie wichtige Entscheidungen durch Hinhaltetaktik blockieren, mit Kleinkriegen nicht nur das Betriebsklima vergiften, sondern ganze Betriebe lahmlegen, sich Zugeständnisse zu wichtigen Projekten durch Koppelgeschäfte abringen lassen oder es bei der Spesenabrechnung nicht so genau nehmen – regelmäßig kommen in deutschen Unternehmen eklatante Fälle ans Licht, bei denen Betriebsräte ihre Macht missbrauchen. Immer öfter wird deutlich: Das deutsche Mitbestimmungssystem ist dringend reformbedürftig.

Großzügiger als im übrigen Europa

Nirgendwo sonst in Europa sind die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer so großzügig geregelt wie in Deutschland: Während es in den meisten EU-Staaten Mitbestimmungsrechte erst ab 20, 30 oder 50 Beschäftigten gibt, müssen Unternehmen hierzulande eine Arbeitnehmervertretung schon ab fünf Mitarbeitern akzeptieren. Und bei Unternehmen ab 20 Mitarbeitern dürfen die Betriebsräte bereits bei jeder Einstellung, Eingruppierung, Versetzung und Entlassung ein Wörtchen mitreden.

Das Gros der rund 266.000 Betriebsratsmitglieder in Deutschland – in jedem zehnten Unternehmen existiert ein solches Gremium – leistet gute Arbeit, trägt im Dialog mit Geschäftsführern und Vorständen zum Wohle der Wirtschaft bei. Laut einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) halten 74 Prozent aller Deutschen die Mitbestimmung für einen Erfolgsfaktor, 69 Prozent schätzen sie als zentralen Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Mehr noch: Seit das Betriebsrätegesetz im Februar 1920 als Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes in Kraft trat, haben sich Betriebsräte besonders in Krisenzeiten bewährt. Das System aus Konsens, Kooperation und Kompromissen hat seitdem so manches Unternehmen vor zähen Arbeitskämpfen bewahrt.

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