Nervende Floskeln Die Epidemie der Sprachbazillen

Viel schlimmer als jede Grippe: Immer nervigere Blähwörter breiten sich epidemisch aus. Doch jeder Einzelne kann sich schützen.

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Diese Floskeln wollen wir nicht mehr hören
Jürgen Trittin, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen, verkündete über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Ich werde für Fraktionsspitze nicht wieder antreten." Quelle: dpa
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte: "Ich bin nicht zurückgetreten , sondern ich habe gesagt, ich werde nicht mehr antreten für die Neuwahl des Bundesvorstands." Sie glaube, dass dies ein gutes Signal für die anstehende Neuausrichtung der Partei mit Blick auf die nächste Bundestagswahl 2017 sei. Quelle: Reuters
Genauso klang die Rücktrittserklärung des Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Bernd Schlömer. Er verbreitete nach dem enttäuschenden Abschneiden der Partei bei der Bundestagswahl über Twitter die Botschaft: "Tschüß #Piraten! Das war es für mich. Ich ziehe mich zurück. Vielen Dank für 4 1/2 tolle Jahre im #BuVo." Quelle: dpa
FDP-Chef Philipp Rösler schwurbelte erstaunlich wenig, als er sagte, er wolle mit seinem Rückzug von der Parteispitze auch die Verantwortung für den „bittersten Abend“ nach einer Bundestagswahl übernehmen. Quelle: REUTERS
Der FDP-Landesvorsitzende Christian Lindner übernimmt auch nur deshalb den Parteivorsitz, weil er in dieser schwierigen Lage Verantwortung übernehmen wolle, „um die liberale Partei zu erneuern und bei der nächsten Bundestagswahl zurück ins Parlament zu führen.“ Quelle: dpa
"Es wird unsere Aufgabe sein, Vertrauen zurückzugewinnen", sagte Göring-Eckardt nach der ersten Sitzung der neuen Bundestagsfraktion in Berlin. Quelle: dpa
Und von Cem Özdemir, dem Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen stammt das gehaltvolle Statement: „Ein "Weiter so" wird es sicherlich nicht geben.“ Er ergänzte: „Dazu gehört eine personelle und eine inhaltliche Neuaufstellung.“ Quelle: dpa

Es ist ja nun Erkältungszeit. Die Luft der Konferenzräume und Großraumbüros ist gut gesättigt in diesem milden November mit Rhino-, Corona- und Paramyxoviren. In den Nasenhöhlen und Rachen der durch Stress geschwächten Insassen finden sie beste Fortpflanzungsbedingungen vor.

Ganzjährig beste Bedingungen bietet die moderne Arbeitswelt mit ihrem pausenlosen Kommunikationszwang leider auch den unsichtbaren Geistesbazillen, die sich ein paar Zentimeter oberhalb der Grippeviren im Sprachzentrum der Menschen festsetzen. Die Folge ist ein Übel, das noch deutlich hartnäckiger und für die Mitmenschen ärgerlicher sein kann als ein Schnupfen: Dummgeblubber.

Kennen Sie die Bedeutung folgender Floskeln?

Ganz ähnlich wie ihr mikrobiologisches Pendant pflanzen sich die Sprachbazillen meist rasend schnell von Mund zu Mund (oder Ohr) fort. Man hört sie alltäglich im Büro, im Konferenzraum und in der Kantine. Derzeit besonders verbreitet: Die Antwort "keine Ahnung", gefolgt von einem ausführlichen Kommentar, in dem wiederum jeder zweite Satz wieder mit "keine Ahnung" beginnt.

Die Epidemie des "nicht wirklich" klingt glücklicherweise gerade aus. Auch "ganz großes Kino" ist auf dem Rückzug. Ebenso "wie geil (oder asozial oder was auch immer) ist das denn!?".

Hier hat das angefangen, was langfristig jeder Floskel den Garaus macht: Sie gelten als ordinär und Indiz der Dümmlichkeit des Sprechers. Noch nicht geschehen ist das mit "spannend" als Bezeichnung für alles, was man angeblich interessant findet, über das man sich allerdings keine tieferen Gedanken zu machen gedenkt.

Besonders hartnäckig halten sich leider gerade bei jüngeren Sprechern und leider gerade in der Lebenswelt der so genannten Medienschaffenden hässliche Nicht-Worte wie das das fragend-vorwurfsvolle "Hallo!?" und das – nur in Lautschrift schreibbare – "həhəhə" als denkfaule Verweigerung einen Satz korrekt auszuführen. Vermutlich weil man sie schlecht schreiben kann, fehlt diese schlimmste aller Sprachkrankheiten sogar in dieser nahezu kompletten "Liste der nervigsten Redewendungen und Floskeln".

Zehn Floskeln, die wir nicht mehr hören können
„Ich kümmere mich darum“Hintergrund: Es menschelt in Polit-Talkshows. Anne Will hat das Betroffenen-Sofa einst eingeführt, auch Günter Jauch greift gerne auf die „einfachen“ Menschen zurück, die ihre Probleme schildern und Politiker mit handfesten Fragen und Sorgen konfrontieren. Das ist generell okay so. Schließlich soll sich Politik ja an den Bürgern orientieren. Und: Komplexe Themen werden so in die Praxis übertragen. Das Problem: Politiker nutzen die Schilderung der Bürger, um sich mal besonders betroffen, mal besonders erregt zu zeigen. Nur: Auf die konkreten Fragen und Sorgen der Menschen haben sie nur in den seltensten Fällen eine Antwort. Dafür versichern sie gerne: „Ich schaue mir Ihren Fall noch einmal persönlich an“. Zweifel sind angebracht.Die Meisterin des Satzes : Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie erklärte in der RTL-Wahlkampfarena vor der Bundestagswahl gleich mehrmals in einer Sendung, dass sie sich „kümmern werde“ – sei es um die Probleme eines Leiharbeiters oder um die Frauenquote. Quelle: dpa
„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“Hintergrund: Es gibt Themen, bei denen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Wer sich kritisch gegenüber Ausländer äußert, die deutsche Vergangenheit anspricht oder Fehler in der Euro-Rettung anmahnt, läuft Gefahr, als Populist verunglimpft zu werden. Denkverbote schaden der Demokratie.Das Problem : Stammtisch-Diskussion und Pauschal-Urteile schaden ebenfalls der Demokratie. Unter dem Deckmantel, die vermeintliche Wahrheit zu sagen („Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“) versuchen sie, strittige Thesen reinzuwaschen.Der Meister des Satzes : Thilo Sarrazin. Der ehemalige Berliner Innensenator sieht sich als Opfer des Mainstreams. Dabei sind Teile seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ schlicht Blödsinn. Quelle: dpa
„Wir lassen kein Kind zurück“Hintergrund: Laut einer Unicef-Studie leben 14 Prozent aller Kinder in Deutschland in relativer Armut und es haben noch immer die Kinder und Jugendlichen die besten Bildungschancen, die aus Akademiker-Familien kommen. Auch Kita-Plätze sind trotz Gesetzesanspruch noch immer nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Kurzum: Es gibt viel zu tun.Das Problem : Insbesondere Oppositionspolitiker verweisen gerne auf das Leid „unserer Kinder“, um die Regierung zu kritisieren. Sprich: Die vermeintlichen Kümmerer instrumentalisieren die Kinder und Jugendlichen. Noch schlimmer: Parolen wie „Wir lassen kein Kind zurück“ werden als Ausrede genutzt, um die Haushalte zu überziehen und Schuldenbremsen zu umgehen.Die Meisterin des Satzes: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Quelle: dpa
„Mit mir wird es das nicht geben“Hintergrund: Es gibt so viele unangenehme Wahrheiten. Wer schätzt schon Steuererhöhungen, die Große Koalition oder die Einführung der Pkw-Maut? Richtig. Keiner. Deswegen probieren viele Politiker in Talkshows, zu leugnen und zu verharmlosen.Das Problem : Der Satz „Mit mir wird es das nicht geben“ geht leicht über die Lippen. Blöd nur, wenn die politischen Partner dann doch gerade auf dem Thema beharren, dass man kurz zuvor kategorisch abgelehnt hat.Die Meisterin des Satzes : Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie schloss im TV-Duell gegen Peer Steinbrück am 1. September die Einführung einer Pkw-Maut kategorisch aus. In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema auf dem Tisch. Quelle: dpa
"...für die Menschen da draußen!"Hintergrund: Politiker und die Hauptstadtjournalisten wollen unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie in einer Blase leben, die aus Presseterminen, Sitzungen und Besprechungen besteht. Deswegen bemühen einige Talkshowgäste die patriarchalisch anmutende Formel von den „Menschen da draußen“. Dazu zählen auch die Zuschauer. Die Zuschauer im Studio, zu denen gelegentlich auch von dem zu verhandelnden Problem Betroffene gehören, sind davon ausgenommen. Immerhin ist man sich dessen bewusst, dass es noch ein draußen gibt.Das Problem: Der Satz offenbart, wie groß der Abstand zwischen der anonymen Masse der Draußen-Menschen und dem verhältnismäßig kleinen Zirkel der Talkshowmoderatoren und -gäste ist. Viel mehr drückt der Satz nicht aus. Außer dass man sich wirklich um die Menschen kümmert. Ehrlich. Versprochen.Meister des Satzes: Vor allem Günther Jauch geht es viel um die Menschen da draußen. Quelle: dpa
„Jetzt rede ich; ich habe Sie ja auch nicht unterbrochen“Der Hintergrund: Es gibt kaum eine massenwirksamere Möglichkeit seine Thesen unters Volk zu bringen als eine Talkshow. Das ist vor allem für Politiker interessant. Wenn nur die anderen Gäste nicht da wären! Bei rund einer Stunde Redezeit bleiben für jeden der fünf Gäste und den Moderator noch durchschnittlich zehn Minuten. Davon gehen noch ein paar Minuten für kurze Videos ab und schon muss jeder um seinen Redeanteil kämpfen. Der Satz „Jetzt rede ich; ich habe Sie ja auch nicht unterbrochen“ ist somit ein Appell an die Fairness des Gegenübers.Das Problem: Die Aufforderung zeigt in der Regel nur einmal Wirkung. Danach wird sie schlicht übergangen. An diesem Punkt werden Diskussionsrunden im Fernsehen zunehmend unansehnlich. Denn es geht nicht mehr um einen argumentativen Schlagabtausch, sondern um Stimmkraft und Beharrlichkeit.Meister der Floskel: Wolfgang Bosbach und Renate Künast teilen sich den ersten Platz in dieser Disziplin. Beide haben ihre Floskelfähigkeit in zahllosen Talkshow-Auftritten trainiert. Quelle: dpa
„Die Energiewende muss bezahlbar bleiben.“Hintergrund: Die Kosten für das jeweilige Lieblingsprojekt des Talkshowgastes haben in der Regel die unangenehme Angewohnheit zu steigen. Teilweise sogar rasant, siehe Energiewende. Da Talkshows nicht der richtige Ort dafür sind, die Kosten für die Energiewende durchzurechnen, „muss das bezahlbar bleiben.“ Je nach Politiker und Parteizugehörigkeit tauschen Sie das Wort Energiewende gegen Mindestlohn, Gesundheit oder Familienpolitik aus.Das Problem: Es ist eine Sache, seine Mit-Talkshow-Gäste zu überschreiben und mantrahaft die Bezahlbarkeit des persönlichen Lieblingsprojekts zu predigen. Eine andere ist es, das Projekt dem Bundesfinanzminister schmackhaft zu machen. Leichter gesagt als getan. Das merkt auch der letzte Zuschauer – und lässt das Projekt, so sinnvoll es auch sein mag, unrealistisch erscheinen.Meister des Satzes: Bundesumweltminister Peter Altmaier bevorzugt aktuell die Version „Energiewende“. Quelle: dpa

In vollem Saft steht derzeit auch "alles gut". Manche Gegenwartsdeutsche begrüßen ihre Nachbarn auf der Straße nicht mehr mit "Guten Tag" oder "Hallo", sondern mit "Alles gut?". Worauf sie als Antwort natürlich "Alles gut!", erwarten. An diesem Beispiel kann man gut verfolgen, wie sich Floskeln und anderes Dummdeutsch ausbreitet, nämlich nach den "Gesetzen der Nachahmung", die der Soziologe Gabriel Tarde einst in seinem gleichnamigen Standardwerk formulierte: also von den Überlegenen zu den Unterlegenen. Das heißt allerdings nicht, von den Reichen zu den Armen oder von den Gebildeten zu den Ungebildeten, sondern von denen, die den Ton angeben, zu denen, die ihn hören.

Floskel-Krankheiten breiten sich aus

Überlegen sind in unserer Mediengesellschaft Leute, die besonders oft im Fernsehen und anderen Medien zu hören sind und ihre Geschwätzbazillen dadurch besonders wirksam streuen können. Im Falle des "alles gut" war es die Fernsehmoderatorin Nina Ruge, die ihre Zuschauer jahrelang mit einem apodiktischen "Alles wird gut" verabschiedete. Spätestens seitdem Bushido 2010 "Alles wird gut!" auch noch rappte, hat sich der Kleinkindertröstspruch in Millionen mehr oder weniger erwachsener Köpfe eingenistet.

Denglische Floskeln, die wir nicht mehr hören wollen
Noch vor Jahren hatte die Deutsche Bahn vor allem ein Image als "Sprachpanscher". Nun verstärkt der Konzern seine Bemühungen um die Sprache. Künftig sollen weniger englische Wörter im Bahn-Alltag verwendet werden. Das hat Bahnchef Grube in einem Brief an den CSU-Bundestagsabgeordneten Hinsken versichert. Aus dem Flyer sollen künftig wieder Handzettel werden, die Hotlines werden zu Service-Nummern und bei bekannten Marken wie "Call-a-Bike" soll künftig eine deutsche Erläuterung wie "Das Mietrad-Angebot" hinzugefügt werden. Auch mit der Rechtschreibung will die Bahn es genauer nehmen: Aus dem "ReiseZentrum" wird das "Reisezentrum" mit kleinem "z". Zuvor waren bei der Bahn Service Points bereits zu DB Informationen und Counter wieder zu Schaltern geworden. Es wird also Zeit, Abschied zu nehmen von viel gehörten Sätzen wie "Senk ju vor träwelling wiss Deutsche Bahn." Aber keine Angst: Die folgenden denglischen Floskeln werden uns wohl oder übel noch erhalten bleiben. Quelle: dpa
A Ferrari P4/5, designed by Pininfarina Quelle: REUTERS
Mann mit Laptop Quelle: gms
türklinke Quelle: Fotolia
Ein Bauarbeiter mauert am Main am 30. August 2005 an einem Haus. Quelle: AP
Ein Spot beleuchtet in Hagen in einer Fotoillustration auf einem Kalenderblatt den Wochentag Freitag Quelle: dapd
Frau mit einem Heftpflaster auf der Schulter Quelle: REUTERS

Wie alle extrem nervenden Floskeln gibt sich "alles gut" nicht mit dem Status als potentielle Antwort zufrieden, sondern will auch ohne Aufforderung andauernd in die Welt hinausposaunt werden: als Begrüßungsfrage droht das "alles gut?" nun im Deutschen zu werden, was "How are you?" im Englischen und "Genki?" ("gesund?") im Japanischen sind. Man kann nur hoffen, dass es vorher wieder ausstirbt.

Es gibt auch Floskel-Krankheiten, die sich auf ganz ausgesuchte Wirtstiere spezialisiert haben. "Ja, gut …" zum Beispiel kommt fast nur aus dem Munde von Fußballprofis, die kurz nach dem Spiel etwas in eine Fernsehkamera sagen sollen. Ja gut, mag man sagen, Fußballer sind halt oft Prolls und dank eines herkunftsbedingt restringierten Sprachcodes besonders anfällig für derartiges Blähdeutsch.

Leider haben sich aber auch in den letzten Hochburgen der Gelehrsamkeit einige Floskelviren perfekt an die Bedingungen eines elaborierten Sprachcodes angepasst. Unter Historikern zum Beispiel grassiert seit Jahren die "Ambivalenz". Klingt lateinisch und sehr alt, ist aber ebenso wie "elaboriert" und "restringiert" eine neuzeitliche Sprachzüchtung wichtigtuerischer Wissenschaftler. Der Psychiater Eugen Bleuler hat diese Gelehrtensprechblase in die Welt gesetzt, weil er sich scheute, einfach "Zwiespalt" zu schreiben.

Die so genannten Medienschaffenden und alle, die mit einem größeren Publikum kommunizieren, tragen also eine besonders große Verantwortung bei der Eindämmung des Gebrabbels. So wie man nicht vor kleinen Kindern über eine rote Ampel geht, könnte sich jeder Chef in jedem Meeting einfach mal auf die Zunge beißen, bevor er sie unüberlegt rausblubbert.

Wie kann man die Mitarbeiter dabei mit ins Boot holen? Keine Ahnung, da bin ich total schmerzfrei. Aber spannende Ideen kommen irgendwie wie Kai aus der Kiste. Genau! Und am Ende, sag ich mal, alles wird gut.

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