Neue OECD-Studie Deutschland fällt im Weiterbildungs-PISA durch

Quelle: imago images

Um den Strukturwandel zu bewältigen, ist Weiterbildung unerlässlich. Doch die hiesigen Bedingungen dafür sind unübersichtlich, unflexibel und ungerecht, zeigt ein neuer OECD-Report. Dass es besser geht, beweisen Nachbarländer.

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Von ihrer Wohnung in Paris aus hat Anja Meierkord im vergangenen Jahr eine Expedition in unübersichtliches Terrain gewagt: Im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Ökonomin federführend den deutschen Weiterbildungsdschungel erforscht und vermessen – coronabedingt aus der Ferne. Entstanden ist dabei der neue Bericht „Weiterbildung in Deutschland“. Meierkord und ihre Kolleginnen und Kollegen zeigen darin detailliert die Schwachstellen des deutschen Weiterbildungssystems auf, das oft zu unübersichtlich und unflexibel ist und die Bildungsungleichheit erhöht. Und benennen, warum  das ein Problem ist: "Angesichts des Strukturwandels muss das deutsche Weiterbildungssystem, wie auch in vielen anderen Ländern, nachgebessert werden“, sagt die Studienleiterin. 

Mehr als die Hälfte aller Jobs bedroht

Klar ist für sie, dass die Megatrends unserer Zeit – die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche, eine älter werdende Gesellschaft und eine immer weniger auf fossile Energieträger und Rohstoffe setzende Wirtschaft – dazu führen, dass Menschen andere Fähigkeiten und Profile mitbringen müssen, um auch in Zukunft noch Arbeit zu finden. Der Strukturwandel, so schätzt das Bundesarbeitsministerium, lässt in den kommenden 20 Jahren 5,3 Millionen Jobs verschwinden und 3,6 Millionen neue entstehen. 

Die OECD selbst hat errechnet, dass in den nächsten 15 Jahren mehr als ein Drittel aller Stellen von deutlichen Veränderungen und fast ein Fünftel von Automatisierung betroffen sein könnte. Zusammengenommen sind so 54 Prozent aller Jobs in Deutschland bedroht – im OECD-Vergleich sind nur Japan, Griechenland, Litauen, die Slowakei und die Türkei stärker getroffen. „Klar ist, dass sich viele Berufe und Aufgaben verändern werden. Menschen und Unternehmen müssen es schaffen, damit umzugehen“, sagt Anja Meierkord, „Ein wichtiges Mittel dazu ist die Weiterbildung.“

Wann sich Weiterbildung individuell lohnt

Dass es für eine Volkswirtschaft unerlässlich ist, dass Arbeitnehmer ihr Wissen auffrischen, leuchtet ein. Dass es sich auch individuell lohnt, ist empirisch hingegen nicht belegt. Nur etwa die Hälfte der deutschen Befragten im Adult Education Survey gaben an, einen neuen Job, mehr Gehalt, eine Beförderung oder neue Aufgaben durch eine Weiterbildung bekommen zu haben. „Kausale Mechanismen zwischen Weiterbildungsteilnahme und individuellem Markterfolg sind nicht immer klar festzustellen“, sagt Anja Meierkord. Ihren Nutzen deshalb ganz in Frage zu stellen, gehe jedoch zu weit: Selbst wenn Weiterbildungen nicht zwingend karrierebeschleunigend wirkten, so garantierten sie doch zumindest eine Stabilität, die in Zeiten des Wandels sonst schnell in Frage stehe. Außerdem gäbe es auch Vorteile über die Beschäftigung hinaus: So zeigten Studien, dass sich Weiterbildungen positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch auf soziale und politische Teilhabe auswirkten. 

Wenn Menschen verstanden haben, dass sie Neues lernen müssen, um in Zukunft noch produktiv zu sein, fange das eigentliche Problem jedoch oft erst an, analysiert Meierkord. Informationen darüber, ob und wie sich ihre Arbeit verändern wird, welche Angebote ihnen weiterhelfen könnten und wie sie diese bezahlen, bekommen Weiterbildungswillige an zu vielen verschiedenen Stellen: beim Arbeitgeber, bei Kammern, bei Verbänden, bei Landes- und Bundesministerien und Förderbanken. 

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