Norbert Bolz "Erfolgreiche Typen sind immer Spielertypen"

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Das Zeitalter des "Homo ludens"

Vor einigen Jahren haben Sie noch den Konsum gewürdigt als Sinnangebot und Möglichkeit der Wiederverzauberung in unserer durchrationalisierten Welt. Was ist der Vorzug des Spiels gegenüber dem Konsum?

Sagen wir so: Der Konsum hat das Problem, dass er nie wirklich befriedigt. Man kann nur immer weiter konsumieren und den Konsum steigern, während das Spiel buchstäblich eine geschlossene Veranstaltung ist. Ich würde beim Spiel nicht von einem Sinnangebot sprechen, sondern behaupten: Die Frage nach dem Sinn stellt sich nicht. Warum? Weil das Spiel in sich selber sinnvoll ist.

Wie kommt es dann, dass das Spielen auch in der realen Welt auf dem Vormarsch ist? Militärs spielen an Joysticks. Und im Kasinokapitalismus ist die Hölle los.

Gewiss, das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter des Homo ludens, des spielenden Menschen sein. Erfolgreiche Typen, egal in welchem Bereich, sind heute Spielertypen. Leute, die was riskieren. Die erkennbar Freude haben an dem, was sie tun.

Angela Merkel zum Beispiel?

(lacht) Na ja, wenn ich Kulturkritiker wäre, würde ich sagen: Die Politiker sind die Spielverderber, unfähig, die Potenziale des Homo ludens für ihre eigene Arbeit zu nutzen. Kein Spielertyp würde seine Politik als „alternativlos“ bezeichnen. Aber immerhin: Als Merkel sich vor laufender Kamera hinstellte und sagte, die Einlagen der Sparer seien sicher, ging sie eine Wette ein, die sie gewonnen hat.

Populär ist Spielen inzwischen auch in der Ökonomie. Man spricht sogar von Gamifizierung. Was bedeutet das?

Ein Plus in puncto Feedback, denn damit sind die veränderten Kommunikationsverhältnisse im Internet bezeichnet. Feedback gehört zu den wesentlichen Charakteristika aller Spiele. Spiele machen glücklich, weil auf jeden Zug mit einem Gegenzug geantwortet wird. Spiele sind Resonanzphänomene. Man kriegt auf jede Aktion ein Feedback. Und genau damit bekommt es nun auch die Wirtschaft zu tun: Die Feedback-Schleifen über Produkte und Dienstleistungen werden immer intensiver.

Was ist mit der Börsenwelt, mit der Keimzelle des Spiels in der Ökonomie?

Die wird von Spielern dominiert, keine Frage. Spätestens seit die klassische Form der Börse vor unser aller Augen untergegangen ist, seit sich niemand mehr Kurse zuschreit. Wenn man diese Trader bei der Arbeit sieht, wenn man sieht, wie die Weltdaten in Echtzeit über die Schirme flimmern und in Millisekunden Entscheidungen über gigantische Summen getroffen werden – das alles lässt sich nur noch mit Roulette vergleichen…

Bleibt der Homo ludens im Bereich der Bildung: An Schulen und Universitäten trifft man ihn nicht mehr, oder?

Leider. Lange Zeit war ja die Losung: Mehr Computer für die Schule. Das hat überhaupt nichts gebracht. Umgekehrt wird vielleicht ein Schuh draus: Mehr Schule in den Computer. Die eigentlichen Interessen der Schüler und Studenten sind längst ausgewandert ins Internet. Nehmen Sie „World of Warcraft“, ein komplexes Spiel, bei dem es um die Organisation gemeinsamer Prozesse geht. Anders als der Schulalltag, der immer Linearität und Trivialität fördert, zeichnen sich Computerspiele durch das ständige Wechselspiel von „challenge and response“ aus. Und selbst, wenn es sich um ganz einfache Spiele handelt, lernt man wenigstens eins: Geistesgegenwart. Jedes Spiel zwingt zu schnellen Reaktionen.

Was heißt das? Hört auf zu studieren – fangt an zu spielen?

Das wäre lächerlich. Aber wie wäre es, wenn Studenten nicht „World of Warcraft“, sondern „World without Oil“ spielen würden? Millionen Spieler würden dann gemeinsam darüber nachdenken – und das heißt virtuelle Szenarien entwerfen –, wie die Welt mit einer großen Ölkrise klarkommen könnte. Um die Probleme der Welt zu lösen, müssen wir sie in Spiele verwandeln.

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