Ökonomieprofessor forscht zu Lügen "Männer lügen häufiger als Frauen"

Ein Experiment zeigt: Männer lügen in Gruppen öfter als Frauen. Ökonomieprofessor und Studienleiter Andreas Roider, erklärt, wie Lügen unserer Wirtschaft schadet und warum Frauenquoten ethischeres Verhalten fördern.

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Ökonomieprofessor und Studienleiter Andreas Roider im Interview mit WirtschaftsWoche. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Herr Professor Roider, warum beschäftigen Sie sich als Ökonom überhaupt mit dem Thema Lügen –  ist das nicht eher etwas für Soziologen?

Lügen ist eine Form unethischen Verhaltens und als solches ökonomisch hochgradig relevant. Denn nicht jedes Verhalten das dem eigenen Vorteil dient, also etwa der Gewinnmaximierung, ist legal. Bilanzmanipulationen, Insiderhandel oder die Umgehung von Sicherheits- und Umweltstandards verursachen einen enormen Schaden.

Ein konkretes Beispiel bitte.

Das US-amerikanische Energiehandelsunternehmen Enron hat beispielsweise massiv Bilanzfälschung betrieben. Die Folge: Das ganze Unternehmen ist in Konkurs gegangen. Milliardenwerte wurden vernichtet. Tausende Mitarbeiter verloren ihre Jobs. Kunden blieben auf offenen Forderungen sitzen. Und am Anfang all dessen stand eine Lüge.

Mit diesen Fragen bringen Sie Lügen ans Licht

Es fällt auf, dass viele der bekanntesten Lügen von Männern stammen: Von Walter Ulbricht, der keine Mauer bauen wollte, über Helmut Kohl, der verneinte irgendetwas über Millionenspenden an die CDU zu wissen, bis hin zu Bill Clinton, der seine sexuelle Beziehung zu Monica Lewinsky leugnete. Wer lügt denn nun häufiger: Männer oder Frauen?

Das hängt davon ab, ob die Entscheidung zu Lügen von Einzelnen oder gemeinsam in Gruppen getroffen wird. Bei einzelnen Individuen zeigen mehrere Studien, dass Männer eine gewisse Tendenz haben, ein klein wenig häufiger zu lügen als Frauen. Aber diese Effekte sind so gering ausgeprägt, dass sie genauso gut nur statistische Artefakte sein könnten. Ganz anders sieht es hingegen bei Gruppen aus.

Was ist bei Gruppen anders?

Viele wichtige Entscheidungen in der Politik und der Wirtschaft werden heute von Gruppen getroffen. Wir konnten in einem Experiment erstmals nachweisen, dass es deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen in puncto Ehrlichkeit gibt, wenn sie sich in Gruppen zusammentun.

Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin

Wie lief Ihr Experiment ab?

Wir haben mehr als 300 Studenten der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Regensburg dazu aufgefordert, um Geld zu würfeln. Jeder Teilnehmer erhielt genauso viele Euros ausbezahlt, wie Augenzahlen genannt wurden. Um die Kosten zu begrenzen, war aber jedem klar, dass es bei der Augenzahl 6 null Euro gibt. Da nur die Probanden selbst beobachten konnten, was für eine Zahl sie würfeln, musste das Ergebnis, das sie auf einem Zettel notieren sollten, nicht notwendigerweise mit dem Würfelergebnis übereinstimmen.

Diese Antworten weisen auf eine Lüge hin

Die Probanden konnten also schamlos lügen, um mehr Geld zu erhalten.

Ja, denn wir können keinem einzigen Teilnehmer wirklich nachweisen, ob er gelogen oder die Wahrheit gesagt hat. Allerdings besagen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, dass wenn jeder ehrlich antwortet, die Probanden im Schnitt 2,5 Euro ausbezahlt bekommen. In der ersten Phase des Experiments haben wir die Teilnehmer einzeln würfeln lassen. Die Männer haben im Schnitt ein Würfelergebnis von 3,58 berichtet und die Frauen ein Ergebnis von 3,40. Das bestätigt, was schon in früheren Studien gezeigt werden konnte: Männer haben eine leichte Tendenz, höhere Werte anzugeben, also stärker zu lügen als Frauen. Aber die Geschlechterunterschiede sind nicht signifikant.

Ein Faktor bei der Zusammensetzung von Vorständen und Aufsichtsräten?

Anders als bei Gruppen?

Genau. In der zweiten Phase unseres Experiments haben wir die Teilnehmer zufällig zu rein männlichen, gemischten und rein weiblichen Zweiergruppen geordnet. Es gab wieder nur einen Würfel und einen Zettel. Das heißt: Die Gruppenmitglieder mussten gemeinsam entscheiden, wer den Würfel wirft und welches Ergebnis danach aufgeschrieben wird. Dabei konnten wieder viele der Versuchung nicht wiederstehen, zu flunkern, um sich selbst einen geldwerten Vorteil zu verschaffen.

Die rein männlichen Zweierteams berichteten im Schnitt ein Würfelergebnis von 4,0. Die gemischten Gruppen mit je einem Mann und einer Frau, meldeten ein Ergebnis von 3,71. Wirklich interessant ist aber das Ergebnis der reinen Frauenteams: Sie berichteten ein durchschnittliches Ergebnis von 2,74. Statistisch gesehen, haben die reinen Frauengruppen im Gegensatz zu den Männern  gar nicht gelogen.

Wie erklären Sie sich diese deutlichen Geschlechterunterschiede?

Wir wussten, dass Gruppen sich oft anders verhalten als Individuen. Aber dass es so starke geschlechterspezifische Unterschiede gibt, hat uns selbst überrascht. Was wirklich dahintersteckt, müssen wir aber noch eingehender untersuchen.

Sind Männer anfälliger für unethisches Verhalten?

Nein, das kann man so nicht sagen. Denn wenn man sich die Individualergebnisse ansieht, dann gibt es zwischen Männern und Frauen praktisch keinen Unterschied. Aber in Gruppen entwickeln sich offensichtlich je nach Geschlecht unterschiedliche Dynamiken.

Zur Person

Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für Wirtschaft und Politik?

Das Geschlecht spielt offensichtlich bei Entscheidungsprozessen in Gruppen eine weitaus größere Rolle als bisher angenommen. Konkret zeigen die Ergebnisse unseres Experiments, dass eine stärkere Berücksichtigung der geschlechterspezifischen Zusammensetzung von Entscheidungsgremien wie Vorständen und Aufsichtsräten, ein wesentlicher Faktor sein könnte, um das Ausmaß von unethischem Verhalten zu reduzieren. Auch vor diesem Hintergrund ist die Diskussion, um Frauenquoten in derartigen Gremien zu sehen.

In Deutschland beträgt der Frauenanteil in den Vorstandsetagen der 160 wichtigsten börsennotierten Unternehmen gerade einmal sechs Prozent. Müssen wir also davon ausgehen, dass dieser Männerüberhang zu tendenziell unethischerem Verhalten führt?

Inwieweit sich die Ergebnisse des Experiments auf die Realität übertragen lassen, ist natürlich noch offen. Aber unsere Erkenntnisse sind zumindest kein Argument gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen in Führungsgremien.

Kein Argument für Frauenquoten

Ihre Ergebnisse sind aber auch kein Argument für Frauenquoten. Immerhin wurde in den gemischten Gruppen genauso dreist gelogen, wie in den rein männlichen.

Stimmt, in den gemischten Teams wurde ähnlich viel geschummelt, wie bei den rein männlichen Gruppen. Allerdings wäre ich hinsichtlich der Effekte von Frauenquoten in größeren Entscheidungsgremien nicht so pessimistisch. Wir haben im Experiment schon klar gesehen: Wenn zwei Frauen zusammen entscheiden, ändern sich die Präferenzen hin zu mehr Ehrlichkeit schon sehr stark. Wie genau Aufsichtsräte oder Vorstände geschlechterspezifisch idealerweise zusammengesetzt sein müssen, um möglichst ethisches Verhalten zu fördern, ist aber bislang ungeklärt.

In ihrem Experiment war das Verhältnis von Männern und Frauen in den gemischten Gruppen 50:50. Trotzdem wurde stark geflunkert. Eine Frauenquote von 30 Prozent würde mit Blick auf ethischere Entscheidungen demnach nichts bringen.

Da muss ich Ihnen widersprechen. Wenn man unser Ergebnis wörtlich interpretiert, dann haben Sie Recht: Eine Frauenquote von 50 Prozent war nicht ausreichend, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Aber in unserem Versuch haben immer nur zwei Menschen miteinander interagiert. Es gibt also nur einen Anteil von 50 oder 100 Prozent eines Geschlechts. Wenn die Gruppe aber größer wäre, zum Beispiel wenn drei Frauen in einer Zehnergruppen wären, dann können sich die Frauen gemeinsam mehr Gehör verschaffen und sind eventuelle eher bereit, wie in den rein weiblichen Gruppen, ihre Präferenzen zu ändern und mehr Ehrlichkeit einzufordern. Das heißt: Eine Frauenquote von 30 Prozent ist nicht automatisch zu gering.

Sie gehen davon aus, dass Männer in gemischten Gruppen den dominanteren Part einnehmen?

Ja, es scheint so, als könnten die Männer ihre Vorstellungen in gemischten Gruppen stärker durchsetzen. Fraglich ist aber, wie sich das bei größeren Gruppen entwickelt. Wir können unsere Ergebnisse nicht eins zu eins auf größere Gruppen übertragen.

Arbeiten Sie schon an weiteren Experimenten?

Wir denken da aktuell in unterschiedliche Richtungen nach. Eine Idee: Wir haben den Probanden schon am Anfang einen kleinen Bonus als Dankeschön für die Teilnahme bezahlt. Studien haben gezeigt, dass wenn man nett zu anderen ist, sie tendenziell auch freundlicher zu einem selbst sind, was ja nicht wirklich überrascht. Die eine oder der andere Teilnehmer könnte also im Kopf gehabt haben: Die waren nett zu mir, also werde ich sie nicht durch die Angabe eines falschen Ergebnisses ausnützen.

Ohne das Taschengeld gleich zu Beginn hätten die Probanden noch stärker gelogen?

Ja, diese Vermutung liegt nahe. Und es könnte sein, dass sich Männer und Frauen davon unterschiedlich beeinflussen lassen. Wir experimentieren weiter. 

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