
Herr Professor Roider, warum beschäftigen Sie sich als Ökonom überhaupt mit dem Thema Lügen – ist das nicht eher etwas für Soziologen?
Lügen ist eine Form unethischen Verhaltens und als solches ökonomisch hochgradig relevant. Denn nicht jedes Verhalten das dem eigenen Vorteil dient, also etwa der Gewinnmaximierung, ist legal. Bilanzmanipulationen, Insiderhandel oder die Umgehung von Sicherheits- und Umweltstandards verursachen einen enormen Schaden.
Ein konkretes Beispiel bitte.
Das US-amerikanische Energiehandelsunternehmen Enron hat beispielsweise massiv Bilanzfälschung betrieben. Die Folge: Das ganze Unternehmen ist in Konkurs gegangen. Milliardenwerte wurden vernichtet. Tausende Mitarbeiter verloren ihre Jobs. Kunden blieben auf offenen Forderungen sitzen. Und am Anfang all dessen stand eine Lüge.
Mit diesen Fragen bringen Sie Lügen ans Licht
In Situationen, in denen wir nicht die Antwort bekommen, mit der wir gerechnet haben, greifen wir oft zu negativ formulierten Fragen. Angenommen, Sie fragen eine Autofahrerin, ob sie schon einmal die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, und sie antwortet darauf: "Nein, noch nie." Diese Antwort wird Sie vermutlich überraschen, also haken Sie spontan noch einmal nach: "Sie haben noch niemals die Höchstgeschwindigkeit überschritten? Wirklich noch nie?" Doch damit bestärken sie Ihren Gesprächspartner, bei seiner Antwort zu bleiben.
Beginnen Sie Ihre Frage mit einer Einleitung: "Als Nächstes möchte ich Sie nach XYZ befragen. Bevor wir auf dieses Thema eingehen, will ich Ihnen erklären, warum diese Frage wichtig ist und worum es uns geht." Legitimierungen führen dazu, dass Menschen die Frage ehrlicher beantworten. Auch Rationalisierungen eignen sich sehr gut als Prolog zu einer Frage. Zum Beispiel: "Niemand ist perfekt" oder "Jeder macht einmal etwas falsch". Das kann enorm dazu beitragen, Ihren Gesprächspartner für die Frage zu öffnen, die Sie ihm stellen möchten. Auch durch Minimierung können Sie verhindern, dass sich jemand hinter seiner Lüge verschanzt – zum Beispiel mit Äußerungen wie: "Wir möchten diese Angelegenheit ja nicht unnötig aufbauschen."
Es ist wichtig, zwischen Verdachtsfragen und Suggestivfragen zu unterscheiden. Mit einer Suggestivfrage versucht man den Gesprächspartner zu beeinflussen und ihm eine bestimmte Antwort in den Mund zu legen: "Sie haben doch gestern Abend das Geld genommen?" Eine Verdachtsfrage ist: "Was ist gestern Abend mit dem Geld passiert?" Der Unschuldige sagt "Keine Ahnung." Wer schuldig ist, muss nachdenken und sagt also eher: "Sie fragen mich, was da passiert ist? Woher soll ich denn das wissen?"
Eine klassische Köderfrage wäre "Könnte es einen Grund geben, warum jemand behauptet, Sie hätten das Geld genommen?" Es handelt sich um eine hypothetische Frage, die auf einem psychologischen Prinzip namens "Gedankenvirus" beruht. Wenn der Kollege auf Sie zukommt und sagt: "Die Chefin möchte dich sofort in ihrem Büro sprechen", schlägt ein solches Gedankenvirus zu. Wir machen uns nämlich sofort Gedanken darüber, was wir angestellt haben könnten, was uns jetzt droht und spielen alle Konsequenzen durch.
Fragen Sie: "Was sollte Ihrer Meinung nach mit der Person passieren, die das getan hat?" Wenn Sie jemanden befragen, der kein reines Gewissen hat, fordern Sie die verdächtige Person mit dieser Frage im Grunde genommen dazu auf, sich selbst zu verurteilen. Dahinter steht die Theorie, dass jemand, der schuldig ist, naturgemäß eine ziemlich milde Strafe vorschlagen wird. Wer unschuldig ist, wird sich dagegen wohl für eine strengere Bestrafung aussprechen.
Das Problem mit dieser Theorie ist nur, dass Lügner und Betrüger immer nach Möglichkeiten suchen, unsere Wahrnehmung ihres Charakters zu manipulieren: Ignorieren Sie also die Forderung nach einer harten Strafe, aber werden Sie bei zu milden Strafen hellhörig.
Mit solchen Fragen kann man Lügen vom Weglassungstyp auf die Schliche kommen. "Gibt es noch irgendetwas Wichtiges zu Ihrer Beziehung mit dieser Person, das wir bisher nicht besprochen haben?" oder "Gibt es noch irgendetwas, was ich wissen sollte und worüber wir bisher nicht gesprochen haben?"
Es fällt auf, dass viele der bekanntesten Lügen von Männern stammen: Von Walter Ulbricht, der keine Mauer bauen wollte, über Helmut Kohl, der verneinte irgendetwas über Millionenspenden an die CDU zu wissen, bis hin zu Bill Clinton, der seine sexuelle Beziehung zu Monica Lewinsky leugnete. Wer lügt denn nun häufiger: Männer oder Frauen?
Das hängt davon ab, ob die Entscheidung zu Lügen von Einzelnen oder gemeinsam in Gruppen getroffen wird. Bei einzelnen Individuen zeigen mehrere Studien, dass Männer eine gewisse Tendenz haben, ein klein wenig häufiger zu lügen als Frauen. Aber diese Effekte sind so gering ausgeprägt, dass sie genauso gut nur statistische Artefakte sein könnten. Ganz anders sieht es hingegen bei Gruppen aus.
Was ist bei Gruppen anders?
Viele wichtige Entscheidungen in der Politik und der Wirtschaft werden heute von Gruppen getroffen. Wir konnten in einem Experiment erstmals nachweisen, dass es deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen in puncto Ehrlichkeit gibt, wenn sie sich in Gruppen zusammentun.
Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin
Laut den CIA-Agenten Philip Houston, Michael Floyd und Susan Carnicero - Autoren des Buches "Erkenne den Lügner" - gibt es einige körperliche Signale, die helfen, eine Lüge zu enttarnen. Eine häufige Diskrepanz zwischen verbalem und nichtverbalem Verhalten, auf die Sie achten sollten, besteht darin, dass Ihr Gesprächspartner bestätigend nickt, während er gleichzeitig "Nein" sagt, oder umgekehrt: Er sagt "Ja" und schüttelt dabei den Kopf.
Wenn sich jemand die Hand vor den Mund hält, während er eine Frage beantwortet, hat das etwas zu bedeuten. Außerdem neigen wir alle von Natur aus dazu, uns vor der Reaktion eines Menschen abzuschirmen, den wir belügen. Wenn jemand bei der Antwort auf Ihre Frage also seine Augen abschirmt, verrät er damit auf unterbewusster Ebene womöglich, dass er Ihre Reaktion auf die faustdicke Lüge, die er Ihnen gerade erzählt, nicht mitansehen kann.
Wenn jemand sich vor seiner Antwort auf eine Frage räuspert oder deutlich spürbar schluckt, liegt hier womöglich ein Problem vor. Tut er das erst nach seiner Antwort, so brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen.
Achten Sie auf alles, was Ihr Gegenüber als Reaktion auf Ihre Frage mit seinem Gesicht oder Kopf anstellt. Vielleicht beißt oder leckt er sich die Lippen oder er zieht an seinen Lippen oder Ohren. Oder die betreffende Person ringt die Hände oder reibt sie sich.
Wenn wir nervös sind, zeigt unser Körper das, beispielsweise durch sogenannte "Ankerpunkt"-Bewegungen. Die Ankerpunkte eines Menschen sind jene Körperteile, die ihn an einem bestimmten Punkt oder in einer bestimmten Position verankern. Wenn er steht, sind die Füße seine primären Ankerpunkte. Wer von einem Fuß auf den anderen tritt, gibt so seiner Anspannung ein Ventil. Wenn jemand auf einem Stuhl sitzt, sind die primären Ankerpunkte sein Gesäß, sein Rücken und seine Füße. Rutscht er im Stuhl hin und her oder wippt vor und zurück?
Manche Menschen versuchen ihre Nervosität auch durch Gesten zu vertreiben: Sie streichen oder zupfen an sich selber oder an irgendwelchen Gegenständen in ihrer unmittelbaren Umgebung herum.
Dass jemand schwitzt, ist unerheblich, aber wenn er sich bei seiner Antwort den Schweiß mit einem Taschentuch oder mit der Hand von der Stirn wischt, ist das ein Alarmsignal.
Manchmal räumt jemand, der eine Lüge erzählt, auch plötzlich sein näheres Umfeld auf: Man stellt ihm eine Frage und plötzlich muss das Telefon zurechtgerückt werden, das Glas Wasser steht zu nah oder der Bleistift liegt nicht am richtigen Ort.
Wie lief Ihr Experiment ab?
Wir haben mehr als 300 Studenten der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Regensburg dazu aufgefordert, um Geld zu würfeln. Jeder Teilnehmer erhielt genauso viele Euros ausbezahlt, wie Augenzahlen genannt wurden. Um die Kosten zu begrenzen, war aber jedem klar, dass es bei der Augenzahl 6 null Euro gibt. Da nur die Probanden selbst beobachten konnten, was für eine Zahl sie würfeln, musste das Ergebnis, das sie auf einem Zettel notieren sollten, nicht notwendigerweise mit dem Würfelergebnis übereinstimmen.
Diese Antworten weisen auf eine Lüge hin
Wer beschuldigt wird, etwas bestimmtes getan zu haben, wird sich in einem besseren Licht dastehen lassen. Auf die Frage: "Haben Sie das Geld gestohlen?" antwortet der Lügner nicht mit "nein", sondern mit: "Ich arbeite schon seit 20 Jahren in diesem Unternehmen und stehe kurz vor der Pensionierung. Wieso sollte ich jetzt auf die Idee kommen und so etwas tun?"
Wer etwas nicht getan hat, sagt: Nein, das war ich nicht. Sagt das Gegenüber dagegen: "Ich habe doch gar nichts gemacht" oder "So etwas würde ich nie tun" sollten Sie hellhörig werden.
Wenn jemand Ihre Frage nach einem Fehlverhalten verneint, dieses "Nein" aber in eine weitschweifige Antwort kleidet, sollten Sie hellhörig werden. Wenn der Prozentsatz der Antwort, der sich auf die Verneinung bezieht, relativ klein ist, so ist das ein ausgesprochen schlechtes Zeichen. So etwas können Sie getrost als Lügenindiz werten.
Dahinter steckt ein ganz ähnlicher psychologischer Mechanismus wie hinter der Wiederholung einer Frage: Ihr Gegenüber möchte peinliches Schweigen vermeiden und Zeit gewinnen, um sich eine Antwort zu überlegen. Typische Floskeln, mit denen man die Antwort auf eine Frage umgeht, sind zum Beispiel: "Das ist eine gute Frage" oder "Ich bin froh, dass Sie diese Frage gestellt haben."
Wer eine Frage wiederholt, will Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Durch diese Wiederholung kann man zwar nur zwei bis drei Sekunden herausschinden. Aber wenn jemand zehnmal so schnell denkt, wie er spricht, dann hat er de facto 20 bis 30 Sekunden gewonnen, in denen er sich hoffentlich eine gute Antwort zurechtlegen kann. Aber Vorsicht: Es gibt durchaus legitime Gründe dafür, eine Frage zu wiederholen – vielleicht hat Ihr Gesprächspartner sie nicht gehört oder möchte sich vergewissern, ob er Sie richtig verstanden hat. Und manchmal ist das auch einfach nur eine Angewohnheit.
Wenn jemand sich durch die Fakten einer Situation in die Enge getrieben fühlt, empfindet er das normalerweise als ziemlich belastend. Oft sieht so jemand sich dann gezwungen, zum Angriff überzugehen. Vielleicht versucht er Ihre Glaubwürdigkeit oder Kompetenz anzuzweifeln, und zwar normalerweise mit Fragen wie: "Warum vergeuden Sie meine Zeit, indem Sie mir das erzählen?" Kinder versuchen es bei Auseinandersetzungen mit ihren Eltern sehr oft mit dieser Strategie. Fragen wie "Warum hackst du immer auf mir herum?" oder "Warum hast du kein Vertrauen zu mir?" fallen zum Beispiel in diese Kategorie.
Wenn jemand als Reaktion auf eine Frage plötzlich übertrieben höflich wird, ist das ein Alarmsignal. Vielleicht sagt diese Person dann bei einer bestimmten Antwort: "Ja, mein Herr" oder baut ein Kompliment in ihre Antwort ein: "Das ist aber eine schöne Krawatte, die Sie da anhaben." Welche Strategie dahintersteckt, liegt auf der Hand: Je mehr Sympathien wir für unseren Gesprächspartner haben, umso eher sind wir geneigt, ihm zu glauben.
Wer etwas zu verbergen hat, befindet sich in einem Dilemma, aus dem er sich befreien muss: Die Tatsachen sprechen gegen ihn, also wird er vielleicht versuchen, die Bedeutung der Sache, um die es geht, herunterzuspielen: "Wieso ist denn das so wichtig?" oder "Warum regen sich die Leute so sehr darüber auf?" Unter Umständen wird er sogar versuchen, die Sache ins Lächerliche zu ziehen.
Manche Menschen, die ein schlechtes Gewissen haben, greifen ihren Gesprächspartner nicht direkt an, sondern erheben Einwände gegen seine Vorgehensweise. In diese Kategorie fallen Sätze wie: "Warum fragen Sie mich danach?" oder "Wie lange wird diese Befragung dauern?"
Manchmal weisen Menschen, die etwas zu verbergen haben, darauf hin, dass sie die betreffende Frage früher schon einmal beantwortet haben: "In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf meine frühere Stellungnahme verweisen, in der ich gesagt habe …" oder "Wie ich schon beim letzten Mal erklärt habe …" oder "Wie wir in unserem Geschäftsbericht bereits mehrfach erwähnt haben …"
Wenn jemand Gott ins Spiel bringt, ist das eine extreme Form von Verschleierungstaktik. Also lassen Sie sich von Redensarten wie "Ich schwöre bei Gott" nicht beeindrucken, sondern erkennen Sie sie als das, was sie höchstwahrscheinlich sind: den Versuch Ihres Gesprächspartners, eine Lüge in ihrem besten Sonntagsanzug herauszuputzen, ehe er sie Ihnen auftischt.
Es gibt zwei verschiedene Arten von Einschränkungen, die auf eine Lüge hindeuten: verschleiernde Einschränkungen und der Glaubwürdigkeit dienende Einschränkungen. Mithilfe verschleiernder Einschränkungen kann jemand eine Frage ehrlich beantworten, ohne die heikle Information preisgeben zu müssen. Beispiele für solche Floskeln sind: "im Grunde genommen", "größtenteils", "im Prinzip", "wahrscheinlich", "eigentlich", "so etwas Ähnliches wie" oder "meistens". Mit der Glaubwürdigkeit dienenden Einschränkungen will Ihr Gesprächspartner glaubwürdig erscheinen, zum Beispiel, indem er Floskeln wie "offen gesagt", "um ganz ehrlich zu sein" oder "um die Wahrheit zu sagen" nutzt.
Die Probanden konnten also schamlos lügen, um mehr Geld zu erhalten.
Ja, denn wir können keinem einzigen Teilnehmer wirklich nachweisen, ob er gelogen oder die Wahrheit gesagt hat. Allerdings besagen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, dass wenn jeder ehrlich antwortet, die Probanden im Schnitt 2,5 Euro ausbezahlt bekommen. In der ersten Phase des Experiments haben wir die Teilnehmer einzeln würfeln lassen. Die Männer haben im Schnitt ein Würfelergebnis von 3,58 berichtet und die Frauen ein Ergebnis von 3,40. Das bestätigt, was schon in früheren Studien gezeigt werden konnte: Männer haben eine leichte Tendenz, höhere Werte anzugeben, also stärker zu lügen als Frauen. Aber die Geschlechterunterschiede sind nicht signifikant.