Ob Antidepressiva, Ritalin oder Betablocker: Rund drei Millionen Deutsche nehmen rezeptpflichtige Medikamente, um im Job leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen – zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Krankenkasse DAK, die am Dienstag vorgestellt wird.
Damit ist der Anteil der Deutschen, die sich im Job dopen, in den letzten Jahren stark gestiegen. Als die Krankenkasse sich vor sechs Jahren schon einmal mit dieser Frage beschäftigte, lag der Anteil der dopenden Deutschen noch bei 4,7 Prozent. Im aktuellen Report sind es 6,7 Prozent.
Beliebte Stimmungs-Aufheller
MPH kam in den 1950er-Jahren auf den Markt und war zunächst rezeptfrei als Mittel gegen chronische Erschöpfungszustände, Antriebstörungen und Depressionen erhältlich. Seit 1971 fällt es unter das Betäubungsmittelgesetz und darf nur noch bei klarer Indikation vom Arzt verschieben werden.
Wofür wird MPH vom Arzt verschrieben?
Bei Kinder und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
Welche Wirkungen hat MPH auf gesunde Menschen?
Steigerung der Wachheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit und Verkürzung der Reaktionszeiten; keine messbare Wirkung auf Stimmung und Gedächtnis; kein Verbesserungseffekt bei längerfristiger Einnahme.
Mögliche Nebenwirkungen:
Von harmlosen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Nervosität, Schlaflosigkeit bis hin zu Herzrhythmusstörungen, Stimmungsschwankungen oder Persönlichkeitsveränderungen.
Modafinil wurde in den 1980er Jahren in Frankreich erfunden und wird seit 1998 in Deutschland unter dem Namen Provigil oder Vigil, das auf Lateinisch „wach“ bedeutet, verkauft. Dem Namen entsprechend wurde dieses Mittel bei verschiedenen Erkrankungen eingesetzt, die mit einer starken Tagesmüdigkeit einhergehen.
Wofür wird Modafinil vom Arzt verschrieben?
Seit 2011 ist Modafinil nur noch bei Narkolepsie zugelassen. Für alle anderen Störungen, bei denen Modafinil davor eingesetzt wurde, konnte die Wirkung nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Welche Wirkungen hat Modafinil auf gesunde Menschen?
Erhöhung der Wachheit, kürzere Reaktionszeit, Wirkung auf Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit ist unklar, keinen Einfluss auf Stimmung.
Mögliche Nebenwirkungen:
Unter anderem Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Schlaflosigkeit, Herzrasen, Leberfunktionsstörungen, Verdauungsstörungen.
Die ersten Antidepressiva wurden in den 50er Jahren zugelassen. Die Gruppe der Antidepressiva umfasst verschiedene Substanzklassen. Am häufigsten werden Präparate aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer(SSRI) verwendet.
Wofür werden Antidepressiva vom Arzt verschrieben?
Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Panikstörungen, Essstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Schmerzsyndrome.
Welche Wirkungen haben Antidepressiva auf gesunde Menschen?
Wirkt nicht besser als ein Placebo; die erhofften Effekte konnten bei Gesunden nicht festgestellt werden.
Mögliche Nebenwirkungen:
Häufiger sind Benommenheit, Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit; Nervosität, allergische Reaktionen; selten kann es auch zu schweren Reaktionen an Lunge, Nieren oder Leber kommen.
Betablocker kamen in den 1960er Jahren auf den Markt. Sie gehören zu den am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln, da ihr Anwendungsgebiet sehr breit ist.
Wofür werden Betablocker vom Arzt verschrieben?
Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Angstzustände, Migräneprophylaxe sowie zur symtpomatischen Behandlung einer Schilddrüsenüberfunktion.
Welche Wirkungen haben Betablocker auf gesunde Menschen?
Reduzierung von Angstsymptome wie Herzklopfen oder Zittern, Aufregung nimmt ab.
Mögliche Nebenwirkungen:
Gelegentlich kommt es zu Müdigkeit, depressiven Verstimmungen, vorübergehenden Magen-Darm-Beschwerden, aber auch allergische Hautreaktionen sind möglich. Bei Menschen mit Asthma kann es zu Atemnot kommen.
Die Antidementiva lassen sich in verschiedene Wirkstoffgruppen unterteilen. Häufig eingesetzt werden Acetylcholinesterasehemmer, die für leichte bis mittelschwere Demenz zugelassen sind und Memantin, das bei mittelschwerer bis schwerer Demenz eingesetzt wird.
Wofür werden Antidementiva vom Arzt verschrieben?
Erkrankungen, die zu einem Gedächtnisabbau im Alter führen, wichtigster Vertreter ist die Alzheimer-Demenz.
Welche Wirkungen haben Antidementiva auf gesunde Menschen?
Studien mit Gesunden zeigen widersprüchliche Ergebnisse, manche weisen gar auf eine leichte Verschlechterung der Gedächtnisleistung hin.
Mögliche Nebenwirkungen:
Sehr häufig sind Verdauungsstörungen und Kopfschmerzen; gelegentlich kommt es zu Magen- oder Darmblutung sowie Krampfanfällen.
Die Dunkelziffer dürfte laut den Autoren noch deutlich höher ausfallen. Demnach haben bis zu 12 Prozent der berufstätigen Deutschen schon einmal verschreibungspflichtige Medikamente für eine bessere Leistung im Job eingenommen. Das sind rund fünf Millionen Bundesbürger.
Für die Studie wurden die Arzneimitteldaten von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten analysiert und zusätzlich mehr als 5000 Berufstätige im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt.
Wer Angst um seinen Job hat, greift eher zur Pille
Doch warum benötigen immer mehr Deutsche die Stimmungs-Aufheller am Arbeitsplatz? Liegt es am Leistungsdiktat der modernen Gesellschaft? An zu viel Stress? Den eigenen Erwartungen? Oder doch an den vielen Unsicherheiten, hervorgerufen durch mehr Flexibilität, Wirtschaftskrise und Globalisierung?
Laut DAK-Studie sind zu viel Stress, Leistungsdruck und Überbelastung die häufigsten Gründe für Doping. So gaben vier von zehn der betroffenen Arbeitnehmer an, die Medikamente vor einer wichtigen Präsentation oder Verhandlung eingenommen zu haben. Aber auch die Unsicherheit durch Massenentlassungen, Pleiten und heikler Auftragslage ist ein häufig genannter Grund für Doping. Wer Angst um seinen Job hat, greift eher zur Pille.
Das gilt vor allem für Männer. Die männlichen Betroffenen erhoffen durch die eingenommen Mittel ihre beruflichen Ziele besser zu erreichen, aber auch noch genügend Energie für Privates zu haben. Frauen hingegen dopen, damit Ihnen die Arbeit leichter fällt oder um emotional gefestigter zu sein.
Jede fünfte Frau gab außerdem viel Kundenkontakt als Grund an. „Frauen nehmen eher bestimmte Mittel gegen Depressionen, um die Stimmung zu verbessern und Ängste und Nervosität abzubauen“, sagt Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheitssparte. „Bei Männern sind es meist anregende Mittel. Sie wollen wach bleiben, stark und leistungsfähig sein.“
Niedrig Qualifizierte greifen eher zur Pille
Das Klischee des dopenden Top-Managers bestätigt die Studie hingegen nicht. Der typische Konsument von Anti-Stress-Mitteln ist weder der Börsenhändler, der täglich mit Millionen jongliert, oder der Chirurg der stundenlang im OP steht, noch der Unternehmenslenker mit Verantwortung für tausende Mitarbeiter.
Acht Tipps zum Stressabbau
Versuchen Sie, die Situation, die Ihnen Frust bereitet, ganz bewusst von oben beziehungsweise von außen zu betrachten. So bauen Sie eine innere Distanz zum aktuellen Geschehen auf. Zum Beispiel: „Der Stau, in dem ich gerade stehe, ist eine Tatsache, die ich nicht ändern kann. Wenn ich mich aufrege, verschlimmere ich die Situation nur.“
Quelle: Deutsche Herzstiftung
Sport zählt laut der Deutschen Herzstiftung zu den besten Möglichkeiten, um Stress loszuwerden. Bereits eine halbe Stunde Bewegung, sei es Walking, Schwimmen oder Tennis, kann das Stresslevel deutlich senken.
Zwar lassen sich die Ursachen von Stress nicht immer beheben, etwa bei einem schwierigen Chef. Bei Stress in der Beziehung können gezielte Gespräche helfen.
Hier gilt: Nicht schon aufgebracht ins Gespräch gehen, sondern lieber ein paar Tage warten und alle Argumente und Gegenargumente auch sacken lassen.
Yoga, autogenes Training und Co. werden immer wieder angepriesen – doch nicht jedem sind sie eine Hilfe. Während manche Menschen alleine und in völliger Stille entspannen, bevorzugen andere etwa die Anleitung in einer Gruppe.
Die gewählte Technik sollte unbedingt regelmäßig geübt werden, damit sie in akuten Stress-Situationen dann auch abrufbar ist.
Unter dem „Gegenentwurf“ versteht man die ständige Pflege persönlicher Interessen, seien es Chorsingen, Fußballspielen oder Briefmarkensammeln. Also Aktivitäten, die uns anregen, ein Kontrastprogramm zum (beruflichen) Alltag bieten, uns positiv herausfordern – und so vom negativen Stress ablenken.
Fernsehen mag zwar entspannend erscheinen, doch man ist dabei passiv und erreicht keine nachhaltige Stress-Reduktion. Wertvolle Zeit, in der man den Ärger des Tages verarbeiten und abschütteln kann, geht so verloren.
Es kann helfen, sich einen Plan zu machen, an welchen Tagen man den Fernseher auf jeden Fall auslassen und stattdessen etwa ein altes Hobby wieder aufleben lassen oder ein Treffen mit Freunden verabreden kann.
Gerade wer viel zu tun und das Gefühlt hat, dass der Tag nie genug Stunden haben kann, achtet oft nicht ausreichend auf seine Ernährungsweise. Es wird dann oft das Falsche, zu hastig und insgesamt zu viel gegessen und häufig auch zu viel Alkohol getrunken.
Zusammen mit Bewegungsmangel kann das zu Übergewicht führen, was Unzufriedenheit und Frustgefühle noch verstärken kann. Man sollte sich am Besten ein Repertoire an schnellen und gesunden Mahlzeiten zulegen, etwa aus der Mittelmeerküche, die sich auch gut vorbereiten lassen.
Arzneien, die Beruhigung versprechen gibt es zwar – sie sollten aber stets nur unter Kontrolle eines Arztes zum Einsatz kommen, und nicht einfach auf eigene Faust im Internet bestellt werden.
Als Beispiel nennt die Deutsche Herzstiftung Benzodiazepine, die für langfristige Stressbewältigung ungeeignet sind, weil sie schon nach kurzer Zeit abhängig machen und zudem erhebliche Nebenwirkungen (Konzentrationsschwierigkeiten, Benommenheit) haben können.
Die Auswertung kommt zu dem Ergebnis, dass eher niedrig Qualifizierte zur Pille greifen. So haben 8,5 Prozent der Beschäftigten, die eine eher einfache Tätigkeit ausführen, schon Medikamente zur Leistungssteigerung oder als Stimmungs-Aufheller genommen.
Unter den besser qualifizierten Beschäftigten sind es 6,7 Prozent und unter den Hochqualifizierten nur noch etwas mehr als fünf Prozent. „Das Klischee der dopenden Top-Manager ist damit vom Tisch“, sagt Rebscher.
Der Dealer aus dem Internet
Doch woher bekommen die Deutschen ihre Pillen und Pulver?
Die Bezugsquellen für die Medikamente sind genauso zahlreich wie die Beweggründe für die Einnahme. Jeder zweite bekommt die Pillen sogar auf Rezept vom Arzt. Jeder siebte beschafft sich die Mittel von Freunden, Bekannten oder aus der Familie. Jeder zwölfte hingegen bestellt sie rezeptfrei im Internet.
Klaus Lieb ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Er warnt vor dem Kauf im Netz. „Der Bezug aus dem World Wide Web ist riskant. Dort gibt es viele Medikamentenfälschungen, die ohne Rezept abgegeben werden und der Gesundheit erheblich schaden können“, sagt er.
Stattdessen sollten Betroffene lieber an der eigenen Erwartungshaltung arbeiten. So sind häufig die eigenen Ansprüche der Auslöser für zu viel Stress im Job. Und gerade das lässt sich selten mit einer Pille herunterschlucken.
Wer seinen Fokus hingegen auf eine bessere Organisation, ausreichend Ruhephasen und einen gesunden Lebenswandel legt, kommt auch ohne Chemie mit Stressphasen im Job klar.