Power Point Power Point of no return

Die Ausgangslage: Das weltweit meistverkaufte Präsentationsprogramm wird 20. Das Problem: PowerPoint nervt weil es Intelligenz tötet, langweilt, Zeit raubt. Die Lösung: Nicht präsentieren! Reden!

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Was PowerPoint und Popsongs gemeinsam haben? Mit beiden kann man eine Menge Spaß haben – vorausgesetzt sie dienen als Vorlage für einen Karaoke-Abend. „PowerPoint-Karaoke“ heißt das im Fall der Präsentationssoftware und bereichert das Nachtleben in deutschen Großstädten. Dabei hangelt sich der Kandidat fünf Minuten lang von Bulletpoint zu Bulletpoint und von Folie zu Folie einer Präsentation, die er noch nie zuvor gesehen hat. Themen wie „Strategische und operative Steuerung durch Balanced-Scorecard-basierte Führungsformationssysteme“ oder „Erfolgsfaktor Dienstleistung für Dentallabore“ garantieren beste Unterhaltung. Aber nur im Spiel. In Konferenzräumen, Hörsälen oder Klassenzimmern bedeutet das Schaumschlagen und Phrasendreschen mithilfe von PowerPoint für die Zuhörer oft stundenlange Qualen. Komplexe Inhalte werden auf die immer gleiche Darstellung reduziert, Gedanken in Einbahnstraßen gelenkt und das Auge mit skurrilen Überblendeffekten und unüberschaubaren Datenbergen gepeinigt. Und das nicht zu knapp: Seit Microsoft das Präsentationsprogramm nach dem Erwerb 1987 mit seinem Office-Paket ausliefert, verfügen rund 400 Millionen Menschen über eine Version auf ihrem Rechner. Schätzungen zufolge werden damit täglich 30 Millionen Präsentationen weltweit zusammengeschustert – allen voran von Unternehmensberatern, PR-Agenten und Werbern. Nun aber – zum 20. Geburtstag – mehren sich die kritischen Stimmen. Zu Recht: Der inflationäre Gebrauch von PowerPoint war nie im Sinne seiner Erfinder. Die lineare Struktur des Programms bremst nicht nur die Kreativität des Nutzers, der seine Gedanken in Folien und Gliederungspunkte zwingt. Sie schläfert auch die Zuhörer ein. Besonders, wenn der Vortragende aus Angst vor der freien Rede seine überfrachteten Folien vorliest (siehe Kasten Seite 204).

Zu den bissigsten PowerPoint-Verächtern gehört der ehemalige Informatik- und Grafikdesignprofessor Edward Tufte von der amerikanischen Elite-Universität Yale. In Kampfschriften wie „PowerPoint ist böse“ („PowerPoint is evil“) wütet er, das Produkt sei darauf angelegt, beim Publikum jede Form von Widerspruch zu ersticken und es so zu manipulieren. Mit gefährlichen Folgen. Gelegentlich sogar tödlichen. So zitierte die „New York Times“ einen Nasa-Bericht, demzufolge PowerPoint mehr oder weniger Mitschuld am Absturz der Raumfähre Columbia haben soll. Ingenieure hatten im Kontrollzentrum die Gefahren durch Einschläge an den Tragflächen der Columbia präsentiert – auf völlig unübersichtlichen PowerPoint-Folien. Ergo merkte die Flugleitung nicht, „dass es um eine lebensbedrohliche Situation ging“, so der nüchterne Befund später.

Die einlullende Wirkung von PowerPoint nutzte wiederum der damalige US-Außenminister Colin Powell laut „New York Times“ bewusst bei seiner Präsentation vor der UN-Vollversammlung, als er mit angeblichen Beweisen von Massenvernichtungswaffen im Irak Stimmung für die US-Intervention machte. Dabei wurde PowerPoint ursprünglich für rein kommerzielle Zwecke konzipiert. Robert Gaskins und Dennis Austin aus San Francisco entwickelten ihr Präsentationsprogramm für eine kleine Gruppe von Vertrieblern, damit diese ihre Produkte und Dienstleistungen besser vorstellen konnten. Mit dem Verkauf ihrer Kreation an Microsoft für 14 Millionen Dollar wurde das Programm dann für jedermann zugänglich. Von den Folgen distanzieren sich die Erfinder heute ausdrücklich: Weltweit mutieren Vorträge aller Art zu Verkaufsveranstaltungen. Die Web-Seite Powerpointsermons.com etwa liefert Pastoren eine Predigt für jeden Tag im Kirchenkalender. Und selbst bei Buchbesprechungen in der fünften Schulklasse wird das Programm schon eingesetzt. Da hat es jedoch „nichts verloren“, betont Gaskins. Kein Thema, das sich nicht in eine vorgefertigte Form gießen ließe, suggeriert PowerPoint. Dazu bietet die Software heute zahlreiche Vorlagen zur Auswahl an, etwa für „Schlechte Nachrichten verkünden“, „Das Team motivieren“ oder „Strategieempfehlung“. Einfach den „Titel der Präsentation durch Klicken hinzufügen“, dann Folie für Folie den Anweisungen wie „Nennen Sie Ihre Vision und langfristigen Ziele“ folgen. Fertig. Auch unausgegorene Ideen oder zweifelhafte Rechnungen werden so mittels PowerPoint in schmucker Verpackung versteckt. Motto: Jeder noch so dünne Inhalt lässt sich mit ein paar Effekten und Folien-Blingbling aufpeppen. Die rigorose Struktur des Programms gaukelt dem Nutzer vor, seine Konzentration auf das Wesentliche zu lenken. Tatsächlich verführt sie bloß dazu, komplexe Gegenstände auf den immer gleichen Dreiklang einzudampfen: Ist-Zustand, Soll-Zustand, erforderliche Maßnahmen. Für Kausalitäten oder Widersprüche ist da kein Platz. Kreativität, die erst beim sprichwörtlichen Um-die-Ecke-Denken entsteht, wird gnadenlos plattgemacht. PowerPoint lässt nur eine Marschroute zu: stur geradeaus, Schritt für Schritt.

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