Redenschreiberin von Gagern im Interview Verquaster Wortlaut

Die Redenschreiberin Minita von Gagern über inhaltsleere Manageransprachen und Todsünden deutscher Redner.

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Die Redenschreiberin Minita von Gagern

WirtschaftsWoche: Frau von Gagern, welche Geschichten braucht ein Redner, um zu überzeugen?

Von Gagern: In erster Linie braucht er Botschaften. Die fehlen oft. Serviert bekommen wir stattdessen Wissen, Fakten – gedankenlos aneinandergereihte Langeweile. Hier lohnt der Blick über den Teich: Während der Amerikaner gerne seine Punkte an einer persönlichen Erfahrung festmacht, zeigen wir akademische Kälte, substantivieren unsere Sprache und durchsetzen sie mit technokratischen Begriffen.

Ein paar persönliche Noten machen doch noch keine mitreißende Rede.

Sicher. Aber es wäre ein Anfang. Ich war einmal dabei als ein Oberbürgermeister ein Behindertenheim eröffnete und seine Zuhörer 30 Minuten mit Sätzen über den Schutz der Schwachen und die Zweckmäßigkeit des Gebäudes langweilte. Ich wusste von dem Mann, dass er selbst ein behindertes Kind hat. Nach der Rede ging ich zu ihm und fragte, warum er das nicht erwähnt habe. Seine Antwort: Das geht niemanden etwas an. Irrtum. Wer so glaubhaft macht, dass er weiß, wovon er spricht, kann 100-mal stärker überzeugen.

Es kostet allerdings Überwindung, über derlei Privates zu sprechen...

...was häufig mit mangelndem Mut und unserer Erziehung einhergeht. Wir sind trainiert, nicht über uns zu sprechen, ein Brief darf keinesfalls mit „ich“ beginnen. Hier fehlt uns die Unterscheidungskraft zwischen eitler Selbstbespiegelung und zielfördernder Kommunikation von Mensch zu Mensch.

Wer sind denn die größeren Vortragssünder: Politiker oder Manager?

In der Wirtschaft sind sie viel ungeübter, vernünftige Reden zu halten. Allzu oft krabbelt das geschundene Publikum ratlos unter einer Lawine von Fachbegriffen und verphraster Gedankenlosigkeit hervor. Der Lernhort dafür scheint schon die Uni zu sein. Wir konnten das erst kürzlich an Studenten beobachten: Die Erstsemestler haben ganz unbefangen, verständlich gesprochen. Studierende aus höheren Semestern hingegen hatten schon den Jargon der Allgemeinplätze und des abstrakten Substantivs.

Plädieren Sie jetzt für mehr Storytelling in der wissenschaftlichen Präsentation?

Naja, in der Wissenschaft hat diese Sprache ja ihre Berechtigung, Wissenschaft braucht Abstraktion. Kommunikation aber braucht Konkretes, Greifbares, Beispielhaftes, Bildhaftes. Wer auf der Uni ein Höchstmaß an Abstraktion gelernt hat, legt das aber nur schwer wieder ab.

Wie baut man dann eine gute Rede auf?

Klassischerweise erfüllt eine gute Rede sieben Kriterien: Sie ist erstens interessant und informativ; zweitens klar und verständlich – das heißt, weg von den Phrasen. Außerdem ist sie persönlich und publikumsorientiert sowie viertens glaubwürdig und wahrhaftig. Es gibt schon zu viele „Katastrophen“, zu viele „Gipfeltreffen“, zu viel „Einmaliges“ und „Alternativenloses“. Fünftens: Sie ist bildhaft. Zudem lebhaft und abwechslungsreich – nicht ein Faktum nach dem anderen. Und siebtens ist sie humorvoll. Den letzten Punkt zu missachten ist die Todsünde vieler deutscher Redner.

Wer in Deutschland kann es denn besser?

Der Gerechtigkeit geschuldet: viele. Siegfried Lenz ist ein hervorragender Erzähler und Redner; Günter Grass ebenso. Und dann vor allem No Names, die nicht auf Wiederwahl oder das Presse-Echo schielen, sondern wirklich ein Anliegen vorantreiben wollen.

Und was ist mit Angela Merkel?

Zu unkonkret, hat aber viel dazugelernt.

Und Ihre Lieblingsrede?

Die Abschiedsrede des Sokrates.

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