Die Küche riecht nach verbranntem Toast. Sehr verbranntem Toast. Schwarze Duftnoten wabern in die Dunstabzugshaube. Die erste Begegnung ist ernüchternd. Statt des köstlichen Aromas eines frisch aufgebrühten Kaffees entwickelt sich ein kräftiger Qualm, der nichts Feines, nichts Aromatisches enthält. „Das ist für die wenigsten Menschen angenehm“, sagt Oliver Suhr. Der Frankfurter Controller hat sich inzwischen angefreundet mit diesem speziellen Duft, der bei ihm etwa ein Mal die Woche durch die Wohnung zieht. Vor knapp drei Jahren startete er den ersten Versuch. Mit einer Bratpfanne aus Gusseisen und 200 Gramm Kaffeebohnen. Den Gasherd auf halber Flamme und allen Mut zusammengenommen, der den leidenschaftlichen Autodidakten auszeichnet. Das Experiment habe „Optimierungspotenzial“ erkennen lassen, protokolliert Suhr am 22. Mai 2009 um 21.13 Uhr im Forum kaffee-netz.de. „Der erste Versuch war misslungen“, sagt Suhr heute. Aufgegeben hat er nicht: „Warum backen Menschen selber Kuchen, wenn es doch Bäcker gibt? Es macht Spaß.“
Deutschland, die Kaffeenation
406.500 Tonnen gerösteten Kaffee tranken die Deutschen 2010 in Cafés und Restaurants, auf Bahnsteigen, im Auto oder daheim. 30.000 Tonnen wurden als Kaffeepads aufgebrüht, 12.500 Tonnen als löslicher Kaffee verrührt und 5.100 Tonnen als Kaffeekapseln in Maschinen mit Wasser in die Tasse gedrückt. Wenn Suhr heute seinen Röster der Marke Gene anschmeißt, dann sind es rund 250 Gramm, die er in Form mattgrüner Bohnen verarbeitet. Der Bedarf für etwa eine Woche. Selbstverständlich könnte er jeden Tag den schwarzen Automat, in dessen Mitte eine Glasröhre die Heiztrommel bildet, anschmeißen. Aber Suhr käme nie auf die Idee, Bohnen auf Vorrat zu rösten. „Beim Kaffee zählt jeder Tag.“
Feinde des Geschmacks
Sauerstoff ist der Feind des Aromas. Allein den Rohbohnen, die in luftdurchlässigen Jutesäcken nach Deutschland gelangen, kann das allgegenwärtige Gas nichts anhaben. Claus Fricke ist Importeur für Rohbohnen und versendet sie auch in kleinen Mengen an private Röster in Deutschland, in den Niederlanden oder sogar in den USA. „Als Rohbohne behält der Kaffee sein Aroma spielend über ein Jahr. Zu Kaffee wird die Frucht des Kaffeebaums erst, wenn sie geröstet wird. Dann aber geht es rasch bergab mit dem Geschmack“, sagt Fricke. 30 Prozent seiner etwa 800 Aromastoffe verliert gerösteter Kaffee in den ersten zehn Sekunden, nachdem er gemahlen wird. Die verbleibenden 70 Prozent sollten rasch verarbeitet werden. Denn alles, was gut in der Küche oder im Geschäft riecht, erreicht als Geschmack nicht mehr die Tasse und damit nicht mehr die Zunge. Innerhalb einer Stunde verliert fein gemahlenes Espressomehl weitere Aromen. Und 24 Stunden nach der Mahlung, ist es kaum noch möglich, mit einem klassischen Siebträger per Druck die ätherischen Öle so aus dem Mehl zu extrahieren, dass eine feste, stabile Crema entsteht, die ein Zeichen eines perfekten Espressos ist.
Hohe Ansprüche
Für Simon Natzel begann die Reise in die Welt des Selbströstens mit der Leidenschaft für Espresso. Zunächst restaurierte der Jurist aus Bochum eine gebrauchte Gastromaschine für Espresso. Angefixt von der neuen Qualität der Kaffeezubereitung und den Diskussionen um die richtigen Parameter des Brühens im Internet-Portal kaffee-netz.de stellte Natzel für sich fest: „Die Ansprüche an Kaffee steigen.“ So sehr, dass er bald immer größere Schwierigkeiten sah, gute Bohnen zu bekommen. Mit gut meint Natzel in erster Linie frisch. Älter als eine Woche sollen Bohnen für ihn nicht sein.
Die Kunst des Röstens
Wer röstet, muss sich mit Temperaturen, Zeiten und Graden der Dunkelheit der Bohnen beschäftigen. Darüber hinaus fachsimpeln die Hobbyisten bei Röstertreffen oder im Internet über Crack und Häutchen. Ersteres ist der englische Fachbegriff für den Moment, in dem die Bohne vernehmlich platzt. Ähnlich wie Sesamsaat oder Pinienkerne in der Pfanne, darf der grüne Star keinesfalls plan in der Pfanne liegen. Sonst verbrennt er rasch von einer Seite und wird ungenießbar. Stattdessen sollen die Bohnen für gut 15 bis 20 Minuten je nach Sorte bei 180 bis 240 Grad in einer Trommel möglichst in steter Bewegung geröstet werden. Natzel kann gleichzeitig etwa 275 Gramm rösten, daraus entstehen 250 Gramm Bohnen. Die müssen nach dem sogenannten zweiten Crack binnen Minuten aus der Trommel geholt und zügig herabgekühlt werden. „Sonst verbrennen sie so, wie Nudeln beim Kochen nachziehen und weicher werden, obwohl sie bereits abgegossen sind“, sagt Fricke.
Erfahrung ist unersetzlich. Selbströster Natzel hatte für seinen Geschmack genug, nachdem er etwa 20 Röstungen hinter sich gebracht hatte. Um den Weg abzukürzen, bietet die Hamburger Kaffeeschule nun Röstkurse an. Und verrät alle Geheimnisse. „Transparenz ist ganz wichtig“, sagt Tolga Daglum von der Kaffeeschule, die zu der Kooperative Quijote Kaffee gehört. Neben der exakten Zusammensetzung der Espressomischungen erhalten Interessenten auch das Röstprotokoll, das exakt aufführt, wie die hauseigenen Mischungen mit so bizarren Namen wie „Oh, Harvey“ oder „Dantes Inferno“ produziert werden. „Früher haben die Röster ihre Rezepte und die Bohnensorten gehütet wie einen Goldschatz aus der unberechtigten Angst, dass ihnen jemand etwas nachmacht“, sagt Daglum. Dabei seien die Ergebnisse von Mensch zu Mensch bei gleichen Bohnen unterschiedlich.
Selber rösten, Steuern sparen
Transparenz fängt bei Quijote jedoch weit früher an. Müssen sich Kunden fertiger Röstungen vom Supermarkt bis zum edlen Kleinströster in der Nachbarschaft mit den Angaben zur Herkunft der Bohnen zufriedengeben, die meist spärlich bis gar nicht vorhanden sind, so sind die Namen der Bauern und Kooperativen bei Quijote aufgeführt. Auf Siegel zum fairen Handel verzichten die Hamburger. Jährliche Reisen in die Anbaugebiete, hohe Preise für die Ware und zinslose Kredite für Bauern in Notsituationen durch Ernteausfall gehören zur Philosophie des Unternehmens.
Sparen durch selber Rösten
Und trotzdem kann der Kunde sparen. Denn im Gegensatz zu allen fertig gerösteten Bohnen, Pads, Kapseln oder löslichen Kaffees entfällt in Deutschland für den Kauf von Rohware die Kaffeesteuer. Sie betrug in Deutschland bei einem Durchschnittspreis von 3,97 pro 500 Gramm immerhin 1,10 Euro. Die Mehrwertsteuer wirkt mit 0,26 Euro dagegen bescheiden. Röster Oliver Suhr kauft allerdings nicht aus Sparsamkeit den Kaffee. Nicht nur müssten die Energiekosten und die Anschaffung des Rösters gegengerechnet werden. Hinzu käme auch der Zeitaufwand, der mit der Arbeit verbunden ist.
Und wenn es gut läuft, dann trinken auch die Partner mehr. Als Geschenk für Freunde zum Geburtstag machen sich eigene Röstungen ebenfalls gut. So gut, dass es mit 250 Gramm pro Woche oft nicht getan ist. Simon Natzel arbeitet in seinem eigenen Büro und konsumiert statt Kantinenkaffee ausschließlich selbst gerösteten. Auf ein Kilo pro Woche kann der Verbrauch dann schon steigen.
Röstbiene Marke Eigenbau
Sören Prenzler aus Bevestedt bei Hamburg hatte zudem den Wunsch, die Temperatur im Inneren der Rösttrommel so genau kontrollieren zu können, wie das Profigeräte bewerkstelligen. Die kosten jedoch spielend mehrere Tausend Euro. Also konstruierte Prenzler ein eigenes Gerät, die Röstbiene. Während sich andere Do-it-yourself-Röster mit Produkten aus dem Baumarkt wie Heißluftpistolen und Dachrohren behelfen, konstruierte Prenzler ein unpoliertes Gerät, das alles bietet, was ein Profigerät benötigt: „Es gibt einfach nichts Vergleichbares auf dem Markt.“ Die Hitze kann entweder von einem herkömmlichen Campinggaskocher kommen oder von starken Heizstäben, die unter die Biene geschoben werden. Für rund 900 Euro fertigt Prenzler die Biene auf Bestellung. 450 Gramm können mit ihr in einem Röstgang verarbeitet werden. Die Bohnen fallen nach dem Rösten sofort in einen Schacht, in dem sie rasch auskühlen können.
Für Oliver Suhr wäre das Gerät gegebenenfalls der nächste Entwicklungsschritt in seiner Karriere als Hobbyröster. Begann sie vor drei Jahren mit der gusseisernen Pfanne auf dem Gasherd, so hat sie nun einen vorläufigen Höhepunkt mit einem klassischen Gerät für Heimröster gefunden. Ein professionelles Röstgerät für mehr Bohnen wäre Suhr durchaus willkommen. Dass er dabei keinem Experiment aus dem Weg geht, hat er zwischendurch bewiesen. Wie viele andere missbrauchte er eine Zeit lang eine Popcornmaschine.