Romantik in Zeiten der Digitalisierung Der Boom der Balzapps schadet dem Flirt

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"It's a match"

Was würde unsere Kulturkritikerin, die den Flirt hier so wortreich beerdigt, wohl zum Boom der elektronischen Partnerbörsen sagen oder zum Siegeszug von Tinder? Die Dating-App, die inzwischen weltweit angeblich rund 30 Millionen mutmaßlich paarungswillige Nutzer zählt – davon allein zwei Millionen in Deutschland –, zaubert via Facebook die wichtigsten Daten aufs Display: Alter, Geschlecht und vor allem Fotos.

Eine Großgalerie von Gesichtern, ein Supermenü von potenziellen Partnern. Der Suchradius: zwischen 2 und 160 Kilometern. Der Auswahlmodus: Nach links gewischt heißt „Tschüss“, nach rechts gewischt „Willkommen“.

Hurra!

„Wir haben die Angst vor Zurückweisung abgeschafft“, frohlockte Tinder-Gründer Sean Rad vor wenigen Monaten. Der Mutterkonzern Match.com, zu dem auch das US-Dating-Portal OKCupid und die deutschen Pendants Neu.de, Friendscout und Partner.de gehören, bereitet mittlerweile einen Börsengang vor.

So funkt es auch im Netz
Foto facebook-Startseite Quelle: REUTERS
Foto "Wer bin ich?"
Foto screenshot Log-in
Foto Modelleisenbahnen Quelle: dpa/dpaweb
Foto Duden Quelle: obs
Foto lachender Mann, lachende Frau Quelle: obs
Foto einer Statue der Justitia Quelle: dpa

Der Flirt freilich bleibt als Kollateralschaden auf der Strecke. Bei Tinder gibt es nur Sieger. Vorerst zumindest: Treffen sich zwei Nutzer in ihren Vorlieben, leuchtet die Frohbotschaft „It’s a match“. Die muss dann freilich noch in der analogen Wirklichkeit bestätigt werden, durch ein Treffen in der Kneipe oder gleich zu Hause, inklusive der Möglichkeit einer nachträglichen Abfuhr.

Keine Romantik, nur zielführende Suche

Nun ist dieses Verfahren schon ziemlich straff organisiert. Dating-Portalen wie Unverblümt.de mit Hauptsitz im beschaulichen München ist es trotzdem noch viel zu vage. Vor allem: zu zeitraubend.

Die „optimale Plattform zum Verlieben“ will „ernsthaft Suchende, besonders Frauen im Kinderwunsch-Alter mit schrumpfendem Zeitkonto“ an den Mann bringen. Es gibt keine sexy Fotos zum „hin und her wischen“, keine romantischen Tagträumereien, sondern „echte, ehrliche, tiefgründige und zielführende Partnersuche“.

Das Motto setzt auf Beschleunigung: „Mit der unverblümten Wahrheit als Turbo schneller zum Ziel.“ Im Sinne der Kosten-Nutzen-Balance ein durchaus effizientes Verfahren, auch wenn Nieten damit nicht ausgeschlossen sind.

Die israelische Soziologin Eva Illouz spricht angesichts solcher ausgeklügelten Techniken der digitalen Partnersuche treffend von einer „Rationalisierung der Liebe“: Das Internet arrangiere die Auswahl „wie auf einem Büffet“, es lade zu einer „Form der Wahl ein, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet ist“.

Nach dieser Zeit erwarten Singles eine Antwort beim Mobile-Dating

Was traditionell zur Sprache der Liebe gehöre – Mehrdeutigkeit, Verspieltheit, Ungewissheit, verschleierter Sprachgebrauch und Transzendenz – werde durch die digitalen „Technologien der Wahl untergraben“. Der „Geist der Berechnung“ macht sich breit: Man vergleicht zwischen alternativen Angeboten und entscheidet sich für das „beste Angebot“.

Menschen flirten immer

Schlechte Zeiten also für den klassischen Flirt? Natürlich war früher alles vermeintlich viel besser. Zum Beispiel im galanten Zeitalter Mitte des 18. Jahrhunderts, als der Komödiendichter Pierre Carlet de Marivaux die schlaue Flirtdevise ausgab: „Halte die Menschen stets im Ungewissen, wiege sie nie in Sicherheit.“ Das, glaubte der Poet, steigere garantiert die Attraktivität.

Oder im klassischen Hollywood-Film in den Vierzigerjahren, als Lauren Bacall in Howard Hawks’ Hemingway-Verfilmung „Haben und Nichthaben“ lässig im Türrahmen lehnte. Im „spitzesten aller Winkel von schräg unten nach oben links“ (Ursula Keller) blickte sie direkt in die Augen von Humphrey Bogart, mit einem relativ banalen Ansinnen: Sie wollte um Feuer bitten.

Oder in den Filmen des französischen Regisseurs Eric Rohmer, etwa in „Claires Knie“ (1970), „Pauline am Strand“ (1980) oder „Das grüne Leuchten“ (1986), in denen die Sommerferien nie enden wollen; das Dauer-Parlando des Flirts geht ewig weiter.

Trotzdem, sind Nachrufe auf den Flirt verfrüht? Auch heute noch kann kein Ratgeber und keine Partnerbörse sein Geheimnis tatsächlich entzaubern. Fragt man die Verhaltensforscher, so heißt die Antwort: Menschen flirten immer, ihr evolutionäres Erbe programmiert sie auf Paarungsbereitschaft.

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