Schlafforschung „Schon eine Nacht mit zu wenig Schlaf stresst das Gehirn unglaublich“

Schlafmangel ist ebenso so weit verbreitet wie ungesund. Quelle: imago images

Mit wenig Schlaf auszukommen, sehen manche als Karriere-Turbo. Warum das ein Trugschluss ist, erklärt ein renommierter Schlafforscher. Ein Gespräch über die Folgen von Schlafentzug, Einschlaftricks und Geschlechterunterschiede.

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WirtschaftsWoche: Herr Benedict, können Sie als Schlafforscher auch manchmal nur schwer einschlafen? Haben Sie einen Einschlaftrick?
Christian Benedict: Ich habe zum Beispiel letzte Nacht nicht gut geschlafen und bin entsprechend müde heute. Leider habe ich auch keinen geheimen Trick zum Einschlafen.

Wenn es kein geheimer Trick ist, haben Sie dennoch sicher Tipps.
Wichtig ist erstmal eines: Schlaf ist kein Leistungssport. Natürlich spreche ich mich als Schlafforscher für guten Schlaf aus. Aber wir sollten wegkommen von der Idee, das wir versagt haben, wenn wir keine sieben Stunden geschlafen haben. Schlaf ist keine Schwarz-Weiß-Frage. Im Bett liegen, gehetzt auf die Uhr blicken – so klappt es nicht. Schlaf bereitet man den ganzen Tag über vor.

Am Tag? Wie meinen Sie das?
Es geht darum, zwischen Tag und Nacht Kontraste zu schaffen. Das fängt nach dem Aufstehen an: Tanken Sie viel Tageslicht, bewegen Sie sich. Steigen Sie eine Station früher aus der Bahn aus und laufen den restlichen Weg. Trinken Sie den Kaffee am Fenster oder noch besser, gehen Sie vor die Tür. Schieben Sie nicht alles, was Sie machen wollen, in den Abend. Wir brauchen außerdem Routinen, zum Beispiel sollten Sie regelmäßig Mahlzeiten einnehmen und, das ist natürlich bekannt, mindestens drei Stunden vor dem Schlafengehen nicht mehr essen. Wir können eine Vielzahl von Dingen tagsüber machen für unseren Schlaf.

Christian Benedict ist Neurowissenschaftler und forscht an der Universität Uppsala zum Thema Schlaf. Quelle: Stefan Tell

In einer Studie der Techniker Krankenkasse von 2017 klagt ein Drittel der Befragten über Schlafprobleme. Die Hälfte gab an, auf höchstens sechs Stunden Schlaf zu kommen. Was macht Schlafmangel mit dem Körper?
Wir werden meist nicht von heute auf morgen krank. Aber Schlafmangel begünstigt die sogenannten Gesellschaftserkrankungen wie Diabetes oder Übergewicht. Für das Herz-Kreislauf-System ist es unglaublich problematisch, wenn man nicht genug schläft. Es nutzt unseren Schlaf für Reparaturprozesse. Fehlt der erholsame und wichtige Nachtschlaf, können wir zum Beispiel am Tag unter Bluthochdruck leiden. Studien zeigen außerdem, dass Menschen, die nicht genug schlafen, dazu neigen, zu viel und zu süß zu essen. Außerdem signalisieren dann Hormone eher dem Körper, Fett zu speichern. Langfristig geht ihre Belastungsfähigkeit dadurch hinunter.

Und wie ist es kurzfristig? Ein, zwei Nächte mal nicht gut schlafen – ist das schon schlimm?
Vorneweg: Jeder kann mal über eine gewisse Zeitspanne weniger schlafen, na klar. Fragen Sie mal junge Eltern. Man würde dennoch nicht sagen: Lieber mal keine Kinder bekommen. Studien zeigen sogar, dass Leute mit Kindern länger leben als welche ohne. Aber ja, es gibt viele unerwünschte kurzfristige Effektes des Schlafentzugs. Wir können Informationen schlechter abrufen und schlechter neue Dinge erlernen. Wir können Dinge schlechter in Kontext setzen und die Kompetenz, Probleme zu lösen, sinkt. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, man wird impulsiver und kann mit stressigen Situationen nicht mehr gut umgehen. Gerade wenn wir beruflich am Anschlag stehen, gibt uns Schlaf eine Resilienz, damit besser umzugehen. Schon eine oder wenige Nächte mit zu wenig Schlafen führen dazu, dass unser Gehirn unglaublich gestresst ist. Das kann man im Blut messen durch bestimmte Stress-Eiweiße. Langfristig kann das zu schädlichen Eiweißablagerungen führen und die wiederum begünstigen bestimmte Hirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer. Studien zeigen sogar, welche Folgen Schlafmangel für unser Miteinander hat.

Falsche Volksweisheiten rund um den Schlaf

Welche sind das?
Eine Nacht schlechten Schlafs reicht, damit andere Menschen diese Person weniger attraktiv und vertrauenswürdig finden. Das haben bereits ältere Erhebungen gezeigt. Wir haben den Spieß nun umgedreht und in einer Studie untersucht, wie schlafentzogene Menschen andere Personen bewerten. Ergebnis: Auch sie finden umgekehrt Menschen weniger attraktiv und vertrauenswürdig.

Klingt im Vergleich zu Diabetes, Alzheimer und Übergewicht aber noch ganz erträglich.
Natürlich kann man fragen, ob das relevant ist. Aber dass sich beide Seiten anders wahrnehmen, ist auch aus ökonomischer Sicht ein unerwünschtes Problem: Dieses gute Bauchgefühl, dass man in der Geschäftswelt haben sollte – das geht einem ein bisschen flöten. Unser Hirn sucht ständig nach Rastern. Wir tauschen sofort nonverbale Signale aus, wenn wir zum Beispiel einen Raum betreten. Wenn Sie dann eine Präsentation halten und denken, alle finden das negativ und das dann noch überinterpretieren – da schlagen Sie schnell eine falsche Richtung ein und irritieren Ihre Kollegen oder Geschäftspartner. Das Zünglein an der Waage kann da der Schlaf sein.

Dennoch gilt die Fähigkeit, mit wenig Schlaf auszukommen, gerade im Job als positiv: Ein bekanntes Beispiel ist Angela Merkel, aber auch in Banken oder Analysehäusern gehen die Arbeitszeiten oft bis weit in die Nacht.
Niemand kommt mit zu wenig Schlaf klar. Mit wenig Schlaf zu Höchstleistungen fähig zu sein, ist ein Trugschluss. Das denken viele Manager, sehen sich als die schlaflose Elite. Mit Tests ist das gut untersucht: Menschen performen schlechter, wenn sie zu wenig geschlafen haben. Das nicht mehr richtig einschätzen zu können, ist auch ein Symptom des Schlafentzugs. Es kann dabei sicher helfen, wenn man Lebenserfahrung hat und Routinen abrufen kann. Das fehlt gerade jungen Leuten häufig. Und es gibt auch Geschlechterunterschiede.

Ach ja? Wer leidet denn mehr unter Schlaflosigkeit, Frauen oder Männer?
Zumindest bei einer Studie zur Schichtarbeit haben wir gesehen, dass Frauen häufiger müde sind und sogenannte Mikroschlafepisoden haben, also kurz wegnicken. Die Eiweißstoffe, die im Blut zeigen wie gestresst das Gehirn durch Schlafentzug ist, steigen bei Frauen stärker an als bei Männern. Diese Ergebnisse muss man sehr vorsichtig behandeln und durch größere Erhebungen überprüfen. Aber die Annahme, dass Frauen einen höheren Schlafbedarf haben, kann damit zusammenhängen, dass Frauen kognitiv mehr Ressourcen nutzen als Männer. Sie haben mehr Interaktion zwischen den Hirnhälften. Platt gesagt lautet die Annahme: Wenn tagsüber mehr im Oberstübchen läuft, braucht man nachts mehr Schlaf. Wir haben in dieser Studie aber nicht gesehen, dass Frauen deshalb kognitiv weniger leistungsfähig sind.

Schlaf-Untersuchung: Im Schlaflabor gibt es Hilfe

Wenn man selbst zu denjenigen gehört, die schlecht schlafen – wann wird es Zeit, in einem Schlaflabor vorstellig zu werden?
Als Faustregel gilt: Wenn man mindestens drei Mal pro Woche über drei zusammenhängende Monate Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen hat. Und wenn man dazu müde und schläfrig ist. Das kann viele Ursachen haben. Gerade eine leichte Schlafapnoe kann man beispielsweise gut behandeln. Unbehandelt ist sie ein Gesundheits- und Leistungskiller. Um das herauszufinden, schreibt man sich am besten mal einen Monat lang seine Schlafenszeiten auf und auch, wie es einem damit tagsüber ging, beispielsweise anhand einer Skala von null bis zehn.

Zur Selbsttherapie gibt es zahlreiche Tipps. Da ist von sogenannten Militärtricks die Rede, die versprechen: Einschlafen geht mit Übung in zwei Minuten. Helfen sollen auch Gadgets wie Gewichtsdecken. Was sagt der Schlafforscher?
Diese Militärtricks basieren ja auch auf der Atmung, spezielle Techniken helfen, den Gasaustausch in den Lungenflügeln zu erleichtern und so den Blutdruck zu senken, was wiederum dabei hilft zu entspannen. Ulkig ist, dass Sie nach Gewichtsdecken fragen. Dazu läuft bei uns gerade eine Studie, hier in Schweden sind die ein riesiger Trend. Die Idee dahinter: Wir haben im ganzen Körper ein Sensorsystem, nicht nur in der Haut, auch in den Organen. Die Decke hilft diesem System, die Liegeposition stärker wahrzunehmen. Erste Indizien zeigen tatsächlich, dass im Gehirn Prozesse angestoßen werden, die zur Entspannung führen. Aber: Wir wollen immer eine schnelle Lösung. Aber all das wird nicht helfen, wenn man bis fünf Minuten vor dem Schlafengehen auf Anschlag fährt.

Und noch eine Glaubensfrage: Snoozen – gut oder nicht?
Am besten ist es, ohne Wecker von selbst aufzuwachen. Ein Nutzen des Snoozens könnte dann entstehen, wenn man aus einer Tiefschlafphase aufwacht und dann nochmal einschläft und aus einer leichteren Schlafphase aufwacht. Aber das ist unwahrscheinlich, denn die Tiefschlafphasen finden in den ersten Stunden statt.

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Dann versuche ich es nochmal: Ein Einschlaftipp vom Schlafforscher?
Das klingt jetzt banal: Legen Sie sich ins Bett, wenn Sie müde sind und nicht anhand der Uhrzeit. Und fahren Sie am Abend runter. Das ist das A und O für guten Schlaf.

Lesen Sie auch: „Wenn Sie wissen wollen, wie gestresst jemand ist, schauen Sie auf den Bauch“

Transparenzhinweis: Dieses Interview mit dem Neurowissenschaftler Christian Benedict, der an der Universität Uppsala zum Thema Schlaf forscht, wurde im Mai 2022 geführt. Wir zeigen es aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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