Schlafforscher Ingo Fietze „Selbst begnadete Schläfer können Schlafprobleme bekommen“

Schlafforscher Ingo Fietze:

Das Bild des leistungsfähigen Managers mit wenig Schlaf ist eine Mär, sagt der Leiter des Schlaflabors an der Berliner Charité, Ingo Fietze, und warnt vor der „übermüdeten Gesellschaft“.

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WirtschaftsWoche: Herr Fietze, Sie haben in zwei Büchern bereits sehr tiefgehend über Schlafprobleme bei den Menschen geschrieben und viele Tipps für gesunden Schlaf gegeben. Nun ein drittes. Wozu ist das nötig? 
Ingo Fietze: Es hat sich in den vergangenen drei Jahren in der Forschung tatsächlich einiges getan. Es wurden viele Umfrage-Studien vorgestellt von Krankenkassen zum Beispiel. Die illustrieren, wie schlecht man in Deutschland und Europa schläft. Gleichzeitig erschien vor zwei Jahren die riesige Studie „Global Burden of Disease“ – da kommt nicht einmal der Schlaf drin vor! Es gibt heute Begriffe, über die wir vor drei Jahren noch nicht gesprochen haben. 

Sie sprechen von der übermüdeten Gesellschaft. Früher sind die Menschen mit dem Hahn aufgestanden. Die Arbeitszeit ist auf einem historischen Tief. Warum schlafen wir weniger? 
Die Ergebnisse der Umfragen zeigen, welche Gruppe Menschen am besten schläft. Die, die angibt in einer intakten Beziehung zu leben, allgemein gesund zu sein - und ganz wichtig - keine Geldsorgen zu haben. Nun ist es so, dass es immer weniger Beziehungen gibt, die intakt sind. Geldsorgen werden eher mehr als weniger. Gleiches gilt für eine Reihe von Krankheiten. 

Die Sorgen bringen uns nicht nur sprichwörtlich, sondern wahrhaftig um den Schlaf? 
Stress ist der Schlafkiller Nummer eins. Früher hätte man angenommen, dass Probleme auf der Arbeit die wichtigste Ursache für Stress sind. Das ist so nicht – Geldsorgen sind der nachhaltigste Stress überhaupt. Auch wenn die anderen Faktoren weiter eine Rolle spielen. Und nicht nur der Stress auf der Arbeit, sondern auch die Erhöhung der Aktivitäten. Immer mehr in die 24 Stunden zu packen geht nur, wenn man am Schlaf spart. 

Ingo Fietze

Sie zitieren eine Studie, die den Schaden des Schlafmangels in der Gesellschaft auf 57 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland beziffert. Wie errechnet sich das? 
Menschen mit Schlafproblemen haben bis zu drei- oder viermal mehr Fehltage bei der Arbeit als Menschen ohne Schlafprobleme. Das kostet schon Geld. Die Arbeitsunfälle, die auf mangelnde Konzentration durch Übermüdung zurückzuführen sind, Verkehrsunfälle, Haushaltsunfälle – das sind alles indirekte Kosten. Die direkten Kosten steigen durch eine höhere Zahl an Patienten mit Schlafstörungen. Die Diagnostik und Therapie und Kosten für Folgekrankheiten kommen oben drauf. 

Einer Studie der DAK zufolge, ist die Zahl der Menschen mit Schlafproblemen binnen sechs Jahren um mehr als 60 Prozent gestiegen – eine beeindruckende Steigerung. Was ist in dem Zeitraum passiert?
Es ist nicht so, dass 80 Prozent aller Deutschen Schlafstörungen haben  - aber sehr wohl, dass sie welche kennen. In diesem Zeitraum hat sich aber auf jeden Fall die Aufmerksamkeit für das Thema Schlaf deutlich erhöht – das ist schon mal gut. Die Menschen denken drüber nach – das war früher nicht immer der Fall. Ein Teil des Anstiegs ist aber auch dem Zeitgeist geschuldet, dass wir immer mehr Stress haben. 

Zum Zeitgeist gehört auch das Image des Managers, der viel mehr schafft und mit weniger Schlaf auskommt als die meisten. Ein positives Bild eines allzeit energiegeladenen Menschen. Wer lange schläft, gilt als eher faul und träge. Warum ist Schlaf so in Misskredit geraten? 
Das möchte ich auch mal wissen. Warum Schlafmittel einen so schlechten Ruf erzielt haben, lässt sich durch Probleme mit den Medikamenten noch erklären. Aber warum der Kurzschläfer ein besseres Image hat als der Langschläfer, kann ich nicht sagen. Das ist vielleicht eher was für Soziologen als für einen Schlafforscher. Ich würde mir wünschen, dass nicht die Manager, die angeblich wenig Schlaf brauchen, als Idealtypus wahrgenommen würden – den sie sich im Ernstfall im Auto eh holen – sondern diejenigen, die ausreichend Schlafenszeit als Voraussetzung für hohe Leistungsfähigkeit anerkennen. Es gibt da ja einige vernünftige Vorreiter, von denen wir mehr brauchen. 

Manager, die freiwillig oder umständehalber mit wenig Schlaf auszukommen meinen, sind also nicht leistungsfähiger? 
Auf keinen Fall. Man braucht mindestens sechs Stunden, um seine psychische Leistungsfähigkeit am nächsten Tag abrufen zu können. Wer weniger schläft, und das chronisch, ist nicht so leistungsfähig. Das ist wissenschaftlich erwiesen und bekannt. Was der Manager vielleicht macht, ist, dass er am Wochenende zwei Mal 14 bis 15 Stunden ausschläft. 

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