Schwarmforschung Was wir von Tieren lernen können

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Tausende Stare fliegen über Quelle: dpa/dpaweb

Ein anderer Experte ist etwas vorsichtiger. „Wenn diese Schockwellen zu sehen sind, ist es schon zu spät“, meint Keith Still, Gründer des britischen Unternehmens Crowd Dynamics, das die Saudis bei der Entwicklung eines alternativen Ablaufs für das Steinigungsritual unterstützte. „Wenn diese extremen Schockwellen auftreten, kann man nicht mehr viel tun. Die Masse steht vor dem Kollaps. Was Sie jetzt noch unternehmen, könnte der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Die Verantwortlichen müssen das Problem an der Wurzel anpacken, fordert Still: Zu viele Menschen wollen einen zu engen Raum passieren. „Die Brücke können pro Stunde 135 000 Menschen überqueren“, erklärt er. „Aber an den Säulen können nur 100 000 Menschen pro Stunde vorbeigehen. Sie können nun mal keinen Liter Wasser in ein Halbliterglas füllen.“

Hirnlose Masse

Die Saudis wussten, dass ihre Brücke veraltet war. Nachdem der letzte Pilger im Jahr 2006 den letzten Stein geworfen hatte, wollten sie sie einreißen und mit dem Bau einer neuen Brücke beginnen. Daher hatten sie bereits um die Rampe herum Platz für die Baumaschinen gemacht. Leider hatten sie damit auch mehr Platz für die Menge geschaffen.

Zu Beginn des Rituals standen geschätzte 750 000 Menschen auf dem Vorplatz. Dazu kam das Gebot einiger religiöser Gruppen, die Zeremonie erst nach dem Mittagsgebet zu beginnen. Damit war die Katastrophe abzusehen. Das Ende des Gebets war wie der Startschuss zum größten Marathonlauf der Welt. „Alle sind auf einmal losgelaufen, und dafür war die Struktur einfach nicht ausgelegt“, so Still.

Unter normalen Umständen können sich Menschenmengen selbst organisieren und erstaunliche Staus bewältigen. Wenn beispielsweise zwei Fußgängerströme aufeinandertreffen, ordnen sie sich spontan zu unterschiedlichen Spuren und einer geht dem anderen nach, um Störungen zu verringern – genau wie Ameisen im Regenwald.

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