So wird 2015 "Deutschland steht vor einer Wohlstandswende"

Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski sieht die Stimmung im Land zwischen Euphorie und Enttäuschung schwanken, warnt vor neuen kulturellen Konflikten und verrät sein Unwort des Jahres.

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Quelle: Marcel Stahn

Vor einem Jahr war die Stimmung der Deutschen super. Sind die Erwartungen für 2015 wieder so gut?

Horst Opaschowski: Für 2014 hatte ich eine „Bestzeit“ vorausgesagt. Genauso ist es gekommen. 2014 hatten wir so viele Erwerbstätige wie noch nie und so wenige Arbeitslose wie seit 2011 nicht mehr. Entsprechend positiv sind die Deutschen zum Jahreswechsel auf 2015 eingestimmt. Im Vergleich zu den Vorjahren hat der Anteil der Optimisten, die dem neuen Jahr mit großer Zuversicht entgegensehen, mit 45 Prozent ein Rekordniveau erreicht. 2011 betrug der Anteil der Optimisten nur 36 Prozent. Die „gefühlte Bestzeit“ ist kaum mehr zu steigern, wo fast die Hälfte der Bevölkerung optimistisch in die nahe Zukunft schaut. Ich sehe allerdings die Gefahr, dass die Euphorie in Enttäuschung umschlägt, sobald sich die Wohlstandswende ankündigt. Niemand will dann zu den Verlierern gehören.

Zur Person

Halt, habe ich das richtig verstanden, die Bestzeit ist nur gefühlt, aber tatsächlich stehen wir vor einer Wohlstandswende?

Den meisten Deutschen geht es schon richtig gut, aber sie sind sich ihres Wohlstands in naher Zukunft nicht mehr sicher. Mit den wachsenden Vertrauensverlusten gegenüber den Politikern gehen auch die Ängste vor Wohlstandsverlusten einher, insbesondere in Ostdeutschland sowie in Großstädten und Ballungszentren. Von der Bestzeit über die Wohlstandswende bis zur neuen Bescheidenheit ist vielleicht nur ein Schritt.

"Mario Draghi wird Italiens Präsident"
„Der britische Immobilienmarkt wird zusammenbrechen“Bei ihren unwahrscheinlichen, aber nicht zu unterschätzenden Szenarien, geht die Saxo Bank unter anderem davon aus, dass der britische Immobilienmarkt zusammenbrechen wird. Die bevorstehende Zinserhöhung der Bank of England wird die Nachfrage einbrechen lassen und die Preise um 25 Prozent drücken.Quelle: Saxo Bank, Outrageous PredictionsBei den „Outrageous Predictions“ handelt es sich laut Saxo Bank um zehn Szenarien, die zwar unwahrscheinlich sind, bei Unterschätzung der mit ihnen einhergehenden Risiken jedoch enorme Folgen für die globalen Märkte hätten. Quelle: dpa
„China wertet den Yuan um 20 Prozent ab“China macht einen auf Japan und wertet beim Kampf gegen die Deflation die Währung massiv ab. Damit reiht sich die chinesische Zentralbank in den Abwertungswettlauf ein, um die eigene Wirtschaft zu stützen. Quelle: REUTERS
„Mario Draghi legt sein Amt nieder und wird Italiens Präsident“Ein unwahrscheinliches, aber mögliches Szenario: EZB-Chef Mario Draghi überlässt den Kampf für die Inflation und die Wirtschaft Europas einem anderen. Stattdessen kandidiert er als Präsident in Italien und erhält dafür eine Empfehlung des aktuellen Präsidenten Napolitano, der sich damit für die niedrigen Zinsen bei den Staatsanleihen bedankt. Quelle: REUTERS
„Europa wird keinen Sommer erleben“Der der bereits aktive isländische Vulkan Bardarbunga wird ausbrechen und giftiges Schwefeldioxid freisetzen. Der Himmel über Europa wird sich verdunkeln und das Klima wird sich verändern. Ängste vor Ernteausfällen werden die Getreidepreise in die Höhe treiben. Quelle: dpa
„Der Kakaopreis wird auf 5.000 Dollar pro Tonne steigen“Die asiatische Mittelschicht wird immer größer und verlangt immer mehr nach Schokolade – und auch der Westen greift immer häufiger zu Kakaoprodukten. Damit wird die Nachfrage nach Kakao das Angebot weit übertreffen und den Preis auf 5.000 Dollar pro Tonne treiben. Quelle: dpa-dpaweb
„Großbritannien steht vor dem Austritt aus der EU“Bei der Wahl im Mai 2015 wird die UKIP überraschend 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und eine Koalition mit der Konservativen Partei eingehen. Schließlich wird die UKIP dann ein Referendum zum Austritt aus der EU ausrufen. Quelle: REUTERS
„Hochzinsanleihen schießen durch die Decke“Bei hochverzinslichen Anleihen werden Anleger vor geringer Liquidität und starken Preisrückgängen stehen. Wenn alle durch den engen Flaschenhals flüchten und verkaufen, wird die europäische Wirtschaft wieder erschüttert. Der Markit iTraxx Europe Crossover-Index verdoppelt sich 2015 auf 700 Basispunkte. Quelle: dpa

Klar, dass es neben 45 Prozent Optimisten immer noch viele Pessimisten gibt. Welche Sorgen treiben diese Gruppe um – und sind deren Sorgen berechtigt?

Die Pessimisten treiben viele Sorgen um. Gefühlte Inflation, unsichere Arbeitsplätze, wachsende Kriminalität und Gefährdung des sozialen Friedens durch die Kluft zwischen Arm und Reich. Dazu kommt die Sorge vor Überfremdung im eigenen Land durch Flüchtlinge und Asylbewerber. Eine wachsende Zahl von Bürgern glaubt, sich bald nicht mehr heimisch fühlen zu können. Dies erklärt auch die Ausbreitung islamkritischer Bewegungen. Wenn Politiker hierauf keine zukunftsfesten Antworten und Lösungen finden, droht der materielle Wohlstand zum sozialen Unwohlstand zu werden. Dann hilft auch die Abschaffung der kalten Progression nicht weiter. Ungelöste soziale Konflikte neigen dazu, zu eskalieren.

Überfremdung ist doch keine wirkliche Gefahr, sondern eine Kampfparole fremdenfeindlicher Gruppen. Tatsächlich braucht Deutschland Zuwanderer, um seinen Wohlstand in die Zukunft zu retten. Ist das den Leuten klar?

Dies ist eine Gefühlssache und keine Vernunftentscheidung. Es stimmt schon sehr bedenklich, dass derzeit die Deutschen mehr Angst vor religiösen Auseinandersetzungen mit dem Islam haben als vor den sozialen Folgen der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Alarmzeichen hierfür sind ausländerfeindliche und islamkritische Bewegungen wie Pediga, die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, oder Hogesa, also „Hooligans gegen Salafisten“, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski im Interview mit WirtschaftsWoche. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Eine gefährliche Entwicklung, die niemand vorhersehen konnte.

Da möchte ich Sie korrigieren. Vor über einem Jahrzehnt hatte ich 2002 vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Der größte Gefährdungsfaktor für den sozialen Frieden wird der Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern sowie Christen und Muslimen sein, lautete damals meine Prognose. Dabei stoßen unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammen und machen Deutschland zum Konfliktfeld. Politiker haben auf diese Warnungen nicht reagiert, sondern finanzielle Segnungen eingeführt wie den Mindestlohn, die Mütterrente und die Rente mit 63, um soziale Konflikte vergessen zu machen.

Aus "Made in Germany" ein "Created in Germany" machen

Diese Maßnahmen sollen ja gerade die auch von Ihnen angesprochene Kluft zwischen Arm und Reich schließen. Aber was können wir als Bürger im kommenden Jahr tun, wenn wir uns nicht allein auf die Politik verlassen wollen?

Ob es der Politik gefällt oder nicht: Eine neue politische Trias aus Initiativen, Bürgerforen und Volksentscheiden werden die Demokratie beleben und verändern. Weil Politiker fast nur noch auf Zuruf oder mediale Reizthemen reagieren und Zukunftsfragen wie Gesundheitsvorsorge, Rente, Mietpreisbremse und Schutz der Privatsphäre weitgehend ausblenden, müssen die Bürger selbst in die Offensive gehen. Sie stellen die Weichen für eine Bürgergesellschaft neu, die sich als eine – wie ich es nennen würde – Zusammenhaltsgesellschaft versteht. Parteien werden dabei tendenziell in die zweite Reihe zurückgedrängt.

Was sich 2015 ändern wird
MINDESTLOHN: Der allgemeine, flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde greift. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht das 1473 Euro brutto im Monat. Profitieren sollen rund 3,7 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Um Langzeitarbeitslosen den Job-Einstieg zu erleichtern, kann bei ihnen in den ersten sechs Monaten vom Mindestlohn abgewichen werden. Für Unter-18-Jährige ohne Berufsabschluss, Auszubildende und Menschen mit Pflichtpraktika oder Praktika unter drei Monaten gilt der Mindestlohn nicht. Quelle: dpa
PFLEGEMINDESTLOHN: Er steigt auf 9,40 Euro pro Stunde im Westen und 8,65 Euro im Osten. Bis 2017 soll er weiter wachsen. Quelle: dpa
NUMMERNSCHILDER: Autobesitzer dürfen ihr Kennzeichen bei Umzügen in ganz Deutschland mitnehmen. Die Pflicht zur „Umkennzeichnung“ für den neuen Zulassungsbezirk entfällt. Innerhalb einiger Länder gilt dies heute schon, flächendeckend greift die Regel dann aber erst ab dem 1. Januar. Der Tarif der Kfz-Versicherung richtet sich aber weiterhin nach dem aktuellen Wohnort. Quelle: dpa
RENTE: Der Rentenbeitragssatz sinkt von aktuell 18,9 Prozent auf 18,7 Prozent. Bis 2018 soll er unverändert bleiben. Quelle: dpa
HARTZ IV: Die Regelsätze für Empfänger von Hartz-IV-Leistungen steigen um gut zwei Prozent. Alleinstehende erhalten somit nun einen Betrag von 399 Euro und damit acht Euro mehr als bisher. Quelle: dpa
BERUFSKRANKHEITEN: Als solche werden nun auch Formen des „weißen Hautkrebses“ und andere Krankheiten anerkannt. Betroffene haben Anspruch auf Behandlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Quelle: dpa
KRANKENKASSEN: Die gesetzlichen Krankenkassen können wieder über einen Teil der Beiträge selbst bestimmen. Dazu wird der bisherige Beitrag um 0,9 Punkte auf 14,6 Prozent gesenkt. Auf diesem Niveau ist es den Kassen möglich, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Der dürfte im ersten Jahr im Durchschnitt 0,9 Prozentpunkte betragen, einzelne Kassen dürften aber deutlich darunter liegen. Erwartet wird allerdings, dass der Beitrag in den Folgejahren steigt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verspricht sich mehr Wettbewerb unter den Kassen. Quelle: dpa

Kanzlerin Angela Merkel scheint auf eine dritte Amtszeit zu schielen. Bleibt sie wie Kohl 16 Jahre an der Spitze – und ist das gut für die Zukunft?

Dies ist wohl eine Fangfrage, bei deren Beantwortung ich nur verlieren kann. Bisher tat die Kanzlerin Angela Merkel dem Land gut, weil sie in extrem unsicheren Zeiten die Ruhe behielt und die Bürger beruhigte. In zwei, drei Jahren kann alles anders sein, wenn die Bürger die Beruhigungsstrategie der Regierung durchschauen oder keine verlässlichen Antworten auf ihre Sorgen bekommen.

Dann frage ich anders, wobei auch das keine Fangfrage sein soll: Bei welchen Themen hat die Große Koalition Weichen für die Zukunft des Landes gestellt – und wo hat sie das versäumt?

Der Großen Koalition fehlt eine Vision für die nächste Generation. Die GroKo blickt nur auf die Gegenwart und verpasst mit Sicherheit die Zukunft. Die Regierung macht zwar ihre Hausaufgaben aber nur für heute und für die laufende Legislaturperiode. Die politische Programmatik richtet sich allein an der Gegenwart aus, schaut also nur danach, wie Wohlstand, Wettbewerb Wachstum heute gesichert werden. Das kann man nicht als vorausschauende Politik bezeichnen.

Bleibt Deutschland ein reiches Land – trotz Nullzinsen aufs Ersparte?

Deutschland ist reich an Ressourcen und Vermögen, aber noch arm an direkter Demokratie, die von Parteien oft als Störung empfunden wird. Die Bürgerdemokratie ist noch Zukunftsmusik! Die Zukunft beginnt jetzt. Sie wir und muss einer neuen Mitmach- und Zusammenhaltsgesellschaft gehören.

Die Globalisierung schreitet voran. Müssen unsere Kinde alle Chinesisch lernen?

Ohne die Fremdsprache Englisch geht gar nichts im Zeitalter der Globalisierung. Sie müssen nicht chinesisch sprechen können, um mit den Chinesen zu kommunizieren.

Unter welchem Motto sollte 2015 stehen?

Nur ein paar Stichworte: Aufbruch und Fortschritt statt Stillstand oder weiter so. Deutschland im Inneren erneuern, sozial und kulturell, Innovationen wagen. Aus dem alten „Made in Germany“ ein „Created in Germany“ machen.

Wird gemacht. Wagen Sie zum Schluss bitte noch wie im vergangenen Jahr Prognose des Unworts des Jahres. Mit dem Begriff Generation@ haben Sie 1999 ja schon mal das Wort des Jahres geprägt.

Unwort des Jahres? Negativzinsen – für Guthaben.

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