Vor einem Jahr war die Stimmung der Deutschen super. Sind die Erwartungen für 2015 wieder so gut?
Horst Opaschowski: Für 2014 hatte ich eine „Bestzeit“ vorausgesagt. Genauso ist es gekommen. 2014 hatten wir so viele Erwerbstätige wie noch nie und so wenige Arbeitslose wie seit 2011 nicht mehr. Entsprechend positiv sind die Deutschen zum Jahreswechsel auf 2015 eingestimmt. Im Vergleich zu den Vorjahren hat der Anteil der Optimisten, die dem neuen Jahr mit großer Zuversicht entgegensehen, mit 45 Prozent ein Rekordniveau erreicht. 2011 betrug der Anteil der Optimisten nur 36 Prozent. Die „gefühlte Bestzeit“ ist kaum mehr zu steigern, wo fast die Hälfte der Bevölkerung optimistisch in die nahe Zukunft schaut. Ich sehe allerdings die Gefahr, dass die Euphorie in Enttäuschung umschlägt, sobald sich die Wohlstandswende ankündigt. Niemand will dann zu den Verlierern gehören.
Zur Person
Horst Opaschowski prägte die in Deutschland relativ jungen Disziplinen der Zukunfts- und Freizeitforschung. Der 73-jährige Wissenschaftler ist immer früh dran mit seinen Prognosen, liegt aber meist richtig. Er nahm 1980 die Vision des Internetzeitalters vorweg oder schrieb bereits 2004 über den Zusammenbruch der Finanzmärkte und des Euro.
Halt, habe ich das richtig verstanden, die Bestzeit ist nur gefühlt, aber tatsächlich stehen wir vor einer Wohlstandswende?
Den meisten Deutschen geht es schon richtig gut, aber sie sind sich ihres Wohlstands in naher Zukunft nicht mehr sicher. Mit den wachsenden Vertrauensverlusten gegenüber den Politikern gehen auch die Ängste vor Wohlstandsverlusten einher, insbesondere in Ostdeutschland sowie in Großstädten und Ballungszentren. Von der Bestzeit über die Wohlstandswende bis zur neuen Bescheidenheit ist vielleicht nur ein Schritt.
Klar, dass es neben 45 Prozent Optimisten immer noch viele Pessimisten gibt. Welche Sorgen treiben diese Gruppe um – und sind deren Sorgen berechtigt?
Die Pessimisten treiben viele Sorgen um. Gefühlte Inflation, unsichere Arbeitsplätze, wachsende Kriminalität und Gefährdung des sozialen Friedens durch die Kluft zwischen Arm und Reich. Dazu kommt die Sorge vor Überfremdung im eigenen Land durch Flüchtlinge und Asylbewerber. Eine wachsende Zahl von Bürgern glaubt, sich bald nicht mehr heimisch fühlen zu können. Dies erklärt auch die Ausbreitung islamkritischer Bewegungen. Wenn Politiker hierauf keine zukunftsfesten Antworten und Lösungen finden, droht der materielle Wohlstand zum sozialen Unwohlstand zu werden. Dann hilft auch die Abschaffung der kalten Progression nicht weiter. Ungelöste soziale Konflikte neigen dazu, zu eskalieren.
Überfremdung ist doch keine wirkliche Gefahr, sondern eine Kampfparole fremdenfeindlicher Gruppen. Tatsächlich braucht Deutschland Zuwanderer, um seinen Wohlstand in die Zukunft zu retten. Ist das den Leuten klar?
Dies ist eine Gefühlssache und keine Vernunftentscheidung. Es stimmt schon sehr bedenklich, dass derzeit die Deutschen mehr Angst vor religiösen Auseinandersetzungen mit dem Islam haben als vor den sozialen Folgen der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Alarmzeichen hierfür sind ausländerfeindliche und islamkritische Bewegungen wie Pediga, die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, oder Hogesa, also „Hooligans gegen Salafisten“, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.
Eine gefährliche Entwicklung, die niemand vorhersehen konnte.
Da möchte ich Sie korrigieren. Vor über einem Jahrzehnt hatte ich 2002 vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Der größte Gefährdungsfaktor für den sozialen Frieden wird der Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern sowie Christen und Muslimen sein, lautete damals meine Prognose. Dabei stoßen unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammen und machen Deutschland zum Konfliktfeld. Politiker haben auf diese Warnungen nicht reagiert, sondern finanzielle Segnungen eingeführt wie den Mindestlohn, die Mütterrente und die Rente mit 63, um soziale Konflikte vergessen zu machen.
Aus "Made in Germany" ein "Created in Germany" machen
Diese Maßnahmen sollen ja gerade die auch von Ihnen angesprochene Kluft zwischen Arm und Reich schließen. Aber was können wir als Bürger im kommenden Jahr tun, wenn wir uns nicht allein auf die Politik verlassen wollen?
Ob es der Politik gefällt oder nicht: Eine neue politische Trias aus Initiativen, Bürgerforen und Volksentscheiden werden die Demokratie beleben und verändern. Weil Politiker fast nur noch auf Zuruf oder mediale Reizthemen reagieren und Zukunftsfragen wie Gesundheitsvorsorge, Rente, Mietpreisbremse und Schutz der Privatsphäre weitgehend ausblenden, müssen die Bürger selbst in die Offensive gehen. Sie stellen die Weichen für eine Bürgergesellschaft neu, die sich als eine – wie ich es nennen würde – Zusammenhaltsgesellschaft versteht. Parteien werden dabei tendenziell in die zweite Reihe zurückgedrängt.
Kanzlerin Angela Merkel scheint auf eine dritte Amtszeit zu schielen. Bleibt sie wie Kohl 16 Jahre an der Spitze – und ist das gut für die Zukunft?
Dies ist wohl eine Fangfrage, bei deren Beantwortung ich nur verlieren kann. Bisher tat die Kanzlerin Angela Merkel dem Land gut, weil sie in extrem unsicheren Zeiten die Ruhe behielt und die Bürger beruhigte. In zwei, drei Jahren kann alles anders sein, wenn die Bürger die Beruhigungsstrategie der Regierung durchschauen oder keine verlässlichen Antworten auf ihre Sorgen bekommen.
Dann frage ich anders, wobei auch das keine Fangfrage sein soll: Bei welchen Themen hat die Große Koalition Weichen für die Zukunft des Landes gestellt – und wo hat sie das versäumt?
Der Großen Koalition fehlt eine Vision für die nächste Generation. Die GroKo blickt nur auf die Gegenwart und verpasst mit Sicherheit die Zukunft. Die Regierung macht zwar ihre Hausaufgaben aber nur für heute und für die laufende Legislaturperiode. Die politische Programmatik richtet sich allein an der Gegenwart aus, schaut also nur danach, wie Wohlstand, Wettbewerb Wachstum heute gesichert werden. Das kann man nicht als vorausschauende Politik bezeichnen.
Bleibt Deutschland ein reiches Land – trotz Nullzinsen aufs Ersparte?
Deutschland ist reich an Ressourcen und Vermögen, aber noch arm an direkter Demokratie, die von Parteien oft als Störung empfunden wird. Die Bürgerdemokratie ist noch Zukunftsmusik! Die Zukunft beginnt jetzt. Sie wir und muss einer neuen Mitmach- und Zusammenhaltsgesellschaft gehören.
Die Globalisierung schreitet voran. Müssen unsere Kinde alle Chinesisch lernen?
Ohne die Fremdsprache Englisch geht gar nichts im Zeitalter der Globalisierung. Sie müssen nicht chinesisch sprechen können, um mit den Chinesen zu kommunizieren.
Unter welchem Motto sollte 2015 stehen?
Nur ein paar Stichworte: Aufbruch und Fortschritt statt Stillstand oder weiter so. Deutschland im Inneren erneuern, sozial und kulturell, Innovationen wagen. Aus dem alten „Made in Germany“ ein „Created in Germany“ machen.
Wird gemacht. Wagen Sie zum Schluss bitte noch wie im vergangenen Jahr Prognose des Unworts des Jahres. Mit dem Begriff Generation@ haben Sie 1999 ja schon mal das Wort des Jahres geprägt.
Unwort des Jahres? Negativzinsen – für Guthaben.