Soziale Netzwerke Die Macht der Kontakte

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Online-Netzwerke boomen - der Quelle: dpa

Entscheidend waren also nicht enge Freunde, sondern entfernte Bekannte. Oder anders formuliert: Es waren die Freunde der Freunde der Freunde. So gelangte Granovetter zu seiner Theorie der schwachen Bindungen. Er ging davon aus, dass Informationen über Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem über eben diese losen Bekanntschaften weitergegeben werden. „Je mehr schwache Beziehungen wir haben, desto größer ist unser Zugang zu vielen unterschiedlichen Ressourcen“, bestätigt auch Nancy Baym, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Universität von Kansas.

Genau von diesen schwachen Bindungen gibt es heute reichlich – gefördert durch die Online-Netzwerke im Internet.

Die sozialen Plattformen boomen. Laut einer aktuellen Studie des US-Marktforschungsunternehmens Comscore haben die Netzwerke weltweit bereits 734 Millionen Nutzer. Der stärkste Gewinner ist der Kurznachrichtendienst Twitter. Während jeder Nutzer im Mai vergangenen Jahres im Schnitt noch sechs Minuten auf der Plattform zubrachte, waren es in diesem Mai bereits 17 Minuten.

Vor allem seit Beginn der Wirtschaftskrise steigen die Mitgliederzahlen sprunghaft an. LinkedIn, Marktführer im Bereich der beruflichen Online-Netzwerke, begrüßte bis zum vergangenen September eine Million neuer Nutzer pro Monat. Dann begann die globale Konjunktur ihre Talfahrt, und „die Zahlen gingen durch die Decke“, sagt LinkedIn-Sprecherin Krista Canfield. Derzeit melden sich alle zwei Wochen eine Million Neumitglieder an. „Das sind nicht nur Arbeitssuchende“, sagt Canfield, „die derzeitige Wirtschaftslage war für viele ein Weckruf.“

Immer mehr erwachsene Nutzer auf Online-Netzwerken

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Online-Profil lediglich etwas für Heranwachsende war. Der Anteil erwachsener Nutzer von Online-Netzwerken ist in den vergangenen vier Jahren von 8 auf 35 Prozent gestiegen, so eine Studie der US-Meinungsforschung Pew im vergangenen Dezember. Mehr als zwei Drittel der Facebook-Benutzer haben das College bereits hinter sich gelassen. Am stärksten wächst die Seite bei den über 35-Jährigen.

Dementsprechend verändert sich auch die Nutzung. Es geht nicht mehr bloß um Zeitvertreib – sondern auch um berufliche Zwecke. Der Amerikaner Brian Ward kann das bestätigen. Elf Tage nach der Entlassung hatte er bereits einen neuen Arbeitsplatz – dank seines Online-Profils.

Der Software-Architekt erhielt die Kündigung an einem Freitagnachmittag. Aufgeben kam für den verheirateten Vater von drei Kindern nicht infrage. Also verbreitete er die eigentlich traurige Nachricht sofort weiter – auch online. Er brachte seinen Lebenslauf in den Netzwerken auf den neuesten Stand und teilte all seinen Kontakten via E-Mail mit, dass er einen Job suche. Schon vier Stunden später bekam er die Zusage für ein telefonisches Bewerbungsgespräch. Auch wenn sich daraus nichts ergab – letztendlich war Ward erfolgreich.

Online-Netzwerke entwickeln sich zum Job-Basar

Eine ehemalige Kollegin leitete seinen Lebenslauf weiter. Das Bewerbungsgespräch verlief gut, am Tag danach machte man ihm ein Angebot: „Letztendlich geht es immer noch um Kontakte“, sagt Ward, „bloß die Art und Weise der Kommunikation hat sich geändert.“ Dies gilt nicht nur für Arbeitnehmer auf Jobjagd, sondern auch für Personaler auf Mitarbeitersuche.

72 Prozent von ihnen wollen in Zukunft stärker in sozialen Netzwerken rekrutieren, ergab eine Studie der Personalberatung Jobvite im Mai. 80 Prozent der Unternehmen nutzen die Plattformen, um Jobkandidaten auf sich aufmerksam zu machen. Und 66 Prozent haben bereits mindestens einen hochwertigen Mitarbeiter über ein soziales Netzwerk eingestellt.

Mehr noch: In manchen Unternehmen ist die Mitgliedschaft in Online-Netzwerken bereits Einstellungskriterium.

Vor einigen Wochen suchte der US-Einzelhandelsriese Best Buy einen Marketingmanager. Die Stellenanzeige listete nicht nur die üblichen Kriterien auf: ein Hochschulabschluss, mindestens vier Jahre Personalverantwortung – und mindestens 250 Kontakte beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Kurzum: Online-Netzwerke entwickeln sich zum Job-Basar. Wer hier nicht vertreten ist, der existiert nicht. Und wer wenig Kontakte hat, ist bei der Jobsuche im Nachteil.

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