Spiritualität und Ego Achtsame Egomanen

Wer etwas gut kann, freut sich drüber – und gibt manchmal damit an. Quelle: dpa

Meditation soll egozentrische Manager demütig und gestresste Menschen ausgeglichener machen. Doch die spirituellen Praktiken bewirken mitunter genau das Gegenteil: Sie machen auch selbstsüchtig und überheblich.

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Schon Chögyam Trungpa stellte fest: „Wir können uns selbst betrügen in dem Denken, dass wir uns spirituell entwickeln, während wir stattdessen unsere Selbstbezogenheit durch spirituelle Praktiken verstärken.“ 1973 schrieb der buddhistische Meister diese Zeilen – und hat jetzt zwei niederländische Wissenschaftlerinnen dazu veranlasst, zu erforschen, was Selbsterfahrungstechniken anrichten können. Sind sie heilsam? Machen sie uns wirklich ausgeglichener und aufmerksamer gegenüber unseren Mitmenschen?

Fast drei Viertel der 30- bis 59-Jährigen in Deutschland beklagen laut einer repräsentativen Allensbach-Umfrage von 2019 einen wachsenden Egoismus in der Gesellschaft. Gleichzeitig laden immer mehr Unternehmen Trainer und Redner ein, um den Mitarbeitern zu erläutern, wie sie achtsamer leben und ihr Stresslevel reduzieren können. Von Kognitions- und Neurowissenschaftlern mitentwickelte Apps verbreiten Wissen und Übungen. Spirituelle Trainings, von Achtsamkeit und Meditation bis zu energetischen Praktiken aus dem Reich von Aura und Karma haben eines gemeinsam: Sie sollen, so das Versprechen, das persönliche Verlangen nach sozialer Bestätigung und Erfolg, also die Selbstbezogenheit reduzieren.

Richtig gemacht, können Yoga und Meditation das Ego durchaus besänftigen. Doch es ist wie mit dem Fußballspielen, dem Jonglieren oder dem Kochen: Wer etwas gut kann, läuft Gefahr, mit dieser Fähigkeit anzugeben und sich daran hochzuziehen. Vor dieser Gefahr sind auch spirituelle Rituale nicht gefeit.

Der Gelehrte Trungpa war der Ansicht, dass spiritueller Materialismus, also das Angeben mit der Fähigkeit oder der Technik selbst, jede wahrhaftig gelebte Spiritualität oder Religion untergraben könne. Roos Vonk und Anouk Visser von der Universität Nijmegen zeigen in ihrer aktuellen Studie, dass Überlegenheitsgefühle auch in der Welt der Spiritualität vorkommen. Die Wissenschaftlerinnen nennen es das „Paradox der Selbstüberschätzung“. Spirituelles Training habe das Ziel, die Selbstüberhöhung zu reduzieren. Doch manchmal trete das genaue Gegenteil ein. Das Motiv der Selbstüberschätzung sei sehr stark. Es sei so tief in uns verankert, schreiben die Studienautorinnen, dass selbst Methoden, die eigentlich das Ego überwinden sollen, dazu führen, dass das Ego gesteigert wird.

Wetteifern um Spiritualität

Das belegt auch ein Team um den Mannheimer Psychologie-Professor Jochen Gebauer in einer weiteren Studie: Yoga und Meditation beruhigen das Ego demnach nicht, sie pimpen es noch auf. Die New Yorker Psychologin Elinor Greenberg hat beides gesehen: Menschen, die „durch ihre Spiritualität gewachsen“ seien und andere, die sich nur damit beschäftigten, „mit anderen zu wetteifern, wer spirituell am meisten entwickelt ist“.

Letzteres, sagt Greenberg, sei genau das Gegenteil von dem, was diese Leute vorgeben zu sein. Viele derjenigen, die ihr gegenüber behauptet hätten, fortgeschrittene spirituelle Kräfte zu haben, hätten sich etwas vorgemacht, ergänzt die Expertin für die Behandlung von Borderline und narzisstischen sowie schizoiden Störungen.

„Überlegenheit, selbst suggestive Überlegenheit, gibt es natürlich“, räumt auch die Diplom-Psychologin Katrin Seidenfaden ein. Doch wer Achtsamkeit richtig praktiziert, löse Überlegenheitsgefühle auf, weil er sich intensiv mit der eigenen Fehlbarkeit auseinandersetze. Gerade zu Beginn, „wenn man sich noch nicht richtig auf die Achtsamkeit eingelassen“ habe, stelle Seidenfaden bei Teilnehmern ihrer Kurse immer wieder Überlegenheitsgefühle fest. Eine ehrliche Konfrontation mit sich selbst gelinge nicht allen, „weil sie es nicht aushalten, ein in Gefahr geratenes Selbstbild zu ertragen“. Und ausgerechnet diejenigen in einem Unternehmen, die es dringend nötig hätten, seien oft nicht in ihrem Kurs. Denn Seidenfaden akzeptiert nur Teilnehmer, die aus freien Stücken kämen – nicht, weil es der Arbeitgeber so wolle.

Achtsamkeit bedeute vor allem, „wahrzunehmen, was ich denke und fühle und was um mich herum los ist“. Das sei gar nichts Spirituelles, betont Seidenfaden. Jeder habe „die Fähigkeit, eigene Gedanken zu beobachten, aber sie wird in unserer Gesellschaft nicht gefördert. Das ist wie eine Art Intelligenz, die brachliegt.“

Sich der eigenen Fähigkeiten bewusst zu sein, ist nicht leicht. Die eigene Großartigkeit nicht zu überschätzen und Mitmenschen gegenüber schamlos auszustellen, wohl noch schwieriger. Erleuchtung, das wusste schon Chögyam Trungpa, „ist die ultimative Enttäuschung des Egos“.

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Der Psychologe Theodor Itten forscht zur Psychologie der Selbstüberschätzung. Er erklärt, warum es Unternehmer mit großen Visionen braucht und was übermütige Chefs von mittelalterlichen Königen lernen sollten.

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