Start-up Wie Israel zum Gründerland wurde

Viele Länder wollen ein zweites Silicon Valley aufbauen, Israel ist das gelungen. Die Spurensuche nach dem Erfolgsrezept führt nicht zuletzt zum Militär.

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Startups in Israel. Quelle: dpa, Montage

Gadi Lifshitz hat seine Gegner immer im Blick. An jeder Glastür der Büros seines Start-ups Safebreach hängen Konterfei, Name und Steckbrief der berüchtigtsten Hacker der Welt. Das israelische Unternehmen kämpft gegen Cyberkriminelle; Lifshitz ist sein Entwicklungschef. Safebreach hat eine spezielle Software entwickelt, die wie ein Heer virtueller Hacker arbeitet: Genauso wie echte Kriminelle suchen die Algorithmen nach Sicherheitslücken.

Das funktioniert per Knopfdruck: Auf seinem MacBook startet Lifshitz das Programm, nach wenigen Sekunden erscheint ein violettes Linienmuster – ein Wegweiser durch das IT-Netzwerk eines Kunden. „90 Prozent aller Angriffe könnte vorhandene Sicherheitssoftware verhindern“, sagt Lifshitz. Nur sei die oft nicht richtig konfiguriert. Deshalb schickt das Start-up seine virtuellen Hacker, um die Lücken zu finden.

Der US-Wagniskapitalgeber Sequoia, der schon Google finanzierte, schoss kürzlich Geld zu, ebenso der IT-Konzern Hewlett-Packard und die Deutsche Telekom. 15 Millionen Dollar investierten sie zusammen, viel Geld für eine kleine Firma mit nur 30 Mitarbeitern.

Der IT-Spezialist ist nur eine von vielen Erfolgsgeschichten aus einer boomenden Branche. Israel hat sich zur erfolgreichsten Start-up-Nation nach den USA entwickelt – diese in mancher Hinsicht gar überholt. Pro Kopf der Bevölkerung investierten Geldgeber im Vorjahr 553 Dollar Wagniskapital, mehr als doppelt so viel wie in den USA (siehe Grafik). Insgesamt waren es 4,4 Milliarden Dollar. In Deutschland flossen zeitgleich nur rund 2,9 Milliarden. Auch bei der Zahl der Start-ups ist Israel Spitze: Auf je 1600 Einwohner kommt ein Gründer.

Dabei sind die Voraussetzungen dafür, dass sich ausgerechnet Israel zum gelobten Land der Start-up-Szene entwickeln konnte, denkbar schlecht: Die Sicherheitslage ist prekär, und das Land hat nur acht Millionen Einwohner – so viel wie Niedersachsen. Doch Israel beweist besonderes Geschick darin, Nachteile in Vorteile zu drehen. Was andere Nationen daraus lernen können, zeigt eine Spurensuche.

Parteien in Israel

Sie beginnt in Tel Avivs Boomviertel Sarona, mitten zwischen Kränen und halb fertigen Hochhäusern. In einen der bereits bezugsfertigen Türme ist Google mit seinem Accelerator eingezogen, gegenüber hat Samsung gerade einen solchen Start-up-Brutkasten eröffnet. Die Zahl der Hightechunternehmen in Israel ist von 3800 im Jahr 2006 auf 7400 angestiegen. Viele davon haben sich in Sarona angesiedelt – so auch Safebreach, dessen Büro etwas versteckt neben einer Tankstelle liegt.

Wie viele Gründer hier ist Lifshitz eher der Typ Bodyguard als Computernerd. Der Kopf ist kahl rasiert, das graue T-Shirt spannt über dem muskulösen Oberkörper. Auf die Frage nach Israels Erfolgsgeheimnis nennt er wie fast alle: das Militär. Lifshitz hat in einer Einheit gedient, die Soldaten für den Cyberkrieg ausbildet. Die Fähigkeiten der israelischen Hacker in Uniform sind legendär. Sie sollen etwa für den bislang raffiniertesten digitalen Angriff verantwortlich sein: den Trojaner Stuxnet, mit dem Irans Atomprogramm sabotiert wurde.

Fünf Fakten über Israel

Was Lifshitz bei der Armee genau gemacht hat, will und darf er nicht verraten. Doch das Wissen nutzt er nun, um Cyberkriminelle im Geschäftsleben zu jagen. „Die Methoden sind dieselben“, sagt Lifshitz, „man sucht Schwächen im System und Werkzeuge, die sie ausnutzen.“ Bei der Armee arbeiten die jungen Rekruten oft mit Technologien, die erst Jahre später kommerziell genutzt werden. Nach dem Dienst können sie sich ihren Arbeitgeber quasi aussuchen.

Doch das Militär vermittelt weit mehr als technisches Know-how, wie Shaul Olmert weiß. Sein Vater Ehud war Ministerpräsident des Landes und damit oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Shaul bastelte schon früh mit Transistoren und technischem Gerät, sagt er, wollte lieber ein Start-up gründen, als in die Politik zu gehen. Playbuzz heißt sein Unternehmen, dem wohl jeder Facebook-Nutzer schon begegnet ist: Ein Großteil der Quizze und Umfragen auf dem Netzwerk werden mit der Software von Playbuzz generiert. 200 Millionen Menschen sehen die Inhalte jeden Monat.

Wie man ein Unternehmen führt, hat Olmert bei den Streitkräften gelernt. Wird einem dort nicht nur Gehorsam eingetrichtert? „Klar wird man anfangs angeschrien“, erinnert sich Olmert. Doch in Israel würden die Soldaten schnell zu Kommandeuren kleiner Einheiten. „Dann schauen dich die anderen an, und du musst Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod entscheiden können“– das forme auch für den Kampf um die beste Businessstrategie. Die harte Managementschule Militär ist zudem der Beginn des Aufbaus eines enormen Netzwerks. Oft werden Start-ups von Leuten gegründet, die in der gleichen Einheit gedient haben. „Die israelischen Streitkräfte sind der beste Inkubator der Welt“, sagt die Investorin Liron Azrielant. Sie hat in der legendären Unit 8200 gedient, Israels Pendant zur amerikanischen NSA. Heute sucht Azrielant für den US-Wagniskapitalgeber Blumberg Capital nach den vielversprechendsten Neugründungen im Land – und greift dabei oft auf das Netzwerk aus ihrer Armeezeit zurück.

Israel hat auch gelernt, den größten Nachteil für seine Wirtschaft, die fehlende Größe des Landes, in einen Vorteil zu verwandeln. Denn der beschränkte Heimatmarkt zwingt Gründer, von Anfang an den Weltmarkt anzupeilen. So konnte die Handy-Navigations-App Waze, auf die hier jeder Taxifahrer vertraut, schnell den US-Markt und so Millionen Nutzer erobert. Schließlich zahlte Google mehr als eine Milliarde Dollar für die Firma.

Start-up-Szene

„Israel ist zu einem Vorort des Silicon Valley geworden“, sagt der deutsche Techserienunternehmer und erste Google-Finanzier Andy Bechtolsheim. Top-Start-ups wie Waze, Primesense oder Onavo wurden gleich reihenweise von US-Techfirmen aufgekauft. Die israelischen Gründer stecken die beim Verkauf erlösten Millionen dann oft gleich in die nächste Generation von Unternehmen. Es ist ein fruchtbarer Kreislauf: „Investitionen entscheiden nun mal über den Erfolg von Start-ups“, sagt Bechtolsheim.

Das hat auch die israelische Regierung früh erkannt, sie half beim Aufbau der Start-up-Szene in den Neunzigern mit dem Yozma-Programm: Um ausländische Investoren anzulocken, steuerte der Staat bei Investments von Wagniskapitalfonds 40 Prozent der investierten Summe bei – ein Modell auch für andere Länder.

Wer am Strand von Tel Aviv oder in einer der vielen Bars mit Israelis ins Gespräch kommt, hat gute Chancen, dass die stolz ihr Handy zücken: „Hier meine App, ich habe gerade gegründet.“ Der Gründergeist ist Teil des kollektiven Selbstverständnisses in einem jungen Land, das sich insgesamt als eine Art Start-up sieht. Und wer mit der Furcht vor Raketenangriffen aufwächst, hat wohl auch weniger Angst, mit Firmengründungen zu scheitern.

Gründertypen: So ticken junge Unternehmer rund um den Globus

Chuzpe, die israelisch-charmante Dreistigkeit, hilft im Geschäftsleben. „Israelische Gründer sagen lang gedienten Intel-Managern geradewegs ins Gesicht, dass sie alles falsch machten“, sagt Roy Ramon, der Intels Partnerprogramm im Land leitet. Israelis sind offen, direkt, diskussionsfreudig und auch ein wenig stur. Sie halten an eigenen Ideen fest, auch wenn der Chef oder die ausländische Mutterfirma andere Anweisungen geben. „Es ist nicht einfach, Teams in Israel zu managen“, sagt Tzahi Weisfeld, der Microsofts weltweites Accelerator-Programm leitet, „doch wenn man es hinbekommt, sind die Ergebnisse phänomenal.“

Wie viele Gründer in Kalifornien kommen auch israelische Firmenchefs schon mal in Shorts und Flip-Flops in wichtige Meetings mit Investoren oder großen Konzernen. Das finden die Vorzeigeunternehmen aus dem Silicon Valley prima: „Ich war in fast jeder Ecke der Welt“, sagt Google-Manager Don Dodge, „doch in Israel fühle ich mich wie zu Hause.“ Auch deswegen haben IT-Giganten wie Apple, Microsoft oder Facebook ihre ersten und teilweise auch ihre einzigen Entwicklungscenter außerhalb der USA im „Silicon Wadi“ rund um Tel Aviv eröffnet.

Woher Startups ihr Kapital erhalten

Inzwischen gibt es 327 Entwicklungszentren ausländischer Konzerne, vor drei Jahren waren es erst 250. Auch deutsche Manager kommen immer häufiger zur digitalen Frischzellenkur. „Ich liebe die Dynamik, mit der Israelis Innovation vorantreiben“, sagt etwa Telekom-Chef Timotheus Höttges, der jährlich in das kleine Land reist. Die Deutsche Telekom ist dort schon lange aktiv, betreibt ein Innovationslabor an der Ben-Gurion-Universität und in Tel Aviv einen Ableger seines Start-up-Accelerators Hubraum. Auch der neu strukturierte Investmentarm der Telekom legt einen besonderen Fokus auf das Land. „Die Hälfte unserer Investitionen dieses Jahr war in Israel“, sagt Guy Horowitz, Partner von Deutsche Telekom Capital Partners.

Deutsche Autobauer suchen hier gar ihr Zukunftsheil: Volkswagen hat 300 Millionen Euro in die Taxi-App Gett gesteckt. Zudem haben VW und BMW strategische Partnerschaften mit Mobileye geschlossen. Das Unternehmen bietet derzeit die beste Kameratechnik und Bilderkennungssoftware für autonome Autos. Mobileye kann es sich leisten, die bisherige Kooperation mit Tesla aufzukündigen. Nach Unfällen mit Teslas Autopiloten wollten die Israelis ihren hervorragenden Ruf schützen.

So ist es weltweit um den Gründergeist bestellt

Die Reputation des Landes ist so gut, dass dies absurderweise zum Problem geworden ist: Denn das Start-up-Wunder stößt allmählich an seine Grenzen. Ran Gishri, Manager des Start-ups Taboola, zückt sein Smartphone und zeigt ein Foto von einem gerade geführten Bewerbungsgespräch. Auf dem Bild ist eine Tasse Cappuccino, im weißen Milchschaum zeichnet sich ein bräunliches Gesicht ab. Es ist der Bewerber, dessen Konterfei die Firma mit einer eigens angeschafften Spezialmaschine in den Kaffee gezaubert hat, um ihm zu schmeicheln. „Es ist verrückt, was wir inzwischen machen müssen, um Leute zu bekommen“, sagt Gishri. „Facebook, Google und Co. jagen uns die guten Entwickler ab.“ Der Programmierermangel hat Politiker alarmiert. Avi Hasson, Chefberater des Wirtschaftsministeriums, warnt in einem Bericht, dass in den nächsten Jahren 10.000 Entwickler fehlen. Israel will erstmals Arbeitsvisa an ausländische Ingenieure vergeben.

Das Land wäre nicht Israel, wenn nicht einige auch in diesem Problem wieder eine Chance sehen würden. So wie Yossi Vardi, der den Messenger ICQ aufbaute und nach zwei Jahren an AOL verkaufte. Vardi, ganz Pionier, sieht im Fachkräftemangel sogar die Basis für politischen Wandel. „Statt nach außen zu schauen, müssen wir uns auf das ungenutzte Potenzial im eigenen Land besinnen“, rät Vardi. Vor allem bei den Arabern gebe es viele Talente, die bisher ignoriert würden. Die zu integrieren, das wäre tatsächlich das nächste große Wunder.

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