Stoische Philosophie als Lebenshilfe Standhalten, ruhig bleiben, Charakter zeigen

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Zur Ruhe finden

Seneca spricht vom „Leben als Kampf“, von körperlich-seelischen Exerzitien: Die Seelenruhe, so Konersmann, „setzt die Unruhe voraus“, als Konstitutionsmerkmal des Menschen wie der Welt. Diese sei „nicht für uns gemacht“, aber wir sind auf sie angewiesen, können Ruhe „nicht gegen die Welt“, sondern nur mit ihr verwirklichen. Während die christlich-jüdische Tradition die Ruhe mit dem Paradies-Mythos an den Anfang setzt, um dann „eine Art Verfallsgeschichte“ zu erzählen, nach der wir „immer tiefer in die Unruhe hineingeraten sind“, kehre Seneca die Erzählung um: „Wir waren schon immer in der Unruhe und können, wenn wir unseren Weg konsequent gehen, in die Ruhe finden.“

Mit anderen Worten: Innere Ruhe stellt sich nicht von selbst ein, sie ist nicht „naturgegeben“, sondern eine „kulturelle Herausforderung“, eine Frage der „richtigen Einstellung“, der demonstrativen Haltung. Man kann sie sich antrainieren. Stoizismus als Haltung geht auf Distanz zur Welt, gibt sich unempfindlich gegenüber dem Schicksal, entsprechend dem populären Bild vom Stoiker, der durch nichts zu erschüttern ist.

Mag uns Modernen die altstoische Vorstellung, dass individuelles Handeln in der Vernunft des Weltganzen begründet ist, ziemlich fremd geworden sein – mit Senecas Forderung nach „männlicher“ Gefasstheit können wir heute noch etwas anfangen. Vor allem Wirtschaftsführer und Politiker. Der Unternehmer Erich Sixt bekannte sich erst jüngst zur regelmäßigen Stoa-Lektüre: Wenn er nicht schlafen könne, greife er zu Marc Aurel, der altrömische Kaiser spreche dann über Jahrtausende zu ihm und schenke seiner Seele Frieden. „Es wird mir dann schnell bewusst“, sagte Sixt dem „Spiegel“, „dass viele Probleme, über die wir uns aufregen, Scheinprobleme sind.“ Um sie wegzuschieben, bedürfe es eines „ständigen Trainings“: „Man trainiert ein Leben lang.“

Die Menschen sehnen sich nach Gelassenheit. Davon profitiert auch der Philosoph Wilhelm Schmid, dessen Buch zu dem Thema seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht. Warum fällt uns Gelassenheit so schwer?
von Christopher Schwarz

Auch der Krisenmanager Helmut Schmidt hat wiederholt Marc Aurel als Vorbild genannt: „Seine beiden wichtigsten Gebote, innere Gelassenheit und Pflichterfüllung, standen mir immer vor Augen.“ Die Nähe zur stoischen Haltung gehört bis heute zum Habitus der Macht: Nur wer zur Selbstbeherrschung fähig ist, darf Anspruch machen auf Herrschaft, er pflegt Distanz zu den Aufgeregtheiten des Tages. Vor allem mit dem Staatsmann, so Konersmann, verbindet sich die Erwartung, dass er im Getümmel Übersicht behält: Deshalb sei das Bild der „ruhigen Hand“, das Kanzler Schröder gern zitierte, für Politiker so attraktiv. Es suggeriert, dass es eine Zentrale gibt, die über alles wacht und weiß, wann es einzugreifen gilt.

Kein Zweifel, die Pose der Distanz, des souveränen Über-den-Dingen-Stehens hat etwas „Cooles“.

"Sind Stoiker also cool?“, fragt Ralf Konersmann. „Ist Coolness stoisch?“ Den wahren Stoiker kümmern solche Fragen nicht. Er ist kein Schauspieler, spielt keine Rolle – das Leben ist für ihn immer der Ernstfall, bis in den Tod. Seneca hat ihm mit stoischer Ruhe ins Auge geschaut. Das Glück, meinte er, werde durch Dauer ohnehin nicht größer.

Auf die Frage, was er tun würde, wenn er sich durch den Verlust seines Wohlstands gezwungen sähe zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sagte er deshalb ziemlich lässig: Dann würde er kein Drama draus machen, dann würde er sich eben umbringen.

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