
Deutlicher hätte Yanis Varoufakis seine Botschaft nicht fassen können. Als der ehemalige griechische Finanzminister sein Amt antrat, trug er Jeans und wild gemustertes Hemd statt einen teuren Anzug. Er brauste auf einem Motorrad vor, nicht in einem gepanzerten Dienstwagen. Und statt wichtigtuerischer Aktentasche hatte er einen Rucksack dabei, lässig über die Schulter geschwungen.
Der Ökonomieprofessor brach schon rein optisch mit dem alten System. Mit üppigen Beamtengehältern, Korruption und tradierten Statussymbolen. Stattdessen wollte Varoufakis allen zeigen, dass er zupacken kann. Dafür hat er beide Hände frei, dem Rucksack sei Dank.
In der unendlichen griechischen Tragödie taugt sogar die Taschenwahl zum politischen Statement. Doch dahinter steckt noch mehr. Denn es ist gleichzeitig Beleg für eine neue Lässigkeit, die nicht nur im ehemals steifen Politikbetrieb Einzug hält, sondern die gesamte Gesellschaft durchzieht – einschließlich der Chefetagen. Denn nicht nur Varoufakis und sein Amtsnachfolger Euklid Tsakalotos mögen es bequem. Auch in der Wirtschaft bekennen sich die Wichtigen neuerdings gern zum Praktischen.





Beispielsweise der Commerzbank-Chef Martin Blessing, Fiat-Patriarch Sergio Marchionne oder der gerade aus dem Job geschiedene Deutsche-Bank-CEO Anshu Jain. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2012 wurde sein schwarzer, simpler Rucksack, den er stets bei sich trug, fast mehr diskutiert als die neue Strategie des kriselnden Geldinstituts. „The Bag Is The Botschaft“, schrieb der „Spiegel“.
Soll noch einer sagen, alle Finanzmanager seien abgehoben. Der Rucksack von Jain stammte vom amerikanischen Hersteller Incase. Kosten im Onlineshop: 59,95 Dollar.
Jain, der bescheidene Vegetarier und Rucksackfan, wurde von manchen Beobachtern schon zum Gesicht des neuen, guten Kapitalismus erklärt. Und das, obwohl der von ihm und seinem Co-Chef Jürgen Fitschen verordnete Kulturwandel keine echten Veränderungen zeigte. Doch mit der Wahl seines Accessoires lag Jain voll im Trend. „Die Casualisierung, zu Deutsch die Verfreizeitung, ist überall zu beobachten“, sagt auch der Männermodenexperte und Buchautor Bernhard Roetzel.
Das beginnt bei den lockeren Umgangsformen wie etwa der Duzkultur, die sich in vielen Unternehmen etabliert hat – und endet beim Dresscode. „Heute gehen viele Deutsche in kurzen Hosen und Joggingschuhen ins Büro“, sagt Roetzel.
Keine Krawatte? Kein Problem.





Und aus dem Casual Friday ist vielerorts längst eine Casual Week geworden. Darunter zu leiden hat vor allem das ehemals essenzielle Statussymbol Aktentasche. Der Bundesverband des Deutschen Lederwaren Einzelhandels gab im Juni dieses Jahres bekannt, dass der traditionelle Businessbereich schwächelt. Der Grund: Immer häufiger wird der steife Klassiker durch lässige Modelle ersetzt. Und zwar am liebsten durch den Rucksack.
Der feiert derzeit auf den Laufstegen von Paris über New York bis nach Mailand sein großes Comeback. Und nicht nur da. Peter Knäbel verhalf dem Accessoire kürzlich zu zweifelhaften Schlagzeilen. Dem Manager des Fußballvereins Hamburger SV wurde sein Rucksack gestohlen und später in einem Park gefunden – inklusive Gehaltslisten der HSV-Profis. Zum Glück brachte eine ehrliche Finderin das gute Stück zurück zur Geschäftsstelle. Den Weg an die Öffentlichkeit fand die Posse trotzdem. Bei Twitter machten sich die Mitglieder unter dem Stichwort Rucksackgate lustig.
Aber woher kommt die neue Lust auf den praktischen Begleiter? Schuld ist mal wieder das Silicon Valley. Dort, wo die Informatiker und Ingenieure nicht nur an unserer Zukunft basteln, sondern bereits heute unseren Büroalltag beeinflussen. Wo Google, Facebook und allerlei andere hippe Unternehmen sitzen, die ihre Konferenzen am liebsten im Kickerraum abhalten und von der Hängematte aus arbeiten.