Dass dies niemand im Nadelstreifen tut, versteht sich von selbst. Im Kapuzen-Sweatshirt fläzt es sich deutlich bequemer. Um ihre Smartphones, Tablets und Laptops nutzen zu können, brauchen die Digitalnomaden am besten zwei freie Hände. Der Rucksack gehört deshalb in der kalifornischen Technologiehochburg schon lange zur Grundausrüstung.
Außerdem spielt dem Rucksack noch ein weiterer Grund in die Tasche: das veränderte Mobilitätsverhalten der Großstädter. Denn zwei freie Hände braucht es auch, um entspannt Fahrrad zu fahren. Kaum ein junger Berliner, Kölner oder Münchner hat noch ein eigenes Auto, wozu denn auch? An jeder Ecke steht ein Car2Go oder Drive-Now-Auto bereit, hinzu kommen öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn und Start-ups wie Taxischreck Uber. Am liebsten betätigt sich der Großstädter aber sowieso sportlich.
Ob Hollandrad, Carbon-Drahtesel, Retro-Rennrad oder Fixie-Bike: Wer jung und dynamisch ist, fährt Rad, nicht Audi R8. Der Spruch, dass nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist stecke, gilt im Berufsleben mehr denn je. Klar, dass ein lässig über die Schulter geworfener Rucksack diesem Lebenswandel mehr entgegenkommt als der steife Aktenkoffer. Er schont auch den Rücken. Der Rucksack wird so zum Erkennungszeichen der Fitten und Agilen.
Bis dahin war es ein langer Weg. In den Siebzigerjahren hatte Rucksacktragen nichts mit Fitness zu tun, sondern galt als Zeichen des politischen Protests. Anhänger der Antikriegsbewegung bemalten riesige, abgenutzte Bundeswehrrucksäcke mit Peace-Zeichen um deren ursprünglichen Zweck, die Tarnung, ins Lächerliche zu ziehen. Mitte der Achtzigerjahre erfand die italienische Modedesignerin Miuccia Prada dann einen kleinen schwarzen Nylonrucksack mit großem Logo und verwandelte das Politische in ein Statussymbol.
Zehn Jahre später waren es dann die Skater und andere Trendsportler, die Rucksack tragen. Eastpak wurde zur Kultmarke des Jahrzehnts. Schüler und Studenten trugen ihn möglichst tief über dem Hintern hängend, mit bunten Trollen und Schnullern aus Plastik behängt. Kein Wunder, dass das Auge danach eine Pause brauchte.
Mehr als zehn Jahre lang spielte der Rucksack außerhalb der Freizeitgestaltung keine Rolle mehr. Bis sich der amerikanische Designer Alexander Wang 2012 traute, ihn wieder auf dem Laufsteg zu zeigen.
Optisch haben die bis zu 5000 Euro teuren Luxusmodelle aber wenig bis gar nichts mit ihren sportlichen Vorgängern zu tun – und funktionieren deshalb auch im Büro. „Der Rucksack ist erwachsen geworden“, titelte das amerikanische Mode-Magazin „Woman’s Wear Daily“. Statt farbenfroher Allzweckwaffe mit allerlei praktischen Reißverschlüssen und Taschen zeichnen sich die neuen Rucksäcke durch eine schlichte Form, edle Materialien und gedeckte Farben aus.
Das hat sich unter den Massenherstellern ebenfalls herumgesprochen. So wird auch derjenige fündig, der nicht bereit ist, mehrere Hundert oder Tausend Euro für einen Bürorucksack auszugeben.
Beim Sportfachhändler Intersport etwa steigerte sich der Umsatz mit dem Verkauf von Rucksäcken in den vergangenen vier Jahren um acht Prozent. Der Hersteller der Marke Fjällraven, dessen Modelle gerade die Rücken jedes modebewussten Großstädters zieren, klagt sogar über Lieferschwierigkeiten. „Die Nachfrage war so extrem, dass wir große Anstrengungen unternehmen mussten, um die Mengen überhaupt liefern zu können“, sagt ein Unternehmenssprecher.
Besonders beliebt sind Modelle, in denen nicht Proviant, sondern ein Notebook Platz findet. Auch auf Funktionalität spezialisierte Anbieter wie Deuter, Mammut oder North Face verzichten deshalb gerne auf grelle Farben und Hightechmaterialien. Die Neunzigerjahre-Kultmarke Eastpak ist inzwischen optisch erwachsen geworden und unterhält Kooperationen mit den beiden Dior-Designern Raf Simons und Kris Van Assche.
Diese Entwicklung passt nicht jedem. Dem Stilexperten Bernhard Roetzel ist ein Rucksack im Job ein Graus. „Zum Büro-Outfit ist der Rucksack ein Stilbruch“, sagt Roetzel, „ich klettere ja auch nicht mit Aktentasche auf die Zugspitze.“ Doch auch er muss zugeben: „Ein Rucksack zum Anzug oder zum Kostüm passt in die Zeit. Er ist Symbol von Sport, Freiheit und Abenteuer.“ Aber Frauen in schwarzem Hosenanzug und knallrotem Multifunktionsanorak will er trotzdem nicht sehen. Sollte er aber auch nicht. Denn trotz der neuen großen Freiheit im Büro gibt es ein paar Regeln zu beachten.
Zunächst das Material: Der Rucksack sollte aus Leder sein oder zumindest aus einem festen Segeltuch-Stoff. Die Form klassisch und schlicht, ohne Extrataschen oder anderen Wander-Tand.
Ebenfalls wichtig ist die Farbe. Neon ist verboten, mehrfarbige Rucksäcke sowieso. Wählen Sie lieber ein Modell in Schwarz, Braun oder Grau – oder in den Trendfarben Ochsenblutrot oder Tannengrün. Sollten Sie immer noch unsicher sein: Wir haben einige Modelle für Damen und Herren von 90 Euro bis 3000 Euro zusammengestellt, die auf jeden Fall gehen. Versprochen.